Читать книгу Mild ist die färöische Sommernacht - Ein Färöer-Krimi - Jógvan Isaksen - Страница 13
8
ОглавлениеAls ich am nächsten Vormittag aufwachte, hatte ich Kopfschmerzen. Die Nachwehen des Schlages, den ich in Hugos Keller erhalten hatte, würde ich zweifellos noch einige Tage spüren. Der Höcker war ziemlich groß, wie von einem mittelprächtigen Kamel entliehen.
Es war dadurch nicht besser geworden, daß ich bis zur Sperrstunde um halb eins im Ølankret gesessen und Gammel Dansk und Bier in mich reingeschüttet hatte. Mit ein bißchen Fleiß kann man in zwei Stunden eine ganze Menge schaffen.
Ich dachte wieder an Hugo und Sonja. Was war mit den beiden passiert? Und warum? Die Antworten kamen nicht flotter als gestern im Restaurant, aber Hugo hatte auf jeden Fall recht gehabt, als er von Gefahr sprach.
Als ich mich entschloß, auf die Färöer zu fahren, hatte ich nicht ernsthaft vermutet, daß ein Verbrechen vorliegen könnte. Es waren nur ein paar Kleinigkeiten nicht so gewesen, wie sie sein sollten. Sonja verschwand trippelnd auf dem Støðlajfall und fiel zu weit. Jetzt war ich überzeugt davon, daß beide ermordet worden waren.
Aber immer noch hatte ich keine Ahnung, warum sie umgebracht worden waren. Oder wer mich im Keller niedergeschlagen hatte. Doch das würde ich schon herausfinden. Einmal, weil ich es nicht leiden kann, von hinten niedergeschlagen zu werden, und zum anderen, weil ich Sonja immer gerne gehabt hatte. Hugo war mir eigentlich ziemlich egal, aber in diesem Fall hing er mit Sonja zusammen. Und neben diesen Abwägungen hoher moralischer Qualität war in dem, was vorgefallen war, bestimmt eine gute Story drin, und ich lebe nun mal davon, Geschichten zu schreiben.
Ich wußte nicht so recht, wo ich anfangen sollte. Sonjas Wohnung war schon längst wieder vermietet. Der Wohnungsmarkt in Tórshavn war so katastrophal, daß man sich kaum zur Arbeit traute, aus lauter Angst, es käme einer und nähme die Wohnung, besetzte sie einfach, während man weg war. Da war also auch nichts zu holen. Dann war da Hugo. Zweifellos hatten sie ihn jetzt geholt, und dann wimmelte es dort an allen Ecken und Enden vor Polizisten, oder aber das Haus war versiegelt. Am besten wartete ich ein Weilchen, um dann in Ruhe eine gründlichere Durchsuchung des Hauses als gestern vorzunehmen.
Ich konnte ebensogut Sonjas Schwester anrufen. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Ich fand Tvøroyri im Telefonbuch und darunter die Schwester. Während ich die Nummer wählte, fiel mir ein, daß Sonja gesagt hatte, ihre Schwester sei fromm, eine der wenigen in Tvøroyri, hatte sie lachend hinzugefügt.
“Hallo, wer ist da?” fragte eine Frauenstimme mürrisch.
Ich nannte meinen Namen, und daß ich ein Freund von Sonja war.
“Davon hatte sie viele”, schnaubte sie höhnisch. “Der Herr weiß, was er tut.” Die Stimme war schrill, und der schnelle südfjordische Akzent dazu schnitt wie ein Messer ins Ohr.
“Der Herr weiß, was er tut?” wiederholte ich überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, daß er so schnell in die Sache mit hineingezogen würde.
Sie begann zu predigen: “Kein Entmannter, sei es nun durch Zerschmettern oder durch Verschneiden, soll in die Gemeinde des Herrn kommen. Kein Hurenkind soll in die Gemeinde des Herren kommen, bis ins zehnte Glied hinein soll seine Nachkommenschaft nicht in die Gemeinde des Herren kommen.”
Jetzt war mir klar, daß sie geisteskrank sein mußte. Trotzdem fragte ich vorsichtig: “Was wollen Sie mit dieser Bibelstelle sagen? Wenn es sich denn um eine handelt.”
“Natürlich ist es eine Bibelstelle. Fünftes Buch Mose, Kapitel 23, Vers 1 und 2. Sie kennen die Bibel nicht, aber ich, und der Lohn der Sünde wird auf die Kinder vererbt. Wollen wir nur hoffen, daß Er in seiner Gnade die Sünden der Mutter nicht auf das kleine unschuldige Kind überträgt.” Sie begann, ein neues Bibelzitat herunterzuleiern.
Ich wurde immer verwirrter von ihrem Geschwätz, und eines war klar: von ihr war keine Hilfe zu erwarten. Sie war gerade mit der Stelle aus der Offenbarung fertig, als es mir gelang, einzuwerfen: “Ja, das stimmt. Und selten landen Fliegen in der Schüssel eines sterbenden Mannes.”
“Das ist gewißlich wahr”, predigte die Schwester weiter. Dann hielt sie inne, und für einen Moment war eine erholsame Stille. “Das ist nicht aus der Bibel. Woraus ist das? Denn das sage ich Ihnen, wie ich es auch allen anderen sage. Daß der, der sich an die Schrift hält...”
“Nein, das ist nicht aus der Bibel” unterbrach ich sie. “Das war aus Hammershaimbs Anthologie.”
Ich schmiß den Hörer auf die Gabel.
Was nun?
Ich nahm den Hörer, der gerade diese unsanfte Behandlung zu spüren bekommen hatte, wieder in die Hand und rief im Bladet an, Sonjas Arbeitsplatz in den letzten zehn Jahren. Eine Urlaubsvertretung erzählte mir, daß sie nicht so genau wußte, womit Sonja sich befaßt hätte, und daß fast alle Urlaub hätten. Aber ich dürfte gern mal vorbeischauen. Sonjas Büro war noch unberührt, weil Urlaubszeit war. Es war noch keine neue Kraft für sie eingestellt worden.
Vielleicht fand ich dort etwas?