Читать книгу Requiem für ein Kind - Joseph Groben - Страница 27
ОглавлениеIch schicke Ihnen den Trostbrief des Plutarch … Ich überlasse Plutarch die Aufgabe, Sie zu trösten Michel de Montaigne an seine Frau nach dem Tod der Tochter. 1570
Ich wohne in einer kleinen Stadt, und ich lebe gerne dort, damit sie nicht noch kleiner werde.« Chäronea, die Geburtsstadt Plutarchs, liegt in Böotien, in Zentralgriechenland. Sie war berühmt in der Antike wegen des Sieges, den Philipp II. von Mazedonien im Jahre 338 v. Chr. dort über die Thebaner errungen hatte. Hier verbrachte der im Jahr 46 n. Chr. geborene Plutarch seine Kindheit, hierhin kehrte er im reifen Alter zurück, um sich seinem Werk zu widmen. Sein Bildungsgang hatte ihn nach Athen und nach Alexandrien geführt. In Athen hatte er viele Jahre als hochangesehener Philosoph gelehrt und war Bürger der Stadt geworden. Er reiste auch mehrfach nach Rom, wo er lehrte, die Freundschaft bedeutender Römer gewann und auch die Bürgerrechte erhielt. Nach seiner Rückkehr in seine Heimatstadt bekleidete Plutarch verschiedene politische Ämter. Noch wichtiger war, dass er zum Priester des Orakels von Delphi ernannt wurde und häufig zwischen Chäronea und Delphi unterwegs war.
Verheiratet war Plutarch mit Timoxena, der Tochter Alexions aus Chäronea. Sie brachte wenigstens fünf Kinder zur Welt, von denen drei sehr früh verstarben. Da sie selbst eine philosophische Abhandlung verfasste, muss sie eine gebildete Frau und ebenbürtige Partnerin ihres berühmten Mannes gewesen sein.
Als Historiker, Moralist und Philosoph hat Plutarch ein sehr umfangreiches Werk hinterlassen, das große Verbreitung fand und daher auch weitgehend erhalten geblieben ist. Man unterscheidet meist zwei Gruppen von Schriften: die historischen Biographien und die so genannten »moralischen« Schriften. In seinen »Lebensbeschreibungen berühmter Männer« stellt er oft einen Griechen und einen Römer gegenüber, z.B. Alexander und Cäsar, Demosthenes und Cicero. Diese Doppelviten oder »parallele Biographien« mit ihrem Hang zur Heroisierung und Idealisierung prägten für viele Generationen das Bild der großen Gestalten der Antike. Sie hatten eine starke Nachwirkung, z.B. auf Shakespeare und Corneille, die sie als Quellen für ihre Römerdramen benutzten, auf Friedrich den Großen, Napoleon und Beethoven, denen sie als Musterbeispiele antiker Größe dienten.
In seinen »Moralia« untersucht Plutarch religiöse, ethische, politische, literarische, naturwissenschaftliche und medizinische Fragen, wobei er sich in seinen Ansichten stark an den Platonismus anlehnt. Sie sind ein wahres Kompendium, eine Enzyklopädie philosophisch-wissenschaftlicher Themen, wie sie in hellenistischer Tradition, meist in Dialogform, im kaiserlichen Rom und in Athen diskutiert wurden.
Zu den »moralischen Schriften« zählt man auch einen Text, der streng autobiographischen Charakter hat, den oft zitierten Trostbrief, den Plutarch an seine Frau Timoxena nach dem Tod ihrer gleichnamigen Tochter schrieb. Er gilt als ein exemplarisches Zeugnis für eine antike »Consolatio«. Für den hochgebildeten und feinfühligen Michel de Montaigne hatte er noch 1500 Jahre später eine solch zeitlos gültige Bedeutung, dass er seiner Frau eine Übersetzung davon zuschickte, als ihr ältestes Kind im Jahre 1570 starb. »Ich überlasse Plutarch die Aufgabe, Sie zu trösten … er wird Ihnen meine Absichten entdecken und was man in einer solchen Lage anführen kann, viel besser als ich es selbst tun könnte …«