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In den Bierclubs herrscht oftmals eine zweifelhafte Munterkeit, bei der der Alkohol, der Augenblick und der Wunsch, alles andere, was irgendwann geschehen ist, zu vergessen, eine Einheit bilden. War man selbst mittendrin, konnte das unglaublich lustig sein. Ganz fern im Hinterkopf gab es etwas Nagendes, höchstwahrscheinlich die Erziehung und die Moral, aber die wurden immer schnell beiseite geschoben. Man fühlte in diesen Augenblicken eine Erregung, ließ die Zügel schleifen, und schlug über die Stränge, während man prahlte und den Prahlereien der anderen glaubte. Mitten in allen Strapazen war man kurz davor, einen glücklichen Augenblick zu erlangen. Aber nur kurz davor. Die Augenblicke waren nicht lang, und mit den Jahren wurden sie immer seltener. Bevor man es gewahr wurde, wurde man zurückgelassen und war nicht mehr in der Lage, sich unter ganz gewöhnlichen Menschen zurechtzufinden.

Und dennoch gab es glückliche Augenblicke. “Der Fünfer” war so einer. An jedem Freitag, und zwar ausschließlich freitags, war zwischen fünf und sechs Uhr geöffnet. Jedes Mitglied, das überhaupt die Gelegenheit hatte, beeilte sich, nach beendeter Arbeitswoche in den Ølankret zu kommen, um nicht nur das Bier zu genießen, sondern auch um für eine Stunde mit glücklichen Menschen zusammen zu sein. Die Freude über das Wochenende, das vor der Tür stand, gab diesen Augenblicken ihren fröhlichen Stempel.

Etwas anderes war der Sonntagnachmittag. Wie meistens war es proppenvoll, und nur an diesem Tag wimmelte es außerdem noch von Kindern und Hunden. Die Väter waren eine Runde spazierengegangen und ganz zufällig im Club gelandet. Das war der Tag der Anekdoten für alle, und das Gelächter wogte üppig zwischen den mit Juteleinwand bespannten Wänden hin und her. Als ich gegen halb sechs die Bar betrat, war der beste Teil des Nachmittags schon fast vorbei. Zwei der Tische waren trotzdem besetzt, also würden die drei Stunden, bis ich Hugo treffen sollte, auf gemütliche Weise vergehen.

Ich schaute auf die Uhr in der Bar, und als die Zeiger sich der Neun näherten, war es Zeit zu gehen. Ich leerte mein Glas, murmelte ein paar Worte zu dem, der mit am Tisch saß, und ging. Als ich auf die Treppe hinaustrat, schien es mir, als käme ich an die Oberfläche. Es war noch ganz hell, und wie Leute, die mitten am Tag aus dem Kino kommen, begann ich zu gähnen. Nur einen Augenblick knackte es in der Leitung zur Umwelt, aber das Gefühl verschwand mit der Zeit, und danach herrschte Harmonie.

Ich eilte den Hügel hinunter zum Ende der Jóannes Paturssonargøta, ging links in die Tróndargøta und kurz darauf rechtsin die Kongagøta. Ich ging weiter, bis ich zu einer Sackgasse kam, die mein Ziel war.

Das Haus war ein dunkelgrünes Holzhaus von der Sorte, die es viel in den älteren Teilen von Tórshavn gibt. Doch es war eines der größeren.

Ich drückte auf den Klingelknopf, aber er war festgerostet, und das offensichtlich seit vielen Jahren. Ein Türklopfer mit einem brüllenden Löwenkopf bot seine Dienste an. Ich umfaßte den Löwen und versuchte, ihm eine Gehirnerschütterung zu verursachen.

Das Geräusch erzeugte in der engen Straße ein Echo. Aber als dieses verhallte, war es so still wie zuvor. Keine Menschenseele war zu sehen. Höchstwahrscheinlich Nachricht oder Dallas. Hinter der Löwentür tat sich nichts. Vielleicht war Hugo nicht zu Hause? Es brannte kein Licht, aber es war ja möglich, daß er gern im Dunkeln saß.

Ich schlug noch einmal mit dem Türklopfer.

Nichts.

Das Küchenfenster war zu hoch, es hatte gar keinen Zweck, zu versuchen, hineinzusehen.

Vorletzte Nacht hatte Hugo darauf bestanden, daß wir uns um neun Uhr treffen sollten, deshalb war es wirklich merkwürdig, daß er nicht zu Hause sein sollte. Ich selbst war auch ziemlich neugierig, herauszufinden, was mit Sonja passiert war. Hugo wußte etwas, aber es hatte ihm immer schon gefallen, so zu tun, als wüßte er mehr, als er sagte. Oft steckte gar nichts dahinter. Das Wohnzimmer lag auf der anderen Hausseite, und wenn er wie der Rest des färöischen Volkes vor dem Fernseher saß, dann...

Neben dem Haus war eine Pforte, durch die man in einen kleinen Hof gelangte. Ich ging durch sie hindurch und schaute zu den Stubenfenstern hinauf, aber auch dort war kein Licht zu sehen. In dem Moment sah ich, daß die Kellertür nur angelehnt war. Na, dann war er also irgendwo in der Nähe.

Ich konnte mich noch aus der Schulzeit daran erinnern, daß er oft durch den Keller ging. Vielleicht war er nur kurz etwas erledigen gegangen?

Ich ging in den Keller. Er war niedrig und dunkel, und anfangs konnte ich nichts sehen. Wie die meisten Keller war er bis in die letzte Ecke mit allem Möglichen vollgestopft. Ich mußte mich vorsichtig bewegen, bis die Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten.

Dann entdeckte ich die Treppe nach oben. Ein Kleiderbündel lag vor ihr.

Ich ging näher und sah, daß das Kleiderbündel ein Gesicht hatte. Hugos Gesicht.

Der Hals ragte schief zwischen den Schultern hervor. Es gab keinen Zweifel daran, daß er gebrochen war.

Ich beugte mich über Hugo nieder und legte meine Hand auf seinen Hals. Er war noch warm.

Aus den Augenwinkeln erhaschte ich den Schimmer einer Bewegung hinter mir, aber zu spät. Etwas Hartes traf mich am Hinterkopf, direkt hinter dem Ohr, und die Welt füllte sich mit Licht - mit weißem, blendendem Licht.

Mild ist die färöische Sommernacht - Ein Färöer-Krimi

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