Читать книгу Mild ist die färöische Sommernacht - Ein Färöer-Krimi - Jógvan Isaksen - Страница 17
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ОглавлениеStimmen. Weit weg redete jemand. Mir war übel und ich war vollkommen kraftlos, ich schaffte es nicht, mich zu übergeben, schaffte es nicht, zur Besinnung zu kommen. Die Stimmen kamen näher, wurden deutlicher. Ich versuchte, sie zu ignorieren, wollte nichts hören, nur meine Ruhe haben.
Aber die bekam ich nicht. Jetzt merkte ich, daß da jemand an mir zog, mich rüttelte, die Schmerzstöße durchschnitten meinen Kopf wie ein Messer, und dann schoß es aus mir heraus. Irgendjemand hob mich hoch und hielt meinen Kopf nach unten, während es aus mir herausquoll, bis nur noch grüner Schleim von meinen Lippen tropfte. Die Schmerzen in meinem Kopf waren nicht fort, aber ich fühlte mich etwas besser und kam unsicher auf die Beine.
Zwei Männer standen vor mir. Den einen kannte ich nicht, er trug eine Polizeiuniform, war groß, schlacksig und jung. Er versuchte energisch auszusehen, aber ganz offensichtlich fehlte ihm die Erfahrung dafür.
Die hatte dafür der andere, mein alter Bekannter. Es war der gleiche, mit dem ich von Kopenhagen aus wegen Sonja telefoniert hatte. Er war von mittlerer Größe und ein wenig korpulent, sah freundlich und entgegenkommend aus. Er ähnelte einem netten Vater, der er auch war, aber man brauchte nicht weit hinter die Fassade zu schauen, dann stieß man auf eine ungewöhnliche Willensstärke. Ich kannte ihn seit vielen Jahren und wußte, daß er das, was er sich vorgenommen hatte, auch durchführte. Er hieß Karl Olsen. Wir sprachen miteinander, wenn wir uns trafen und waren halbwegs Freunde. Wie man sich anfreundet, wenn man sich schon immer gekannt hat. Es gibt so vieles Gemeinsames, was verbindet.
Karl sah mich fragend an, sagte aber nichts.
“Habt ihr ihn erwischt?” quäkte ich.
“Es war niemand außer dir hier, als wir kamen”, sagte Karl. “Und das ganze Haus war auf den Kopf gestellt”, fügte er hinzu.
“Du brauchst mich gar nicht so anzusehen”, erwiderte ich, während ich vorsichtig mit der Hand meine rechte Kopfseite berührte. Da war es klebrig. Dieses Mal hatte dieser Schurke mich also blutig geschlagen. “Das war schon, als ich gekommen bin.” Für einen Moment war Stille. “Woher wißt ihr eigentlich, daß ich hier bin?” fragte ich schließlich.
“Die Nachbarn haben angerufen. Sie wußten, daß das Haus versiegelt war, und dann haben sie einen Mann auf den Hof gehen sehen - die Beschreibung des Mannes paßte auf jemanden den ich kenne, leider - und als er nicht zurückkam, da haben sie uns angerufen.”
“Was zum Teufel machst du hier?” fuhr er schroff fort. “Wir waren heute nacht hier und haben den Mann geholt, der hier wohnt, ...gewohnt hat”, korrigierte er sich, “hier im Haus. Er lag tot im Keller. Und als ob das nicht reicht, da finden wir dich heute bewußtlos im gleichen Haus, und nicht nur das Siegel ist aufgebrochen, sondern auch noch ein großer Teil der Einrichtung zerstört.”
Er hielt inne. Und jetzt wurden seine blauen Augen kalt und hart wie Gewehrmündungen. “Warst du es, der uns angerufen hat?” Ich hob eine Hand, um ihn zu bremsen, bevor er noch verbissener wurde. “Ja, das war ich, und ich werde dir das Ganze erklären.” “Da kannst du sicher sein, daß du das wirst.” Mein Bekannter sah nicht aus, als hätte ihn mein Geständnis sehr viel milder gestimmt.
Der Kaffee in öffentlichen Institutionen und Büros ist meiner Erfahrung nach nur selten trinkbar. Er ist viel zu stark und viel zu bitter und in der Regel nur lauwarm. So auch der Kaffee auf dem Polizeirevier, wo ich zwei Stunden lang saß, um meinen Bericht zu wiederholen. Dafür wechselten Karl und der Leiter der Kriminalpolizei, ein Mann von Suðuroy in den 50ern, sich damit ab, mich auszuschelten. Und sie nahmen dabei kein Blatt vor den Mund. Dieses Mal sollte ich noch davonkommen und das nur, weil sie so nett waren, aber beim nächsten Mal würden sie mich einlochen.
“Ja, ja, ich habe kapiert”, seufzte ich müde und erschöpft, fast gelähmt von den Kopfschmerzen. “Ihr habt meine Entschuldigung bekommen, und ich werde es nie wiedertun. Liebe Mama”, fügte ich leise hinzu.
“Verdammt noch mal, Hannis, jetzt nimm dich aber in Acht”, sagte der Vorgesetzte wütend. “Wir wollen keinen Ärger mehr mit dir haben. Wenn du anderer Meinung bist, mußt du umdenken.” Er ging hinter dem Schreibtisch hin und her, während Karl auf der anderen Seite saß und mit den Beinen baumelte. Er schaute auf seine Schuhe herab, aber mir schien, als sähe ich ein Lächeln in seinen Mundwinkeln.
“Ich finde es nur merkwürdig, daß ihr Sonjas und Hugos Tod nicht weiter untersucht. Sie ist vom Støðlafjall gestürzt, und einen Monat später fällt er die Kellertreppe hinunter und bricht sich den Hals. Beides Zufälle?”
“Ich kann nichts Merkwürdiges daran entdecken”, unterbrach Karl mich. “Es ist mehr als wahrscheinlich. Sonja hatte zuviel gebechert und ist hinuntergestürzt. Daß der Körper zu weit gefallen ist, bevor er aufprallte, kann an allem Möglichen liegen. An einem Aufwind zum Beispiel. Und an der Tatsache, daß Hugo die Kellertreppe hinunterpurzelt und so unglücklich fällt, daß er sich den Hals bricht, daran ist auch nichts Außergewöhnliches. Er hat gern das eine oder andere Glas gekippt, und in den letzten Jahren war er selten nüchtern. An jedem einzelnen Todesfall für sich ist nichts Außergewöhnliches dran. Und selbst wenn man die beiden miteinander verbindet, kann ich keinen Zusammenhang entdecken. Nichts plus Nichts ergibt ... Nichts.”
Er hatte sich warm geredet bei dem Versuch, mich davon zu überzeugen, daß alles ganz normal vor sich gegangen war. “Und es gibt keinen Grund, daß du herumläufst und dir alles Mögliche vormachst und die Dinge verdrehst.”
“Dann war die Person, die mich oben in Hugos Zimmer zusammengeschlagen hat, vielleicht auch eine Einbildung? Und das Versteck? Und was ist mit gestern abend?”
Der ältere Kriminalbeamte sah mich müde an. Er wollte nicht mehr. “Unserer Einschätzung nach war es ein Einbruch. Es spricht sich schnell rum, wenn jemand tot ist, und es gibt eine ganze Menge Halunken in dieser Stadt, die auf eine solche Idee kommen könnten. Du bist da hereingestürmt und dann niedergeschlagen worden. Was das Versteck und gestern abend angeht, so wissen wir nur das, was du uns erzählt hast.” Man konnte ihm ansehen, daß sein Vertrauen diesbezüglich nicht besonders groß war.
Mir blieb nichts anderes übrig, als zu gehen.
Karl brachte mich zur Haustür. “Du mußt unsere Situation verstehen. Wir haben nichts Außergewöhnliches entdeckt, und du willst, daß wir nach Mördern suchen. Wo sollen wir suchen? In welcher Richtung? Es gibt nichts, wonach wir suchen könnten. Laß Sonja und Hugo in Frieden ruhen.”
Im gleichen Augenblick, als ich Karl etwas erwidern wollte, kam eine dunkelhaarige Frau vorbei. Auf unserer Höhe blinzelte sie mir schnell zu und zwinkerte mit einem Auge. Ich blieb stehen, drehte mich um und schaute hinter ihr her, während sie den Flur entlang ging. Es war das Mädchen mit dem Keuschheitsgürtel. “Guckst du den Mädchen hinterher? Ja, ja, wenn ich nicht verheiratet wäre und keine Kinder hätte...” Karl klang sehnsuchtsvoll und ironisch zugleich.