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Es war schon spät am Vormittag, als ich die J.C. Svabosgøta in Richtung Bladet ging. Es war schönes Wetter, die Sonne wollte durchbrechen, aber es war nicht warm. Elf Grad vielleicht. Genau das richtige Wetter für mich.

Von der Schiffswerft her hörte ich Hämmern, ansonsten war es so ruhig, wie es an einem Arbeitstag nur sein konnte. Nur ab und zu fuhr ein Auto vorbei, so daß die Patienten auf der Pflegestation des Zentralkrankenhauses vielleicht mal etwas Ruhe hatten. Die Planung der verantwortlichen Stellen war nämlich genial: Das Krankenhaus ist zu beiden Seiten einer der Hauptstraßen der Stadt gebaut worden. Die Pflegeabteilung, in der Ältere und Schwächere wieder zu Kräften kommen sollen, liegt direkt an der Straße, und jedes Mal, wenn einer der großen LKWs vorbeifährt, erschauert das ganze Gebäude. Vielleicht ist jemand davon ausgegangen, daß die Alten auf dieser Station sowieso taub sind, und ihnen der Lärm der Autos deshalb nichts ausmacht. Oder will man ihnen noch einen zusätzlichen Stoß versetzen?

Ich ging ums Krankenhaus herum, auf dem Fußweg nach Sandagerø.

Als ich an dem alten, grasgedeckten Propsthof vorbeikam, fühlte ich mich für einen Augenblick in die Jahrhundertwende zurückversetzt. Diese Ruhe und Schönheit gehörten nicht in unsere Zeit. Beim Bladet waren sie freundlich und hilfsbereit wie immer. Mir wurde Sonjas Büro gezeigt, und man erlaubte mir, mich umzusehen, so lange ich wollte. Niemand fragte mich, wonach ich eigentlich suchte. Oder warum. Vielleicht weil es Urlaubsvertretungen waren? Oder einfach weil sie selbst es so gewohnt waren, zu suchen, daß sie sich nicht einmischten, wenn ein Kollege Gleiches tat?

Sonjas Büro sah aus, wie es bei Zeitungen auszusehen pflegt. Eine große Unordnung. Papier, Bücher, Zeitungen, DIN A4-Mappen, Ständer mit Bleistiften und Kugelschreibern, Filzstifte in verschiedenen Farben. Ein Aschenbecher, bis zum Rand voll mit Kippen. Wahrscheinlich seit Sonjas Tod nicht geleert. Ich nahm eine Kippe. “Prince Light”. Das paßte zu ihr.

Die Wände waren mit Jute tapeziert und als Pinnwand benutzt worden. Alles mögliche zwischen Himmel und Erde hing hier, aber nichts, was ich in Verbindung mit ihrem Tod bringen konnte - oder mit seinem.

In der obersten Schreibtischschublade lagen eine halbvolle Pakkung Prince Light, ein paar Streichholzschachteln, Füller, Haarspangen und andere Kleinigkeiten. In der zweiten Schublade war auch nichts Spannendes: Menstruationsbinden, eine Packung Tampax medium und Kleenex Papiertaschentücher. In der dritten Schublade standen ein paar leere Bier- und Selterflaschen. Nichts, was auf eine Spur führen könnte. Merkwürdig, oder? Ich sah auf den Computer, der auf einem kleinen Tisch stand. Es gab viele, die ihren Computer als Adreßbuch und Terminkalender benutzten.

Ich stellte den Computer an. Bei der Übersicht des Textprogramms gab es nichts Ungewöhnliches, neue und alte Artikel. Einige von ihnen waren noch in Untergruppen gegliedert.

Ich saß eine Weile und fuhr auf dem Bildschirm hoch und runter. War da etwas, das anders war? Nein, sah nicht so aus.

Es waren auch zu viele Titel, als daß ich sie alle hätte durchsehen können. Einige sagten mir überhaupt nichts. Das war allerdings nicht so merkwürdig, denn die Bezeichnungen mußten kurz sein, und aus diesem Grund waren sie oft unverständlich.

Ich schaute auf die Datierung, die der Computer selbständig bei jedem Titel schreibt. Sie wechselte, aber meistens vor- oder nachmittags, dazwischen mal einer am frühen Abend.

Doch es gab einen Namen, der anders war. Auch, weil er nur aus einem Ausrufezeichen bestand:! Aber noch mehr, weil er um 4.59 geschrieben worden war in der Nacht, in der Sonja aufs Støðlafjall gezogen war. Der Inhalt umfaßte 300 Bites.

Ich gab den Namen ein. Dort stand: 7-dir.

War das nur Blödsinn? Oder englische Computersprache, in der dir directory bedeutet? Oder etwas ganz anderes?

Nach einer Weile sagte ich mir, daß es keinen Grund gab, weiter hier sitzen zu bleiben, ich ließ eine Übersicht über die Dokumente und von dem merkwürdigen “!” ausdrucken. Das Ganze stopfte ich in die Tasche, bedankte mich und zog von dannen.

Während ich in die Stadt ging, murmelte ich den kurzen Inhalt vor mich hin. Ich versuchte, ihm einen Sinn zu entlocken.

Was war der Grund gewesen, daß Sonja um fünf Uhr morgens an ihrem Computer gesessen und 7-dir eingetippt hatte? Die einfachste Erklärung war, daß sie etwas zu trinken bekommen hatte und dasaß und herumspielte. Aber das gefiel mir nicht, denn dann wäre ich wieder bei Null angelangt. Und warum sollte sie morgens um fünf zum Bladet hinausgehen, um mit dem Computer zu spielen?

“Syv-dir”? Computersprache? Das stimmte, aber wo waren diese sieben dirs? “Dir” und “dyr”, was auf färöisch “Tür” bedeutet, werden gleich ausgesprochen. Dir-dyr-Tür? Die Zahl Sieben war in vielen Zusammenhängen bekannt, von Schneewittchen und den sieben Zwergen bis zum siebenarmigen Leuchter. Die Bibel war voll mit Siebenen, vom Schöpfungsbericht bis zu Johannes’ Offenbarung, das Buch mit den sieben Siegeln, das Lamm mit den sieben Hörnern, der Drachen mit sieben Köpfen,... Mir war so, als könnte ich mich an etwas in der Richtung erinnern, daß die Zahl Sieben die einzig unter den Zahlen von 1 bis 10 ist, die man weder erhält, wenn man eine der anderen Zahlen multipliziert, noch bekommt man eine dieser Zahlen, wenn man mit 7 multipliziert. Das sollte ein Zeichen für Isolation und Jungfräulichkeit sein. Vielleicht war meine Erinnerung da nicht ganz richtig, denn Letzteres war nicht gerade besonders charakteristisch für Sonja. Das Spiel konnte man fortsetzen: Seven Up, das Siebengestirn, Syv-dir.

Plötzlich hatte ich eine Eingebung, einen Schuß in den Nebel, und ich hätte nie das Ziel erreicht, wenn ich es anvisiert hätte, aber jetzt stand alles für einen Augenblick still. War es möglich? Hing es so zusammen?

Mild ist die färöische Sommernacht - Ein Färöer-Krimi

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