Читать книгу Mild ist die färöische Sommernacht - Ein Färöer-Krimi - Jógvan Isaksen - Страница 7
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ОглавлениеAls wir mit zwei Stunden Verspätung gebeten wurden, uns ins Flugzeug zu begeben, entdeckte ich Hugo. Er sah aus wie immer, groß, blond und mit einem so mürrischen Gesichtsausdruck, daß man nur selten ohne weiteres mit ihm ins Gespräch kommt. Wir standen in der Schlange zum Flugzeug. Hugo sah sich um und ließ für einen kurzen Augenblick seinen Blick auf mir ruhen. Er verzog keine Miene und drehte mir wieder den Rücken zu.
“Na gut, Alter”, dachte ich, “wenn du keine Lust hast, mit mir zu reden, dann soll es mir recht sein.”
Obwohl es Samstag war, war die Maschine nicht voll besetzt, und ich hatte eine Sitzreihe für mich. Ich sah Hugos Hinterkopf ein paar Reihen weiter vorn in der Nichtraucher-Abteilung. Stimmt, er rauchte ja nicht.
Hugo und ich waren zusammen zur Schule gegangen und beide später nach Dänemark gezogen. Aber seitdem hatten wir uns so gut wie nie getroffen, vielleicht erkannte er mich also gar nicht wieder. Oh doch, natürlich tat er das. Es war typisch für ihn, sich so kurz angebunden und brüsk zu verhalten. Nun gut, ich wollte auch am liebsten in Ruhe gelassen werden und die Zeitung lesen, während ich versuchte, die Ohren gegenüber dem ständiges Gerede der dänischen Handelsreisenden zu verschließen, die immer einen großen, ermüdenden Teil der Passagiere ausmachten.
Das Flugzeug fuhr ans Ende der Rollbahn, nahm Anlauf und stieg fast senkrecht hoch. Einen Augenblick später erlosch die No Smoking-Anzeige, und ich zündete mir eine Prince an.
Wie es wohl mit Hugo und Sonja gelaufen war? Ich wußte, sie waren zusammen. Sonja und ich waren Freunde gewesen, aber zwischen Hugo und ihr lief mehr. Was in den letzten Jahren daraus geworden war, wußte ich nicht.
Sonja Pætursdóttir war einer der Gründe, warum ich nach Hause fuhr. Sie war nämlich vor gut einem Monat gestorben. Ich selbst hatte mich eine Zeitlang in Rom aufgehalten und versucht, dort etwas auf die Beine zu stellen. Vor ein paar Tagen war ich nach Kopenhagen zurückgekommen, und bei dem Nachbarn, der meinen Briefkasten geleert hatte, lag die Nachricht.
Und auch ein Brief von Sonja. Abgestempelt Anfang Mai. Wir schrieben uns nur selten. Normalerweise nichts Ernstes, Klatsch und Tratsch, Neues über Dieses und Jenes.
Ich schnitt ihren Brief auf, wobei mich der Gedanke durchfuhr, daß ich die Schreiberin niemals wiedersehen würde. Es klang wie in ihren üblichen Briefen: “Lieber Hannis. Während du dich draußen in der weiten Welt amüsierst, muß ich im Nebel herumsitzen und versuchen, etwas zustande zu bringen. Hier ist nur Streit und Unzufriedenheit. Es wird öffentlich gespart, während die Steuern erhöht werden, und der Preis für einen Kindergartenplatz steigt und steigt. Ja, du weißt nicht viel vom Ernst des Lebens, mutterseelenallein, wie du bist. Aber das ist wohl auch nicht immer so lustig? Es tut jedenfalls mal gut, sich ein wenig beklagen zu können. Aber wo bist du, ich habe seit Wochen versucht, dich anzurufen, doch du antwortest nicht. Ruf mich mal an, mein Schatz, wenn du zurückkommst, es gibt etwas, was ich dich fragen will. Es kann sein, daß Elsa und ich es uns dieses Jahr leisten können, wegzufahren. Und das soll eine richtige Reise werden. Nicht nur 14 Tage an der Costa del Sol oder auf Mallorca. Die besten Grüße Sonja. PS. Meine Laune ist gar nicht so schlecht.”
Elsa war Sonjas sechsjährige Tochter. Die beiden hatten die ganzen Jahre über allein gewohnt. Wer der Vater war, wußte ich nicht. Sonja war nicht der Meinung, daß es irgend jemanden etwas anginge.
Der Brief war nicht anders als sonst. Sonjas Briefe waren meist kurz, und während ich die wenigen Zeilen las, fühlte ich, daß ich sie vermißte. Wir hatten uns nicht oft gesehen, aber es gab ein Gefühl der Sicherheit, daß sie da war. Und jetzt war sie nicht mehr da. Ich war kurz davor, mit mir selbst Mitleid zu bekommen, weil mir bekannte Leute einfach wegstarben, wenn ich ihnen mal den Rücken zukehrte.
Eine Stimme bat mich auf Dänisch, meinen Tisch herunterzuklappen. Ein Tablett mit dem Üblichen wurde vor mich hingestellt, und eine reizende Repräsentantin der Kosmetikindustrie fragte mich, ob ich etwas zu Trinken wünsche.
Ich hatte geplant, mir zwei Kognak, einen Gin und Tonic zu bestellen - Bier hatte ich genug getrunken, bevor ich an Bord ging, und ich hatte keine Lust, die ganze Zeit zur Toilette zu laufen - aber um einen guten Eindruck auf die Stewardeß zu machen, strich ich den Gin. Sie sollte nicht auf die Idee kommen, ich würde trinken.
Die färöischen Zeitungen, die sich in meiner Wohnung gestapelt hatten, während ich in Rom gewesen war, berichteten von Sonjas Tod. Es war eine Versammlung oder ein Treffen - die Zeitungen waren sich nicht einig in der Wortwahl - auf dem Støðlafjall zwischen Gøta und Søldajførður gewesen. Im Sommerhalbjahr ins Gebirge zu gehen, war eine alte Tradition, die die Arrangeure wieder aufleben lassen wollten. Im Unterschied zu früher wollten die Leute die ganze Nacht oben bleiben und dort auf den Sonnenaufgang warten - ähnlich wie bei der Mittsommernacht auf dem Skælingsfjall - und ansonsten Lagerfeuer machen und färöische Lieder singen. Sonja Pætursdóttir war nicht in Begleitung gekommen, aber viele ihrer Bekannten waren dort gewesen. Irgendwann im Laufe der Nacht verschwand sie. Die, denen das auffiel, dachten, sie wäre nach Hause oder irgendwoanders ins Gebirge gegangen. Es waren mehr als 100 Leute dabei gewesen, deshalb konnte man nicht auf jeden einzelnen achten. Erst am nächsten Tag, als eine Frau aus Gøta nach ihrer fortgelaufenen Kuh suchte, wurde Sonjas Leiche gefunden.
Viel mehr hatte nicht in den Zeitungen gestanden, nur etwas darüber, daß die Organisatoren in Zukunft dafür zu sorgen hätten, daß Teilnehmer dieser Treffen nicht herunterfielen. Die Behörden sollten Bestimmungen erlassen, und jemand meinte, diese Treffen des Nachts im Gebirge sollten verboten werden, weil sie nur zur Hurerei führten und zum Alkoholgenuß. Ich hatte nicht übel Lust, an so einer Versammlung teilzunehmen.
Es war nicht auszuschließen, daß Sonja heruntergefallen war. Wenn man genug intus hat, ist das gar nicht so schwer. Aber es gab Einiges, was mir nicht gefiel. Zunächst konnte ich mir Sonja überhaupt nicht im Gebirge vorstellen. Sie ging keine zwei Schritte, wenn sie stattdessen Auto fahren konnte. Stets trug sie hochhackige Schuhe und einen engen Rock, und mit einem Sektglas in der Hand fühlte sie sich wohler als mit dem Liederbuch des Färöischen Volkes. Gab es überhaupt jemanden auf den Färöern, der sich meines Wissens in der Nähe des Yuppi-Stils bewegte, dann war es Sonja. Ihr Problem dabei war, daß sie nicht genug Geld hatte. Natürlich konnte sie ihren Stil geändert haben, aber das glaubte ich nicht.
Und dann der Brief an mich. Es war nicht sicher, daß es etwas bedeutete, aber trotz des leichten Tons kam es mir so vor, als hätte sie einen ernsthaften Grund, mit mir zu reden. Denn wenn wir miteinander telefonierten, war fast immer ich es, der anrief. Wenn sie also wochenlang versucht hatte, mich anzurufen, mußte das etwas bedeuten.
Aus Kopenhagen hatte ich die Polizeiwache in Tórshavn angerufen und mit einem alten Schulfreund gesprochen, der jetzt Kriminalbeamter war. Er erzählte mir, daß der Vorfall auf Støðlafjall als ein selbstverschuldeter Unfall registriert worden war. Auf meine Frage, ob es nicht irgendetwas Ungewöhnliches an diesem Unfall gab, wollte er zunächst nichts sagen, aber dann kam es:
“Es gibt ein merkwürdiges Detail bei Sonja Pætursdóttirs Tod. Sie ist zu weit gefallen, bevor der Körper auf den Felsen aufgeprallt ist. Als hätte sie Anlauf genommen.”