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Der Traum von der künstlichen Haihaut als technischem Produkt

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Als der Tübinger Paläontologe und Zoologe Professor Wolf-Ernst Reif in den 1970er-Jahren die Haut fossiler und rezenter Haiarten unter dem Mikroskop untersuchte, fiel ihm auf, dass die bezahnten Hautplättchen oberseits von feinen Längsriefen und Rippen mit scharfen Firsten (Riblets) durchzogen sind. Und nicht nur das: Jede Schuppe verlängert diese Rippen-und-Rillen-Struktur zu ihren Nachbarn, sodass sie alle in Strömungsrichtung vom Kopf zum Schwanz verlaufen. Diese Strukturen sind insbesondere bei schnell schwimmenden Arten sehr ähnlich und fein ausgeprägt, wie zum Beispiel den Hammerhaien (Sphyrna spp.). Reif schloss daraus, dass diese Rillenmuster von drei bis sieben Riblets je Plättchen etwas mit der enormen Schwimmgeschwindigkeit dieser Haie von bis zu 70 Stundenkilometern zu tun haben. Dies stand nun ganz im Gegensatz zur gängigen Lehrmeinung der Physiker, wonach Körper umso schneller durch Wasser gleiten, je glatter deren Oberfläche ist.

Reif reichte seine Erkenntnisse an den Strömungsforscher Dietrich W. Bechert von der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Berlin weiter, der wiederum 100-fach vergrößerte Modelle von den Haihautzähnen baute und im anströmbaren Ölbad untersuchte. Die Ergebnisse bestätigten Reifs Vermutung: Demnach senken solche Rillen den Widerstand beim schnellen Schwimmen entlang des Haikörpers. Die scharfen Rippenfirste halten bremsende Turbulenzen an der Grenzfläche zum umgebenden Wasser gering. Bechert und sein Team vereinfachten die Strukturen aus der Natur für technische Anwendungen, und die Industrie entwickelte zunächst eine Folie mit den begehrten Haihautstrukturen.

Als man 1996 diese „Riblet“-Folie der Firma 3M auf zwei große Airbus Passagier-Jets klebte, ergaben sich zwar Treibstoffeinsparungen von 1 bis 3 Prozent – auf Langstrecken bereits ein wirtschaftlich relevantes Potenzial. Doch brachte der fliegerische Alltag Probleme mit sich: So waren die Folien nicht haltbar genug. Temperaturunterschiede von mehr als 100 °C zwischen Boden und Reiseflughöhe (10.000 Meter) sowie die hohe UV-Strahlung dort oben ließen sie vergilben und spröde werden. Außerdem wurde das Reinigen und Lackieren der Außenhaut der Flugzeuge zu aufwendig. Und weil Folien extra aufgebracht werden müssen, bedeuten sie zusätzliches Gewicht, das Einiges vom Spareffekt wieder zunichtemacht. Deshalb fliegen die Flotten auch fast 20 Jahre nach dem spektakulären Beginn ohne künstliche Haihaut.

Inzwischen wird eine Lackiertechnik getestet, mit der die Mikrostrukturen beim Lackieren über Rollmatrizen auf die Außenhaut von Flugzeugen oder auf Rotorblätter von Windturbinen aufgebracht werden. Der Harzlack wird dabei auch gleich gehärtet.

Maschinenbauer testen derzeit noch eine weitere Technik: Sie pressen die Riblet-Strukturen mittels Walzen auf Metallwerkstoffe, die für die Schaufelblätter von Düsentriebwerken verwendet werden. Die Walzen tragen entsprechende ultrafeine und sehr harte Drähte auf ihrer Oberfläche. Auch hier konnten störende Turbulenzen der ins Triebwerk strömenden Luft um etwa ein Prozent reduziert werden.

Bewährt haben sich Riblet-Strukturen bei Renn-Yachten und Rennflugzeugen sowie an gänzlich unauffälliger Stelle: Die Innenwände vieler Pipelines sind damit ausgestattet.

Forscher testen Spareffekte künstlicher Haihaut auch für große Schiffsrümpfe und für Hochgeschwindigkeitszüge. Überall verspricht man sich bessere Leistung bzw. Spareffekte im Bereich von grob 1 bis 10 Prozent. Bei Schiffen erhofft man sich zudem, mit dem Überzug von Haihautstrukturen die hochgiftigen Lacke abschaffen zu können, mit denen man bislang die Reibung schaffende Ansiedlung von Plankton verhindert (Antifouling).


Die nur 0,1 bis 1,3 mm kleinen „Hautzähne“ (Placoidzähne) der Haie differieren im Aussehen, je nach Lebensweise ihres Trägers, oft auch je nach Position am Körper. So gibt es von flachen Plättchen bis zu komplexen Riefen- oder Dornentragenden Gebilden alle Übergänge.

Irrtum beim Fastskin-Gewebe

Übrigens ist der Siegeszug von Schwimmanzügen mit sogenanntem Fastskin-Gewebe bei Wettkämpfen wohl nicht auf den vom Hersteller Speedo reklamierten Haihauteffekt zurückzuführen: Die Mikrostrukturen im Gewebe der berühmten High-speed-Schwimmanzüge hätten rein gar nichts mit Haihaut zu tun, so der Biologe George Lauder von der Harvard-University in Boston, der sich das Gewebe genauer angesehen und getestet hat. Er vermutet, dass die Sportler deshalb so schnell damit seien, weil die Anzüge so eng sitzen, dass sie den Körper straffen.

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