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Die »Treny«

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Mit den »Treny« brach Kochanowski ein doppeltes Tabu seiner Zeit. Indem er ein so großes Aufheben vom Tod seines kleinen Kindes machte, verstieß er gegen die gesellschaftliche Verhaltensregel, dass man den Verlust der Kinder als eine natürliche Erscheinung, als einen normalen Schicksalsschlag gelassen, d.h. wortlos, hinnehmen solle. Kochanowski scheute sich nicht, vom »unendlichen Schmerz der Eltern« zu schreiben, sich zu seiner Trauer, zu den »Tränen des unglücklichen Vaters« zu bekennen. Noch gravierender war die Tatsache, dass er es wagte, mit den Zeugnissen seines privaten Trauerschmerzes an die Öffentlichkeit zu treten. Die unmittelbare Drucklegung der »Treny« war eine Zumutung für die damalige Gesellschaft und zudem eine Verletzung der literarischen Konvention, die nur zuließ, dass man das Andenken einer bedeutenden Persönlichkeit, einer »persona gravis«, in einem Kunstwerk verewigte. Ursula, das junge, völlig unbekannte Kind, von dessen Existenz nur der engste Familienkreis wusste, war eine »persona levis«, ein unbedeutendes Wesen, kein Gegenstand also für einen Trauergesang, geschweige denn für einen gewaltigen Zyklus, der noch heute in seinem Umfang und in seiner Intensität einmalig in der polnischen Literatur dasteht. Mickiewics ging sogar soweit, in seinen Pariser Vorlesungen drei Jahrhunderte später zu urteilen: »Von seinen Werken ist unstreitig als originale Schöpfung am ergreifendsten der Zyklus der nach dem Tod eines seiner Kinder verfaßten ›Treny‹. Wir werden nichts Gleiches in der Literatur irgendeines anderen Landes finden.« Damals waren weder die »Kindertotenlieder« Rückerts noch die »Pauca meae« Victor Hugos veröffentlicht, sodass Kochanowskis persönliche Klagelieder noch viel stärker hervorragten.

Die Zeugnisse über die Aufnahme beim zeitgenössischen polnischen Publikum sind nicht übereinstimmend. Einerseits wird berichtet, die Öffentlichkeit habe kühl auf den Zyklus reagiert. Andrerseits gibt es die unumstößliche Tatsache, dass der Verleger in kurzen Abständen, 1583 und 1585, zwei Neuauflagen des Zyklus in Krakau folgen ließ. Hätte er das getan, wenn das Werk keine Käufer und Leser gefunden hätte? Der Krakauer Verleger Jan Januszowski war ein normaler, d.h. gewinnorientierter Unternehmer, der sicher nur druckte, weil eine rege Nachfrage nach dem Buch bestand, die ein gutes Absatz-Geschäft versprach. Die Neudrucke in kurzen Abständen lassen also eher auf eine ungewöhnlich starke Resonanz schließen.

Die pathetische Widmung in Kapitallettern, die der Dichter seinen Klageliedern voranstellte, lautet:

FÜR URSULA KOCHANOWSKA,

DAS ANMUTIGE, ENTZÜCKENDE, UNGEWÖHNLICHE KINDLEIN, WELCHES, NACHDEM ES DAS AUFBLÜHEN ALLER TUGENDEN UND FERTIGKEITEN EINES MÄDCHENS GEZEIGT, UNVERSEHENS UND WEIT VOR DER ZEIT, ZUM UNENDLICHEN SCHMERZ SEINER ELTERN, DAHINGING – HAT SIE JAN KOCHANOWSKI, IHR UNGLÜCKLICHER VATER, UNTER TRÄNEN GESCHRIEBEN.

DU BIST NICHT MEHR, O MEINE URSULA !

Die Gedichte sind vermutlich nicht in der Reihenfolge entstanden, die sie im Zyklus einnehmen. Die Forschung ist der Auffassung, dass die persönlichsten Klagen, die fast ganz frei von mythologischen Anspielungen sind, unmittelbar nach dem Verlust des Kindes niedergeschrieben wurden. Zu ihnen gehören die Treny VII und VIII, welche die Intimität der Familie und die Erschütterung des häuslichen Glücks ergreifend widerspiegeln:


Kochanowski beweint seine Tochter Ursula. Gemälde von Jan Matejko (1838–1893)

Requiem für ein Kind

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