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Die Reifung des Eis – ein Verpackungsprozess
ОглавлениеBei über 10.000 Vogelarten auf der Erde zeigt sich im Aufbau des Eis eine bemerkenswerte Einheitlichkeit. Von innen nach außen finden sich stets der Dotter, das Eiweiß, die Eihaut, die Kalkschale und das elastische Oberhäutchen, wobei das Ei auch in dieser Reihenfolge reift. Der Reifungsprozess erinnert dabei an die Arbeit an einem Fließband. An jeder Station wird ein weiterer „Handgriff“ getätigt, wobei jeder davon sitzen muss, damit das Endergebnis zufriedenstellend ist.
Der Reifungsprozess beginnt im linken Eierstock der Vogeldame (der rechte ist nicht ausgebildet, was zur Körpergewichtsreduzierung beiträgt). Dort reift ein Follikel, das heißt eine Eizelle mit den zugehörigen Hilfszellen heran, indem sich Dotter in Schichten daran anlagert. Der Dotter ist der Proviant des späteren Kükens für die Zeit im Ei und enthält neben Wasser alle nötigen Nährstoffe, das heißt Fette, Proteine, Vitamine und Mineralstoffe. Bei Nestflüchtern – also Küken, die weit entwickelt schlüpfen und bereits kurz darauf das Nest verlassen – stellt der Dotter rund 40 Prozent des Gesamtgewichts des Eis (gegenüber 25 Prozent bei Nesthockern), was sich leicht mit dem erhöhten Energiebedarf für eben diese weiter fortgeschrittene Entwicklung erklären lässt.
Ist die Reifung der Dotterkugel abgeschlossen, gelangt sie über den Eileitertrichter in den Eileiter. Der Follikel befindet sich nun als Keimscheibe auf der Dotteroberfläche. Hier erfolgt gegebenenfalls die Befruchtung der Eizelle. Im Anschluss wird der Dotter dann von der Dotterhaut ummantelt und ist somit fertig.
Auf dem weiteren Weg durch den gewundenen Eileiter wird von speziellen Drüsen das sehr wasserhaltige Eiweiß abgegeben, welches sich wegen der steten Rotation des Dotters gleichmäßig anlagert. Wer öfter mit Eiern in der Küche arbeitet, wird dabei bemerkt haben, dass das Eiweiß keine homogene Flüssigkeit darstellt. Es besteht vielmehr aus drei Schichten, die unterschiedlich dünn- bzw. dickflüssig sind.
Das potenzielle Küken erhält als Nächstes seine „Sicherheitsgurte“, die sogenannten Hagelschüre. Diese verlaufen jeweils vom Dotter zu einem Ende des Eis und halten den Dotter somit in der Mitte des Eis, um ihn vor Beschädigungen durch eventuelle Stöße zu schützen.
Das Küken bricht von innen die Eischale auf.
Die Schalenhaut ist die letzte Verpackungsschicht vor der Kalkschale. Sie besteht aus zwei Membranen, zwischen denen sich nach der Eiablage eine Luftkammer bildet. Beide Membranen sind selektiv permeabel: Sie lassen Wasser und Gase passieren, halten andere Stoffe jedoch zurück. Dies ermöglicht den zur Atmung des Vogelembryos nötigen Gasaustausch; lebensnotwendiger Sauerstoff erreicht den Embryo, während Kohlenstoffdioxid abgegeben wird.
Der Aufbau des Eis. Gut zu erkennen ist der mehrschichtige gelbe Dotter im Zentrum, auf dem sich die Keimscheibe (rot) befindet. Die Hagelschnüre (weiß) ziehen sich durch das Eiweiß (blau) zu den Polen des Eis. Die Luftkammer zwischen den beiden Membranen der Schalenhaut ist deutlich am stumpfen Eiende zu erkennen. Die Kalkschale ist braun dargestellt und wird von dem Oberhäutchen (grau) ummantelt.
Schließlich wird die Kalkschale im Eihalter gebildet, welcher auf den Eileiter folgt. Dort befinden sich Drüsen, die die Masse abgeben, aus der die Kalkschale entsteht. Im Wesentlichen besteht diese Masse aus Kalziumkarbonat, also Kalk, wobei jedoch noch strukturgebende Proteine dazugehören. Diese Proteine bilden eine organische Matrix, die den Grobaufbau der Schale vorgibt, denn die Kalziumkarbonatkristalle ordnen sich ihrer Vorgabe nach an. Man kann die Schale in drei Abschnitte unterteilen. Die äußerste Schicht ist die dünnste der drei Schichten (3 bis 8 Mikrometer beim Haushuhn) und besteht aus senkrecht angeordneten Kalksäulen. Die darunterliegende zweite Schicht, die Papillenschicht, ist deutlich dicker (etwa 200 Mikrometer beim Haushuhn) und besteht aus langen, dicken Kalksäulen. Die innerste Schicht, die Mamillenschicht, schließlich ist von ähnlicher Dicke wie die Papillenschicht (rund 200 Mikrometer beim Haushuhn); die Kalksäulen hier zeigen jedoch eine sternförmige Anordnung. Um so viel Kalkschale herzustellen, gibt der Muttervogel alles und das im wahrsten Sinne des Wortes. Dem Blut der Mutter wird dafür sämtliches Kalzium entzogen. Ist in der Nahrung nicht genügend davon vorhanden, wird für den Bedarf Kalzium auch an den Knochen abgebaut.
Die Kalkschale besitzt Poren, die Wasser und Gase passieren lassen, um die Atmung des Kükens zu gewährleisten. Hierin zeigt sich übrigens auch die klare Zugehörigkeit der Vögel zu den Landbewohnern: Landet ein Ei im Wasser, hat das darin befindliche Küken keine Überlebenschance, seine Atmung versagt.
Das sehr dünne Oberhäutchen (0,5 bis 12,8 Mikrometer Dicke) wird bei der Eibildung zuletzt vom Uterus auf die Schale aufgebracht. Es entsteht zunächst als eine dünne Schleimschicht auf der Eierschale, die aus Proteinen, Polysacchariden und Lipiden besteht. Einmal an der Luft getrocknet wird die Schleimschicht jedoch zum Häutchen und besitzt dann wachsartige Eigenschaften. Außerdem wehrt sie Bakterien und Schimmelpilze ab. Im Haushalt sollte man daher Eier erst kurz vor dem tatsächlichen Einsatz abwaschen, da man sonst diesen natürlichen Schutz zu früh entfernt.
Die Entwicklung eines Eis ist in der Summe also ein ausgeklügelter und perfekt abgestimmter Prozess. Kommt es jedoch an einer Stelle zu einer Störung, ist das komplette Endprodukt zum Scheitern verurteilt.
Es gibt eine ganze Reihe verschiedener „Montagsmodelle“. Bei Windeiern beispielsweise fehlt die Kalkschale, was auf einen Kalziummangel bei der Mutter hinweisen kann. Lösen sich zwei Dotterkugeln zugleich, werden sie in dasselbe Ei gepackt und das entstehende Ei wird besonders nahrhaft mit zwei Dottern. Zwei Küken werden aber nicht erfolgreich entstehen können, da der Platz im Ei doch sehr begrenzt ist. Das Gegenstück zum Doppeldotter ist das Sparei. Hier wurde Eiweiß produziert, ohne dass ein Dotter auf dem Weg war und das finale Ei enthält folglich auch keinen. Sehr selten gibt es das Ei im Ei, wenn ein fertiges Ei zurückwandert und erneut mit Eiweiß, Haut und Schale versehen wird. Abgesehen von solchen Ausrutschern ist die Eiproduktion jedoch trotz ihrer Komplexität sehr zuverlässig.
Das Haushuhn könnte uns glauben lassen, dass Vögel permanent Eier ausbilden, doch dem ist nicht so. Wildvögel kommen nur zu günstigen Zeiten in die entsprechende Stimmung, nämlich dann, wenn das Nahrungsangebot am besten ist. In Mitteleuropa entspricht dies dem Frühjahr und Frühsommer. Hühner wurden jedoch Jahrtausende lang domestiziert und legen das ganze Jahr über Eier. In der industriellen Haltung wird allerdings auch die Beleuchtung so abgestimmt, dass den Legehennen Frühsommer vorgegaukelt wird, um die Eierproduktion anzukurbeln. Außerdem wird das Gelege einer solchen Legehenne niemals vollständig, da die Eier vom Menschen entfernt werden. Normalerweise beginnt die Henne erst bei vollständigem Gelege mit der Brut. Fehlen noch Eier, werden weitere gelegt. Bei den heute eingesetzten Züchtungen ist der Drang zum Brüten allerdings ohnehin stark zurückgegangen, sodass das Eierentfernen nicht mehr allein verantwortlich ist für das stete Nachlegen der Hühner.