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1. Kapitel Die Erdkugel

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Meine früheste Jugend verlebte ich auf dem trauten elterlichen Hofe Mödruvellir in Nordisland. Die blühende Wiese, die vor dem Hofe lag, war der bevorzugte Platz meiner kindlichen Spiele. Im Sommer trieb ich mich dort an sonnigen Tagen oft ganz allein im hohen Grase herum. Die Blumen waren meine liebsten Spielkameraden. Ich lief von der einen zur anderen und liebkoste sie in kindlicher Begeisterung.

An einem schönen Sommertag, als ich gerade draußen im Garten war, mitten unter den Blumen, wurde plötzlich ein Fenster an der Giebelseite des Hauses geöffnet. Ich schaute hin und gewahrte sofort meine Schwester Bogga in der Fensteröffnung. — Bogga spähte nach der Wiese aus und entdeckte mich bald.

„Nonni!“ rief sie mir freundlich zu, „komm doch schnell herein — da wirst du etwas Schönes zu sehen bekommen.“

„Was ist es denn, Bogga?“ rief ich zurück.

„Es ist etwas ganz Merkwürdiges. Mutter ist auch hier im Zimmer, sie wird es dir zeigen und erklären.“

Ich wurde neugierig. Und als Bogga das Fenster geschlossen hatte, lief ich, so schnell mich meine kurzen Beine tragen konnten, ins Haus hinein.

Als ich in die Stube kam, entdeckte ich auf dem Tisch nahe beim Fenster eine merkwürdige Kugel, ungefähr so groß wie der Kopf eines Menschen. Die Kugel war bläulich gefärbt und stand auf einem schwarzglänzenden, schönen Säulchen. Voll Erstaunen schaute ich mir das merkwürdige Ding einige Minuten an. Es war mir unmöglich zu erraten, was es eigentlich sein sollte. Ich warf einen Blick nach meiner Mutter. — Auch sie betrachtete mich und lächelte mir zu.

„Aber, liebe Mutter“, brach ich endlich aus, „was soll denn diese Kugel hier bedeuten?“

„Kannst du das nicht erraten, Nonni?“ entgegnete sie.

Ich dachte einen Augenblick nach, dann sagte ich zu meiner Mutter: „Ich glaube, es ist ein Spielzeug.“

„O nein, Nonni, das ist es nicht. Schau dir die Kugel doch etwas näher an.“

Ich schleppte einen Stuhl bis zum Tische hin und kletterte darauf, um die geheimnisvolle Kugel ganz aus der Nähe betrachten zu können. Jetzt sah ich deutlich verschiedene Zeichnungen, die wie große Flekken oder Wolken aussahen.

Was konnte das wohl sein? Auf einmal entdeckte ich auch noch Buchstaben und Wörter. Aber da ich es damals im Lesen noch nicht sehr weit gebracht hatte, so wurde es mir recht schwer, etwas davon zu verstehen.

„Liebe Mutter“, sagte ich schließlich, „komm doch und erkläre mir, was diese Zeichen und Buchstaben bedeuten sollen.“

„Versuche erst einmal selbst, mein kleiner Nonni, es herauszufinden. Dann komme ich zu dir und erkläre dir das Ganze.“

Jetzt schob ich mich ganz nah zur Kugel hin, wählte eines der kürzesten Wörter und versuchte es zu buchstabieren. Und wahrhaftig, es gelang mir. Denn bald hatte ich das Wort heraus. Es war England. Ich wußte, daß ein großes Land, nicht weit von uns entfernt, England hieß. Voll Freude rief ich: „Mutter! Hier steht England. Ich habe es ganz allein herausgefunden.“ Lächelnd erhob sich die Mutter und kam zu mir hin.

„Das muß ich loben, Nonni“, sagte sie, „daß du das ganz allein herausgefunden hast. — Ja, du hast recht, da steht wirklich England.“ Dann zeigte sie mir noch einen ganz kleinen Flecken, nicht weit von England entfernt. Dort stand auch ein Wort.

„Kannst du auch dieses Wort lesen?“ fragte sie mich. Ich fing gleich an zu buchstabieren, und nach kurzer Zeit rief ich wieder triumphierend aus: „Island! — Hier steht ja ‚Island‘, Mutter! Was soll denn das bedeuten?“

„Ja, was mag das wohl bedeuten!“ sagte die Mutter lächelnd. „Das kann wohl nur bedeuten, daß Island dort liegt. Kannst du denn das nicht begreifen, mein kleiner Nonni?“

„Nein, das kann ich nicht, liebe Mutter, denn Island liegt doch im Meer und nicht auf einer Kugel. Und so ist es auch mit England. England kann nicht auf einer Kugel liegen.“ Jetzt lachte die Mutter laut auf und strich mir liebkosend mit der Hand über die Haare.

„Du kleine Unschuld“, sagte sie dann, „dies ist etwas schwer für dich. Doch du hast recht, wenn du sagst, daß Island und England mitten im Meere liegen, denn das tun sie ja auch wirklich. Aber, wenn ich dir nun sagen würde, daß England und Island und das Meer noch dazu, ja alle Meere und Länder der Welt, das heißt die ganze Erde eine große Kugel bilden … was würdest du dann sagen, mein kleiner Nonni?“

Jetzt stand ich sprachlos da, denn ich verstand meine Mutter nicht im geringsten. England und Island und die ganze Erde und alle Meere und alles sollten eine große Kugel sein. Nein, das schien mir unmöglich.

Island war ja doch ein flaches Land mit Bergen darauf. Und auch das Meer war ja flach. Da brauchte man doch nur die Augen aufzumachen, um das zu sehen. Wie konnte die liebe Mutter so sprechen? Das war doch unbegreiflich.

Die Mutter merkte meine Ratlosigkeit. Sie war aber zu gut, um mir nicht gleich zu Hilfe zu kommen. Sie setzte sich auf einen Stuhl und winkte mich zu sich.

Ich lief zu ihr hin, stützte mich auf ihre Knie und sagte: „Aber, liebe Mutter, die Erde ist doch nicht eine Kugel. Sie ist ja ganz flach. Ich bin auf Skipalon gewesen und auch in Akureyri und habe es gesehen.“

„Mein kleiner Nonni, ich verstehe sehr gut, daß du das nicht begreifen kannst. Du bist noch zu klein, aber du kannst mir glauben: die ganze große Erde ist eine Kugel. — Und die Kugel dort auf dem Tisch ist ein richtiges Bild von der Erde.“

Jetzt war nichts mehr zu machen. Ich mußte das Unglaubliche annehmen, denn die Mutter hatte es ja ganz im Ernst gesagt. Aber ein Rätsel blieb es doch.

Auf einen Wink von der Mutter brachte jetzt Bogga die Erdkugel zu uns her. Die Mutter zeigte mir dann die verschiedenen Länder und Meere: Hier waren die Faröer. Dort war Dänemark, dort Schweden, dort Norwegen, auch England, Deutschland, Frankreich und Italien waren da, und das große Atlantische Meer. Alle diese Länder kannte ich schon vom Hörensagen. Dann kamen noch viele größere Länder und Meere, von denen ich noch nie gehört hatte.

Da war unter anderen ein ungeheuer großes Land. Es hieß Rußland. Dort wohnten Russen, sagte meine Mutter. Was für merkwürdige Menschen müssen dies wohl sein! dachte ich bei mir selbst.

Plötzlich drehte die Mutter die Erdkugel auf ihrer Achse herum. Da wurden nun neue Länder und neue Meere sichtbar. Da war das Indische und das Stille Meer. Und da waren geheimnisvolle Länder mit eigenartigen Namen: Afrika, Indien, China, Japan.

Welch merkwürdig klingende Namen! dachte ich in meinem stillen Sinn. Diese Länder waren auf der entgegengesetzten Seite der Kugel.

„Dort sind Menschen, die anders aussehen als wir“, sagte die Mutter, „einige sind schwarz, andere gelb, andere wieder sind braun.“

Guter Gott! Wie merkwürdig war doch das alles!

„Aber Mutter“, rief ich jetzt plötzlich aus, „diese gelben und schwarzen Menschen sind ja ganz unten an der Kugel. Wie können sie sich dort halten, ohne herunterzufallen?“ Auch diese Frage wurde von der Mutter gelöst und erklärt. Die Erklärung konnte ich aber nicht recht verstehen. Sie blieb für mich ein Geheimnis.

Aber von den großen Ländern auf der entgegengesetzten Seite der Erdkugel interessierten mich am meisten die mit den gelben und schwarzen Menschen: Indien, Arabien, China, Japan. Dieses zuletzt genannte Land konnte ich am besten behalten.

Und merkwürdig! So klein und so jung ich noch war, plötzlich wurde in meiner Seele ein leidenschaftlicher Wunsch — oder vielleicht richtiger gesagt, ein fester Vorsatz lebendig: nämlich dorthin zu fahren, wenn ich einmal groß genug sein würde.

Ja ich wollte unbedingt nach diesen geheimnisvollen Ländern reisen … Nach Arabien, Indien, China, Japan! Diese Länder und diese Menschen mußte ich unbedingt sehen … Wie herrlich müßte doch eine solche Reise sein!

Von diesem meinem Vorsatz sagte ich keinem etwas, aber er blieb von diesem Tage an in meiner Seele wohlbewahrt.

Öfters fragte ich meine Mutter über diese Länder und ihre merkwürdigen schwarzen und gelben Menschen aus. Dann erzählte sie mir auch allerlei Schönes und Interessantes darüber.

Ich merkte mir das alles mit größter Sorgfalt und wußte schließlich in vielem über diese Länder Bescheid, besonders über Indien, China und Japan.

Ich wußte, daß in Indien die Menschen meist braun oder schwarz waren. Ich wußte auch, daß das Wetter dort sehr warm war, viel wärmer als bei uns. Ich wußte ferner, daß ungeheuer große Tiere dort zu finden waren, die gewaltigen Elefanten nämlich. Die meisten der Einwohner Indiens waren Heiden, nur einige wenige Christen gab es unter ihnen. Ich erfuhr auch, daß zur Zeit, als die Indier fast alle noch Heiden waren, ein berühmter Mann von Europa dorthin gefahren war, um ihnen das Christentum zu predigen. Er hieß Franziskus Xaverius und hatte in Japan und in anderen asiatischen Ländern und Reichen viele Menschen zum Christentum bekehrt. Auch Wunder soll er gewirkt haben. So heilig war er.

Ich bekam große Achtung vor diesem Manne, und da meine Mutter mir erzählte, daß er für die Japaner und ihr Land eine große Vorliebe gehabt hatte, zog es auch mich dorthin.

Und so kam es denn, daß von allen Ländern an der andern Seite der Erdkugel Japan mir am besten gefiel, und daß ich fest entschlossen war, dorthin zu reisen, wenn ich einmal groß sein würde.

Mit dem Großwerden schien es mir freilich etwas zu langsam zu gehen. Das Wachsen braucht eine so merkwürdig lange Zeit.

Die Erdkugel aber bekam einen bestimmten Platz in der Stube. Ich ging oft dorthin und versuchte den Weg von Island nach Japan herauszufinden.

Zuerst wollte ich von Island aus mit dem Schiff über das große Atlantische Meer fahren. Dann kam ein Land, das noch viel größer zu sein schien als Island. Auf der Erdkugel sah es zwar nicht besonders groß aus, aber wenn ich es mit Island verglich, dann kam es einem sehr groß vor. Es hieß Amerika, und da mußte man quer durch.

Auf der andern Seite von Amerika kam wieder ein Meer. Das war noch größer als das Atlantische. Es hieß das Stille Meer und dehnte sich bis Indien, Japan und China aus.

Ja, diese Reise mußte ich unbedingt machen.

Doch die Zeit schritt voran. Es vergingen Wochen, Monate und Jahre.

Ich selber wurde größer und größer, und neue Pläne und neue Ereignisse kamen und warfen die ersten um, und so geschah es, daß die Japanreise noch immer nicht zustande kam.

Aber die Sehnsucht nach der Ferne blieb, und als ich zwölf Jahre alt geworden war, kam eine große Veränderung in mein Leben hinein: ich verließ mein Vaterland Island, um fortan in anderen Ländern zu leben.

Davon habe ich in den Nonni-Büchern erzählt. —

Nonnis Reise um die Welt

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