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Der Tod in Tusculum

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Ende Januar 45 schenkte Tullia einem Jungen, Lentulus, das Leben. Cicero brach mit seiner Tochter und seiner jungen Frau nach seinem Landsitz Tusculum auf, in der Hoffnung, dass die gesunde Luft der Albaner Berge die geschwächte Tochter schneller auf die Beine bringe. Wenige Wochen später, Mitte Februar 45, starb Tullia, ohne Anzeichen einer Erkrankung, vor Kummer und Entkräftung. Sie war 31 Jahre alt. Cicero war zutiefst erschüttert über diesen herben Verlust (»fortunae gravissimo perculsus vulnere« Acad, post 1,3). An Sulpicius Rufus schrieb er, dass dieser Schicksalsschlag ihn um sein ganzes Glück gebracht habe. »Es ist aus mit mir … nachdem ich das Einzige, was mich noch gehalten hat, verloren habe«, bekannte er Atticus. Seit vielen Jahren war Tullia seine enge Vertraute gewesen. Die üblen Verleumdungen seiner Widersacher gingen sogar so weit, diese sehr innige Vater-Tochter-Beziehung als inzestuös hinzustellen. Bei allen Schwierigkeiten und Rückschlägen in der Politik hatte er stets bei Tullia einen Rückhalt gefunden, weit mehr als bei seiner Frau. Die Gespräche mit ihr hatten ihn immer wieder aufgerichtet und getröstet. Sofort nach Tullias Tod schickte er Publilia nach Rom zurück. Er wollte sie nicht mehr sehen, da sie auf Tullia eifersüchtig gewesen war und ihr jetzt nicht aufrichtig nachtrauerte.

Cicero selbst verließ fluchtartig Tusculum, das ihm unerträglich geworden war, und fand Zuflucht bei Atticus. Er suchte Trost in dessen Bibliothek, indem er sämtliche Werke über das Thema des Trauerschmerzes durchlas. »Auf diese Weise bleibt meine Trauer innerhalb der Grenzen, welche die Philosophen vorschreiben. Ich habe nicht nur alles gelesen, was sie zu diesem Thema geschrieben haben, was an sich schon Mut erfordert, sondern ich habe es in mein Werk übertragen …« Da er möglichst jeden Kontakt mit Besuchern meiden wollte, zog er sich schließlich auf ein Landgut zurück, das er in Astura, am Meer, gekauft hatte. Dort gab es einen dichten undurchdringlichen Wald, in dem er sich den ganzen Tag aufhielt, um zu lesen, zu meditieren und zu schreiben. In mehreren Briefen an Atticus teilte er seine Absicht mit, eine »consolatio«, eine Trostschrift, »an sich selbst« zu verfassen, um seinen Schmerz zu lindern (»librum de minuendo luctu«), »Ganze Tage schreibe ich, nicht damit ich dadurch etwas gewinne, doch es lenkt mich eine Weile ab. Freilich nicht genug – der Schmerz ist übermächtig – aber ich erhole mich doch dabei und bin nach Kräften bemüht, wenn nicht den Geist, so doch meine Miene so weit wie möglich in Fassung zu bringen. Wenn ich das tue, komme ich mir bisweilen vor, als beginge ich ein Unrecht; bisweilen glaube ich auch wieder, es sei unrecht, wenn ich es nicht tue.«

Die »consolatio«, die er »mitten in der Trauer und im Schmerz« verfasste, ist verschollen, nur einige Fragmente davon sind überliefert worden, u.a. vom hl. Hieronymus. Aber das große philosophische Werk der »Tusculanae disputationes«, das im August jenes Jahres entstand und verwandte Themen behandelt, ermöglicht es, den Inhalt dieser Trostschrift zu rekonstruieren, umso mehr als Cicero sich auf einige Autoren beruft, deren Ideen zum philosophischen Gemeingut des Altertums gehören. Als Einleitung entwickelt Cicero folgende »tröstliche« Hauptideen: Es ist kein Übel, jung zu sterben, das menschliche Dasein ist so traurig, dass es gut ist, daraus zu fliehen. Cicero kritisiert die Argumente gegen das Leid, die von den verschiedenen philosophischen Schulen des Altertums vertreten wurden, von den Peri-Patetikern, den Epikuräern, den Stoikern usw. Stichhaltig und wirksam erscheint ihm nur die Beweisführung Crantors, eines Akademikers, der sich an Platos Lehre anlehnt, vor allem an seine Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Seelen wie die Tullias können nicht vergehen, so wenig wie die Seelen großer Menschen der Vergangenheit, wie z.B. die Scipios. Mit dem Tode seiner Tochter wird diese Hypothese nicht bloß eine Hoffnung für ihn, sie wird ihm zur Gewissheit – oder zu einer notwendigen emotionalen Kompensation.

Requiem für ein Kind

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