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dd) Popularklage gegen Teile der bayerischen Hochschulorganisationsreform
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Das BayHSchG 2006[157] nahm mit dem zentralen Steuerungsinstrument der Zielvereinbarung (Art. 15 BayHSchG), der Hochschulentwicklungsplanung (Art. 14 BayHSchG), vor allem aber mit dem Ziel einer Hierarchisierung (Stärkung der Hochschulleitung) und einer Flexibilisierung der Finanzplanung die Empfehlungen der Expertenkommission „Wissenschaftsland Bayern 2020“ (sog. Mittelstraß-Kommission) vom März 2005 auf. Es sah außerdem die Einführung von Studiengebühren (Art. 71 BayHSchG a.F.)[158] und die – in anderen Bundesländern teils bereits vollzogene – rechtliche Verselbstständigung der Universitätsklinika vor. Die Hochschulräte wurden neu konzipiert und umfassen seitdem auch die gewählten Mitglieder des Senats (Art. 26 Abs. 1 Nr. 1 BayHSchG). Schließlich gab eine Öffnungsklausel den Hochschulen, die bereits durch ihre Grundordnung mit Abweichungen vom gesetzlichen Grundtypus experimentieren können, die Möglichkeit zur Erprobung neuer Konzepte in eigener Regie nach Maßgabe einer Rechtsverordnung (Art. 106 Abs. 2 BayHSchG).[159]
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Verfassungsrechtliche Streitpunkte bildeten dabei vornehmlich die Wahl der Hochschulleitung durch den Hochschulrat (Art. 21 Abs. 1 S. 1, Art. 26 Abs. 1 S. 1 BayHSchG) sowie die Übertragung der Kompetenz, Berufungsvorschläge aufzustellen, auf den Präsidenten der Hochschule (Art. 20 Abs. 2 S. 2 Nr. 11 BayHSchG i.V.m. Art. 18 Abs. 5 S. 1 bis 3 BayHSchPG). Als verfassungsrechtlich prekär stellt es sich insbesondere dar, dass der Hochschulrat zwar mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet wurde, jedoch nur unzureichend legitimiert ist, da er lediglich hälftig (damals: 8 von 16 Mitglieder [heute: 10 von 20, eigentlich 11 von 20, jedoch hat die Frauenbeauftragte kein Stimmrecht]) mit Vertretern der Hochschule besetzt ist, davon (nur) 5 Hochschullehrer neben drei Vertretern der unterschiedlichen Gruppen (Art. 26 Abs. 1, Art. 25 Abs. 1 S. 1 BayHSchG). Die rechtswissenschaftlichen Fakultäten der bayerischen Universitäten haben daher im Dezember 2006 Popularklage (Art. 98 S. 4 BV) gegen die genannten Neuregelungen erhoben.[160] Der BayVerfGH hat die Popularklage jedoch als unbegründet abgewiesen und sich hierbei vor allem auf die Betonung des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers zurückgezogen[161] und erklärt, der Gesetzgeber sei bei seiner Ermessensbetätigung weder an bestehende noch an überkommene Organisationsmodelle gebunden, sondern vielmehr berechtigt, das Hochschulrecht heutigen gesellschaftlichen und wissenschafts-soziologischen Gegebenheiten anzupassen. Insbesondere die Etablierung eines hälftig extern besetzten Hochschulrates sei zulässig; in diesem müssten die Hochschullehrer keine strukturelle Mehrheit haben, da die Zuständigkeiten des Gremiums (Art. 26 Abs. 5 BayHSchG) keine unmittelbare Relevanz für die Forschungs- und Lehrfreiheit des einzelnen Wissenschaftlers hätten. Der BayVerfGH hat aber in den Gründen seiner Entscheidung immerhin vorsichtig zu erkennen gegeben, dass die Grenzen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers mit der bayerischen Hochschulorganisationsreform 2006 weitgehend ausgeschöpft wurden, was mit dazu beigetragen haben dürfte, eine – von Teilen der bayerischen Hochschulpolitik befürwortete – noch „progressivere“ Reformgesetzgebung seitdem auszubremsen.[162] Verfassungsrechtsdogmatisch enttäuscht das Urteil jedoch in weiten Teilen und erweist sich auf erstaunliche Weise unitarisch (nahezu „blinde“ Anlehnung an das „BbgHG-Urteil“ des BVerfG[163]) und kraftlos.[164] Der BayVerfGH hat es dagegen insbesondere versäumt, die traditionsbeladene institutionelle Selbstverwaltungsgarantie des Art. 138 Abs. 2 BV mit Leben zu erfüllen. Stattdessen zog er es – kaum im Sinne der Mütter und Väter der Bayerischen Verfassung sowie einer überzeugenden systematischen Auslegung (die den Selbststand jeder Norm zu wahren hat) – vor, Art. 138 Abs. 2 BV interpretatorisch zu einem bloßen Abbild der objektiv-rechtlichen Dimension der Wissenschaftsfreiheit (Art. 108 BV) ohne eigenständigen Aussagegehalt herabzustufen.