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C. Literarische und thematische Merkmale in der masoretischen Fassung von Ester 1. Der Aufbau des Werks

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Die masoretische Fassung des Esterbuchs bietet eine gut gegliederte Erzählung. Die Handlung ist mit spannenden Situationen und unerwarteten Wendungen durchsetzt. Plötzliche Wenden, Erhöhungen und Degradierungen der Charaktere sowie Festmähler sind strukturierende Motive.

Episodischer AufbauDer vorliegende Kommentar ist in sechzehn episodische Segmente aufgeteilt, die nur zum Teil den Segmenten im MT entsprechen.146 Jede Episode bildet eine thematische, geografische und zeitliche Einheit oder ist mit den beteiligten Charakteren verknüpft.

Kapitel 1. Der Fall der Königin Waschti

1) Die Festmähler des persischen Königs (1,1–9)

2) Waschtis Weigerung (1,10–12)

3) Die Folgen von Waschtis Weigerung (1,13–22)

Kapitel 2. Esters Aufstieg und Einsetzung zur Königin

4) Ernennung einer neuen Königin (2,1–18)

5) Ereignisse am Hof (2,19–23)

6) Kapitel 3. Hamans Verschwörung

7) Kapitel 4. Mordechai bittet Ester um Hilfe

Kapitel 5. Hamans Ehrung

8) Esters erstes Gastmahl (5,1–8)

9) Haman zu Hause mit seinen Freunden (5,9–14)

Kapitel 6. Mordechais Ehrung

10) Haman ehrt Mordechai (6,1–11)

11) Haman kommt nach Hause (6,12–14)

12) Kapitel 7. Hamans Tod

Kapitel 8–10. Triumph, Massaker und Feiern

13) Eine schwer aufzulösende Verschwörung (8,1–17)

14) Krieg (9,1–19)

15) Die Briefe zur Einführung des Fests (9,20–32)

16) Epilog: Der König, Mordechai, die Juden und das Imperium (10,1–3)

Romanhafte HandlungDie Handlung erreicht ihr Ziel durch die Taten der Helden, die Hamans Plan zum Scheitern bringen. Strukturiert ist die Handlung durch ein fünfteiliges Schema: Der Ausgangssituation folgt die „Exposition“, die durch eine „Komplikation“ durcheinandergerät, aber dank des „transformativen Handelns“ der Helden zu einer „Auflösung“ kommt und eine „abschließende Situation“ herbeiführt.147 Das heißt, im Buch Ester ist der Erzählfaden, wie in den meisten guten Romanen, komplex. Die Handlungsabläufe durchdringen einander, und es kommt zu Verwicklungen.148

Die ersten beiden Kapitel bilden die Ausgangssituation. Sie führen in die Welt des Königshofs ein und schildern die Lage der beiden Helden, Ester und Mordechai.

Von Kapitel 3 an vermischen sich die Handlungsfäden. Der erste ist ein tödlicher Konflikt zwischen zwei Hofbeamten, Mordechai und Haman. Mordechai verweigert die ehrerbietige Niederwerfung, und Haman möchte, dass er dafür gehängt wird (3,1–6; 5,9–14). Der Konflikt findet seine Lösung dank der königlichen Schlaflosigkeit und des Ungeschicks von Haman (Kap. 6). Er endet mit Hamans Hinrichtung (Kap. 7). In der abschließenden Situation wird Mordechai geehrt und tritt an Hamans Stelle (8,1–2). Der zweite Handlungsfaden betrifft alle Juden. Die „Komplikation“ hängt mit der Verkündigung eines Vernichtungserlasses (3,7–12) zusammen. Zur Lösung sind zwei Helden nötig. Zuerst bittet Mordechai Ester darum einzugreifen (Kap. 4), woraufhin sie den König zu zwei Gastmählern einlädt und ihn anfleht, sie und ihr Volk zu retten (5,1–8; 7). Zu einer ersten Auflösung kommt es dann mit Hamans Hinrichtung (7,5–10). Die Erzählung nimmt aber eine andere Wendung, als der König erklärt, dass der Erlass nicht widerrufen werden kann (8,3–8). Zur endgültigen Auflösung kommt es daher erst mit der Abfassung eines Gegenerlasses (8,9–14) und dem Massaker an den Feinden der Juden (9,1–19). In der „abschließenden Situation“ wird der Sieg der Juden gefeiert (9,20–32), und Mordechai wird zum Verwalter des Reichs (10,1–3). Die beiden Handlungsfäden sind eng miteinander verwoben. Der Konflikt zwischen Haman und Mordechai (erster Handlungsfaden) bringt den Erlass zur Vernichtung der Juden hervor (zweiter Handlungsfaden), und in dem Versuch, ihr Volk zu retten (zweiter Handlungsfaden), beschwört Ester Hamans Hinrichtung herauf (Auflösung des ersten Handlungsfadens). Die Kombination dieser beiden Handlungsfäden zeigt, dass ein Konflikt zwischen zwei Figuren dramatische Folgen für eine ganze soziale Gruppe haben kann.

Folglich muss die Handlung des Werks als Einheit verstanden werden. Nach der „Ausgangssituation“ (Kap. 1–2) entsteht die „Komplikation“ durch einen Konflikt zweier Charaktere, der sich bis zur Gefahr eines Pogroms steigert (Kap. 3 und 5,9–14). Die „transformativen Handlungen“ von Mordechai (Kap. 4), Ester (5,1–8 und 7,1–4) sowie der Zufall (Kap. 6) führen zu einer ersten „Auflösung“: Hamans Hinrichtung (7,5–10). In Kapitel 8 nimmt die „Komplikation“ eine neue Wendung, und andere „transformative Handlungen“ werden ausgeführt: Ein Gegenerlass wird verkündet und ein Krieg geführt (8,1–9,19). In der „abschließenden Situation“ wird das Purimfest eingeführt (9,20–32) und Mordechai als Verwalter des Reichs eingesetzt (Kap. 10).

Die FestmählerDie zehn Festmähler, die im Buch Ester erwähnt werden, sind paarweise aufeinander bezogen und strukturieren die Erzählung.149

⎧Das Festmahl des Königs für die Eliten des Reichs (1,2–4)

⎩Das Festmahl des Königs für die Einwohner von Susa (1,5–8)

⎧Das Festmahl für die Frauen – Waschti (1,9)

⎩Das Festmahl zur Krönung – Ester (2,18)

⎧Das Festmahl zur Feier des Erlasses – Haman (3,15)

⎧Das erste Festmahl von Ester (5,1–8)

⎩Das zweite Festmahl von Ester (7,1–9)

⎩Das Festmahl zur Feier des Gegenerlasses – Mordechai (8,17)

⎧Das Festmahl der Juden des Reichs (9,17.19)

⎩Das Festmahl der Juden von Susa (9,18)

Diese Festmähler markieren die Höhe des sozialen Status der Protagonisten. Die ersten beiden demonstrieren die Würde des Königs vor seiner Demütigung durch Waschti (1,12). Während der Festmähler von 1,9; 2,18 und 3,15 befinden sich Waschti, Ester und Haman auf der Höhe ihres gesellschaftlichen Ansehens. Dieses wird dann jeweils in 1,13–22; 4,16 und 7,1–10 infrage gestellt. Die letzten drei Festmähler (8,15–17; 9,17–19) feiern den Triumph der Juden. Die Einladungen zu den beiden Festmählern, die von Ester veranstaltet werden (Kap. 5,1–8 und 7,1–10), ehren den König und Haman. Nach der Erniedrigung des Königs durch Waschtis Weigerung, dessen Einladung anzunehmen, ehrt Ester ihn mit einer spontanen doppelten Einladung. Haman versteht Esters Einladung als eine Ehrung (5,12), doch sie ist nur eine Falle. Schließlich markiert das Motiv des Fastens in Kapitel 4 (4,3.16) den Moment, der dem der Festmähler entgegengesetzt ist, als nämlich die jüdischen Charaktere sich an ihrem Tiefpunkt befinden.

Wenden, Fortschritte und RückschlägeWenden strukturieren die Erzählung. Der König wird beim Festmahl geehrt und dann von Waschti gedemütigt. Die Juden werden durch einen Erlass in Gefahr gebracht, triumphieren aber nach der Veröffentlichung eines Gegenerlasses. Mordechai wird von Haman mit dem Tod bedroht, wird am Ende aber zum höchsten Minister. Bei Haman ist die Reihenfolge umgekehrt: Er ist der höchste Minister, endet aber am Galgen. Die Episode, in der Haman Mordechais Tod fordern will, aber dessen Beförderung bewirkt (6,1–11), ist ein Dreh- und Angelpunkt und lässt ahnen, was im Rest der Erzählung passieren wird, nämlich die völlige Umkehrung der Lage Hamans und seines verheerenden Treibens.150

3,1–2.10–11.15 Hamans Erhebung

3,12–15 Erlass, der die Vernichtung der Juden ankündigt

5,1–8 Esters erstes Festmahl, Haman fühlt sich geehrt

5,9–14 Haman wird zu Hause geehrt

6,1–11 Situative Wende: Haman ehrt Mordechai

6,12–14 Haman wird zu Hause gedemütigt

7,1–10 Esters zweites Festmahl, Haman wird hingerichtet

8,9–14 Erlass, der den Juden die Selbstverteidung erlaubt

8,2.15 Mordechais Erhebung

Ester

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