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Ich saß in der Zentralbibliothek, einen Stapel Bücher vor mir. Es waren Bücher über die Färöer. Ich suchte nach Sjeyndir. Mein Schuß in den Nebel lief darauf hinaus, daß 7-dir Sjeyndir bedeutete - “sjey” bedeutet auf färöisch “sieben”, also die Bucht mit den Grotten auf der Nordseite von Streymoy. Ich wußte nicht warum, aber so ein Wortspiel war Sonja zuzutrauen, damit man nicht direkt sehen konnte, woran sie arbeitete. Ich verstand es zwar nicht, suchte aber nun nach Informationen über die Grotten.

Jørgen-Frantz Jacobsens Chronik kam mir als erstes in den Sinn. Ich hatte sie vor vielen Jahren gelesen und als fesselnde Beschreibung in Erinnerung. “Die äußerste Küste” hieß sie, und die wichtigste Schilderung der Grotten lautete folgendermaßen: “Wir kamen immer tiefer, und es wurde dunkler und dunkler. Aber als wir 50, 60m erreicht hatten, drang wieder Licht in die Höhle. Es kam von der Seite durch ein weit oben liegendes Fenster und offenbarte ein zyklopisches Interieur. Mitten in der Grotte stand eine Säule. Sie war so dick wie ein Turm und trug allein das ganze Gewicht eines phantastisch konstruierten Gewölbes. An dieser Stelle kreuzten sich zwei Grotten. Der lange Gang, durch den wir herein gekommen waren, wurde im rechten Winkel von einem anderen gekreuzt, und beide setzten sich bis weit in die Gebirgsmassen hinein fort. Wir waren nicht in einer Höhle, sondern in einer Höhlenformation.

In der grünlichen Schwärze des Wassers lagen ein paar Seehunde und beobachteten uns, stumm und neugierig wie die Repräsentanten einer anderen Welt. Die Dunkelheit verdichtete sich hinter uns. Weit drinnen, am Ende des einen Grottenganges, leuchtete ein weißer Sandstrand. Aber das Wasser war zu unruhig, als daß wir diese schwierige Passage rudernd hätten bewältigen können. Der andere Grottengang verlor sich in absoluter Dunkelheit. Mein Führer hatte noch nie das Glück gehabt, ihn erforschen zu können, und heute war es ganz unmöglich, sich in diese Katakombe hineinzuquetschen. Wir mußten uns an die große Säulenhalle halten, in ihr blieben wir lange und schaukelten auf den Wellen, überwältigt von der dämonischen Dämmerung und dem titanischen Lärm. Wir kehrten durch ein anderes Portal zur Welt zurück. Der freie, gesunde Atem des Meeres schlug uns entgegen und erleichterte mein Herz von einem unbeschreiblichen Druck.”

Schon bei Jørgen-Frantz Jacobsen war offensichtlich, daß man in die Nähe der Grotten nur bei völlig windstillem Wetter kam. War denn kein Bild von Sjeyndir in einem der Bücher? Ich selbst war auf Streymoy nie weiter nördlich als bis Trørnuvík gelangt, darum hatte ich keine Ahnung, wie es bei Sjeyndir aussah.

In vielen Büchern wimmelte es nur so von schönen Fotos der verschiedensten Ecken auf den Färöern, und mehrere Male war ich schon nahe dran, bei den Gebirgen nördlich von Saksun. Erst in dem Fotoband des Franzosen Franceschis gab es ein Foto von der Felswand bei Sjeyndir. Das Bild sagte mir nicht besonders viel. Es war schwarzweiß und zeigte eine rauhe Felswand, die ins Meer herabfiel.

Die Formationen ähnelten Elefanten. Den Elefanten von Carlsberg. Mit gesenkten, zum Angriff bereiten Köpfen.

Ich schob die Bücher zur Seite, lehnte mich auf dem Stuhl zurück und versuchte nachzudenken.

Wenn wir davon ausgehen, daß Sonja mit 7-dir Sjeyndir gemeint hat, warum hat sie es in den Computer getippt? Ich konnte keinen Sinn darin sehen, daß Sonja mitten in der Nacht zum Bladet fuhr, um 7-dir in den Computer zu tippen. Ob es nun Sjeyndir bedeutete oder nicht, und daran zweifelte ich langsam. Welche Bedeutung konnte Sjeyndir für sie haben? Ich war mir fast sicher, daß sie nie dort gewesen war.

Da mußte etwas anderes dahinter stecken. Aber was? Und wo könnte ich das finden? Die kurze Erläuterung war im Computer, also war die Chance, daß die Beschreibung auch dort war, ziemlich groß. Oder jedenfalls ein Stichwort.

Die Jobliste, die ich mir im Bladet ausgedruckt hatte, sah jetzt immer noch genauso normal aus wie auf dem Bildschirm. Artikel, Reportagen. Gewöhnliche Zeitungsarbeit.

Die Übersicht umfaßte mehr als ein Jahr, deshalb war sie lang, und es dauerte eine Weile, ehe ich sie durchgesehen hatte. Das ganze sah ziemlich gewöhnlich aus, aber dessen konnte ich nicht sicher sein, bevor ich jeden einzelnen Job im Computer untersucht hatte. Das würde mehrere Tage dauern, deshalb suchte ich nach einem anderen Ausweg.

War da überhaupt etwas, nach dem ich suchen konnte? Es war ziemlich hoffnungslos.

Ich studierte die Liste erneut. Was stand da? Was hatte da schon die ganze Zeit gestanden: <DIR>. Sonja hatte einen Teil ihres Materials in Unterbibliotheken geordnet, und jede Unterbibliothek bekam den Nachsatz <DIR>.

7-dir konnte also Nummer sieben bedeuten. Hatte Sjeyndir also gar nichts mit der Sache zu tun?

Ich zählte bis zum siebten dir, das hieß: Krieg. Ich konnte mich dunkel daran erinnern, daß Sonja vor geraumer Zeit eine Artikelserie über den 2. Weltkrieg geschrieben hatte. Anlaß für diese Serie war, daß es am 1. September dieses Jahres50 Jahre her war, seit die größte Götterdämmerung in der Geschichte der Menschheit begonnen hatte. Die Chance, daß ich in diesem Material etwas finden würde, war nicht sehr groß. Ich wußte ja gar nicht, ob Sonja mit dem rätselvollen “7-dir” überhaupt auf dieses Material hinweisen wollte. Auf jeden Fall mußte ich noch mal zum Bladet.

Die Sirene der Schiffswerft hatte mir vor ein paar Minuten mitgeteilt, daß jetzt Mittagspause war. Also mußte ich ein oder zwei Stunden warten.

Im Ausland hatte ich mich daran gewöhnt, abends Mittag zu essen, deshalb war ich nicht besonders hungrig. Was sollte ich machen, bis ich an den Computer herankonnte?

Ich dachte erneut nach. Ich mußte aufpassen, daß das nicht zu einer Gewohnheit wurde. Jetzt war es Hugo, der mir im Kopf herumspukte. Er wollte etwas von mir, was, wußte ich nicht, und außerdem - ging da nicht etwas Merkwürdiges in seinem Haus vor sich? Irgendjemand hatte Hugo umgebracht und mich niedergeschlagen, und sicher nicht einfach aus lauter Jux, selbst wenn ich einige kannte, die ein Vergnügen daran hätten.

War etwas an Hugos Haus, auf das ich nicht geachtet hatte? Ich war einer Spur nahe, konnte sie aber nicht fassen. Statt dessen fielen mir alle unsere heimlichen Spiele ein. Hugo hatte mir eine unsichtbare Schrift beigebracht. Mir war so, als schriebe man mit Zitronensaft, und das Geschriebene kam zum Vorschein, wenn man das Papier ans Feuer hielt. Hugo liebte solche Geheimniskrämerei. Er hatte immer noch ein Versteck in seinem Zimmer. Ich sprang auf. Das war es, was in meinem Kopf herumgespukt war. Hugos Versteck im Hohlraum unter den Fußbodenbrettern. Man mußte den Teppich ein bißchen wegziehen, ein Brett anheben, und schon war da ein ganz nettes Versteck.

Ich trug die Bücher zum Tresen, aber die Bibliothekarin war so mit dem Radio beschäftigt, daß sie mich kaum wahrnahm, als ich mich verabschiedete und ging.

Mild ist die färöische Sommernacht - Ein Färöer-Krimi

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