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3.1 Zur Methodik im Rahmen der Epidemiologie der Sportsucht

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Die Epidemiologie der Sportsucht wird in der Literatur nicht als eigenständige Zielstellung von Forschung verfolgt. Stattdessen sind Zahlen zum Ausmaß und zur Häufigkeit eher Nebenaspekte anderer Forschungsziele, zum Beispiel der Erforschung von Risikofaktoren oder Konsequenzen von Sportsucht. Zugleich wird hiermit an Messinstrumente zur Erfassung von Sportsucht kein strenger klinischer Standard angelegt. Dieser Standard scheint aus Sicht vieler Forscher/innen nicht notwendig, da es für die in den Forschungsarbeiten befragten einzelnen Sportler/innen keine (therapeutischen) Konsequenzen hat, wenn sie fälschlich als sportsüchtig oder als unauffällig bzw. gesund bezeichnet werden. Bedeutsam ist lediglich die Verlässlichkeit des Gesamtwertes (nicht der einzelnen fallbezogenen Aussage). Im Gegensatz dazu erfordert die klinische Praxis ( Kap. 5.3) auch im Einzelfall eine genauere und möglichst verlässliche Messung von Sportsucht (d. h. eine »Diagnostik«), aus der mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine therapeutische Konsequenz erwächst. Zusammengefasst kann also gesagt werden, dass Fragebögen zur Sport- und Bewegungssucht vor allem für Forschungszwecke entwickelt wurden. Sie genügen daher häufig zwar den Kriterien guter Forschung (z. B. bezüglich der theoretischen Herleitung der Fragebogenstruktur oder der einzelnen Aussagen/Fragen des Bogens oder der Konsistenz bzw. Reliabilität von Unterkategorien), jedoch nicht den Kriterien guter klinischer Praxis. Insbesondere besitzen sie keine klinisch verlässlichen Cut-Off-Werte, also Werte, ab denen mit hoher Wahrscheinlichkeit im Einzelfall eine klinisch behandlungsbedürftige Sportsucht angenommen werden kann (Sensitivität des Tests; Kap. 6.1). Stattdessen lassen die Fragebögen nur eine Risikoabwägung zu. So ergibt sich beispielsweise für die »Exercise Dependence Scale« (EDS; Hausenblas und Symons Downs 2002b) anhand der Auswertung eine dreistufige Kategorisierung in »at risk for exercise dependence«, »nondependend-symptomatic« und »nondependend-asymptomatic« (für den deutschen EDS-D s. Zeeck et al. 2013).

Die zuvor beschriebene fehlende klinische Verlässlichkeit von bestehenden Messinstrumenten liegt zum Teil auch daran, dass Kriterien für Sportsucht nicht eindeutig definiert sind (Terry et al. 2004) und in verschiedenen Fragebögen durch unterschiedliche Fragen oder Aussagen umgesetzt werden. So ist bis heute unklar, ob Kriterien, die für Verhaltenssüchte typisch sind, in gleicher Weise auch auf die Sportsucht zutreffen. Ein Beispiel hierfür ist das Kriterium von Zwangserleben oder Entzug: Zwang wird in manchen Fragebögen zur Sportsucht operationalisiert, indem gefragt wird, ob man mehr Sport treibt, als man sich vorgenommen hatte. Bei Kenntnis des Leistungssports erweist sich dies nur sehr bedingt als gute Frage für einen behandlungsbedürftigen Zwang (Symons Downs et al. 2004). Ein weiteres Beispiel: Bezogen auf Entzugssymptome fragen einzelne Sportsuchtinstrumente, ob man Sport treibt, um sich weniger gereizt oder angespannt zu fühlen (Symons Downs et al. 2004). Wenn dies ein Kriterium für Sportsucht wäre, würden viele Gesundheitssportler Entzugssymptome besitzen. Auch aufgrund solcher problematischen Ansätze, Sportsucht zu erfassen, werden positive Zusammenhänge zwischen gesundheitsbezogenen (und positiv zu bewertenden) Sportmotiven und einer auf diese Art gemessenen »Sportsucht« gefunden und kritisch diskutiert, »denn in manchen Aspekten überschneiden sich die erfragten Symptome von Sportsucht mit Verhaltensweisen, die sich zwangsläufig aus intensivem sportlichen Training ergeben« (Zeeck et al. 2013, S. 104). Entsprechend dieser Problematik müssen insbesondere Fragebögen zur (vermeintlichen) Erfassung von Sportsucht mit kritischer Distanz beurteilt werden ( Kap. 5.1).

Sportsucht und pathologisches Bewegungsverhalten

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