Читать книгу Mild ist die färöische Sommernacht - Ein Färöer-Krimi - Jógvan Isaksen - Страница 9
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ОглавлениеVor dem Bierclub Ølankret warteten immer Leute, die versuchten, die Mitglieder zu überreden, sie mit hineinzunehmen. Man konnte nur als Mitglied oder Gast eines Mitglieds hineingelangen. Es war verboten, Leute von der Treppe mitzunehmen, aber das wurde nicht immer beachtet.
Als sie mich allein kommen sahen, kam es fast zu einem Tumult. “Nimm mich doch mit rein!” - “Ach, Schätzchen! Können wir beide nicht mit dir rein?” - “Ei, Alter! Bist du allein?”
Ich zwängte mich durch die Menge und sagte, daß sich da nichts machen lasse. Ich würde später Gäste bekommen. Ich war schon zu lange Mitglied, um mich darauf einzulassen, irgendwelche Leute mit hineinzunehmen.
“Arschloch!” dröhnte es mir noch in den Ohren, als ich die Tür zur Bar öffnete. Es war nach Mitternacht und deshalb überfüllt. Die Stimmung war laut und heftig, und mit der Musik aus dem Tanzraum oben ergab sich ein kakophonisches Erlebnis. Der Rauch hing so dicht unter der Decke, daß ich an Opiumhöhlen denken mußte.
Ich grüßte nach rechts und links, ich kannte eine ganze Reihe Gesichter und wurde immer wieder gefragt, wann ich gekommen war und wann ich wieder abreisen würde. Als ich es 10, 20mal erklärt hatte, nahm die Welle der Fragen ab, und ich kam an die Bar.
Mit einem doppelten Gin Tonic in der einen Hand und einer Zigarette in der anderen setzte ich mich an einen Tisch, bereit, mich zu amüsieren und gutzuheißen, was sich mir so bot.
Kurz vor der Sperrzeit, als das summende Geräusch der Redenden seinen Höhepunkt erreichte, sah ich Hugo. Er stand mitten im Raum, vornübergebeugt und die Augen geschlossen. Die vielen Menschen, die zwischen dem ersten Stock und der Bar hinund herwogten, nahmen ihn wie ein Strom in verschiedene Richtungen mit. Er selbst war nur halb anwesend und ließ sich mitreißen.
Plötzlich öffnete er die Augen und sah mich direkt an.
“Hannis”, brüllte er. “Alter Freund, willst du einen Schluck?” Er zog eine halbe Flasche hervor. Ich ging zu ihm hinüber und konnte ihn dazu bringen, die Flasche wieder in die Tasche zu stecken. Ansonsten hätte es nur damit geendet, daß wir beide rausgeschmissen worden wären.
Hugo hing schwer und willenlos an mir.
“Ich habe dich heute wohl gesehen, aber ich konnte nicht mit dir reden.”
Seine Zunge verhaspelte sich, und er sprach so undeutlich, daß ich kaum verstehen konnte, was er in all dem Lärm sagte.
“Ich weiß nämlich was, was du nicht weißt”, er versuchte, gerissen auszusehen, aber das einzige, was dabei herauskam, waren ein paar unschöne Grimassen.
“Und was weißt du?”, fragte ich.
“Das sage ich nicht”, murmelte Hugo.
Ich versuchte mich von ihm zu befreien, aber er krallte sich fest und drückte sein Gesicht dicht an meins. Unsere Nasen berührten sich.
“Hast du gewußt, daß Sonja und ich wieder zusammen waren?” - “Nein, das hast du nicht gewußt”, fügte er selbst hinzu, und erstickte mich fast in saurem Schnapsatem. “Wir wollten heiraten. Das hat sie mir versprochen, und jetzt ist sie tot.”
Ich konnte mein Gesicht wegdrehen, so daß ich dem schlimmsten Gestank entging. Tränen liefen über Hugos Wangen. Das auch noch.
Irgendwie schaffte ich es, ihn in eine Ecke zu bugsieren, in der es zwei Sitzplätze gab.
“Also, das ist dein Geheimnis, Hugo?”, fragte ich, vor allem, um überhaupt etwas zu sagen. Die Tränen versiegten, und er sah mich überrascht an.
“Geheimnis, von was für einem Geheimnis redest du da?”
“Du hast doch gerade eben gesagt, daß du was weißt, was ich nicht weiß.”
Er überlegte einen Augenblick, seine Augen waren nur halb geöffnet.
“Ach das, das ist was ganz anderes.”
“Was ganz anderes? Hat das auch was mit Sonja zu tun?”
Jetzt starrte er mich prüfend an. Er sah halbwegs nüchtern aus und schien nachzudenken. Endlich faßte er einen Beschluß, lehnte sich an mich und flüsterte:
“Ja, es hat was mit Sonja zu tun. Mit ihrem Tod, und deshalb war ich auch in Dänemark. Aber hier können wir darüber nicht reden. Das ist viel zu gefährlich.” Er warf einen Blick in die Runde. Dachte kurz nach.
“Ich wohne im alten Haus meiner Eltern. Komm morgen abend um neun da vorbei.”
Jetzt war ich neugierig geworden, auch wenn ich mir selbst zu sagen versuchte, daß es ja nur Hugo war. Hugo, der oft “Ideen ” hatte.
“Können wir uns nicht früher treffen?”
“Nein, ich muß vorher noch was erledigen.” Das Nüchterne verschwand wieder, und er sank in sich zusammen, schlief beinahe ein.
Was Hugo wohl damit meinte, daß es zu gefährlich war, hier zu reden? Und was hatte er in Dänemark gemacht? Ich schaute ihn an. Er war vollkommen weg. In dieser Nacht war nichts mehr zu machen.
Ich stand auf, um noch etwas an der Bar zu holen, bevor sie schloß. Auf dem Weg dorthin lief ich in eine dunkelhaarige Frau mit einer Prinz Eisenherz-Frisur. Ihr Gesicht war weiß und ein wenig puppenartig, mit dunkelroten Lippen und funkelnden dunklen Augen. Sie summte lächelnd vor sich hin, trug ein schwarzes Minikleid mit breitem, glänzendem Gürtel.
“Hast du Feuer?” Sie blieb stehen.
Ich gab ihr Feuer, und während sie inhalierte und den Rauch wieder ausblies, betrachtete ich den Gürtel. Es war auf alle Fälle der größte Gürtel, den ich je gesehen hatte. Und der merkwürdigste. Selbst die Bulldozerfahrer haben nicht so breite Gürtel. In der Mitte war eine große Metallplatte mit einem Ornament.
“Was um alles in der Welt ist das für ein Gürtel?”
Sie schob neckisch die Hüfte vor und sah mich herausfordernd an. “Das ist ein Keuschheitsgürtel. Eine Frau muß schließlich auf sich aufpassen.” Dann folgte ein perlendes Lachen, sie wandte sich ab und lief die Treppe hinauf, von wo der Ententanz zu hören war.
Das Trampeln brachte die Lampen zum Schaukeln. Vielleicht ein Bild dessen, was kommen sollte?