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5.1.1 Die Festmähler196
ОглавлениеDie Beschreibung der Festmähler bei Hofe verbindet den griechischen literarischen Topos vom königlichen persischen Gelage mit dem besonderen Charakter der Bankette, die von herrschenden Eliten oder herausragenden Euergeten der hellenistischen Zeit in den Städten abgehalten werden.
Der Blick auf diese Tafelgewohnheiten ist kritisch und ironisch. Die königlichen Festmähler von Est 1,3–8 machen die Exzesse der Mächtigen sichtbar. Sie dauern 187 Tage. Der Luxus und die Anzahl der Gäste sind eindrucksvoll. Besonders betont wird auch der Prestigegewinn, den ein Festmahl für den Gastgeber (1,3–8) oder den wichtigsten Gast (5,11–12) bedeutet. Das geschieht allerdings nicht ohne Ironie, denn nicht immer gelingt die Steigerung des Prestiges: Der König wird während eines Festmahls von Waschti gedemütigt, und Haman wird mit einer Einladung zu einem Mahl geehrt, das zu seiner Hinrichtung führt (5,11–12; 7,9–10). Der Weinkonsum wird bei Ahasveros’ Gelagen nur nachlässig kontrolliert. Wein wird laut 1,8 in unbegrenzten Mengen ausgeschenkt, bis der König und seine Berater ihren Anstand verlieren, Probleme übertreiben und unangemessene Lösungen vorschlagen (1,10–22). Darüber hinaus ermöglicht es der exzessive Weingenuss Ester, während der von ihr arrangierten Gastmähler Einfluss auf den König und Haman auszuüben (Kap. 5 und 7). Zusätzlich zu diesen Elementen, die typisch für griechische Darstellungen persischer Gastgelage sind, sind an die ganze Stadt gerichtete Einladungen (1,5), der Ausschluss von Ehefrauen vom Mahl und die Organisation ganz bestimmter Bankette (1,9) in hellenistischen Städten üblich. Obwohl der MT des Esterbuchs diese Mahlgewohnheiten kritisch betrachtet, nehmen die Juden hier – im Gegensatz zu dem, was man in Judit (Kap. 12) und Daniel (Kap. 1) lesen kann – teil und profitieren sogar davon.
In der Zeit, als das Buch Ester entstand, ließen die Mahlgewohnheiten grundlegende Fragen aufkommen für die jüdische Elite in nichtjüdischen Städten, aber auch in hellenisierten Städten wie Jerusalem am Ende des dritten und Anfang des zweiten Jahrhunderts v. u. Z. Das offizielle Stadtbankett war ein wichtiger Ort des gesellschaftlichen Lebens, und der Verzicht auf die Teilnahme daran konnte zum Ausschluss aus dem öffentlichen Leben führen. Einige Juden dieser Zeit weigerten sich, an griechisch-römischen Festmählern teilzunehmen;197 andere hingegen nahmen teil, fragten sich aber, unter welchen Bedingungen ihre Teilnahme daran möglich sein würde.198
Der MT von Ester ist an diesem Punkt nicht eindeutig. Die Heldin nimmt an königlichen Festmählern teil, zugleich aber erscheinen diese Tischgewohnheiten lächerlich. Darüber hinaus erwähnt der Text nichts vom Vorhandensein ritueller Elemente oder fester Nahrung.199 In den Banketten am 14. und 15. Adar (Est 9,21.22b) schließen die protomasoretischen Redaktoren mit einer Definition eines jüdischen Festmahls. Es besteht aus fröhlichen Festgebräuchen, die sich radikal von denen königlicher Gelage unterscheiden. Der Gastgeber hat keine herausragende Stellung. Der gegenseitige Austausch von Speisen definiert eine Praxis des egalitären Gebens und Empfangens, die auf die jeweils besonderen Ernährungsgewohnheiten der Beteiligten Rücksicht nimmt. Die Gabe von Geschenken an die Armen zeigt, dass sich alle verpflichtet fühlen, sich um die Schwachen zu kümmern. Für die Redaktoren des Esterbuchs während der makkabäisch-hasmonäischen Zeit dürfte es so gewesen sein, dass in jüdischen Städten und Gebieten nur ein Festmahl solcher Art legitim war.