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c) Positive Fortführungsprognose

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Die Prüfung, ob eine Fortführung des Unternehmens durch den Schuldner selbst oder durch die Veräußerung des Unternehmens „als werbende Einheit“ überwiegend wahrscheinlich ist, gestaltet sich rechtstatsächlich häufig schwierig.[152] Entscheidend ist, ob die Fortführung des Unternehmens wahrscheinlicher ist als dessen Stilllegung.[153] Grundvoraussetzung ist der „Fortführungswille“ des Betroffenen als subjektives Element. Darüber hinaus erfolgt die Prüfung am Maßstab objektiver Kriterien.[154] Danach ist festzustellen, ob die ökonomische Ertrags- und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens auf absehbare Zeit gewährleistet ist oder wiederhergestellt werden kann,[155] so dass das Unternehmen künftig „lebensfähig“ ist und (wieder) am Markt agieren kann.[156] Maßgeblich ist, ob sich ein ordentlicher Geschäftsleiter auf der Grundlage einer gewissenhaften, sachkundigen Prüfung aller erkennbaren maßgeblichen Umstände für die Fortführung des Unternehmens entscheiden würde.[157] Hierzu ist ebenfalls eine nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen gefertigte Liquiditätsplanung[158] sowie die Prüfung des konkreten Unternehmenskonzepts erforderlich.[159] Die Ausdehnung des relevanten Prognosezeitraums ist auch in diesem Zusammenhang umstritten. Notwendig ist jedenfalls eine mittelfristige Prognose.[160] Ob der Prognosezeitraum mindestens bis zum Ablauf des nächsten Geschäftsjahres andauern oder darüber hinaus sogar mehr als zwei Jahre[161] betragen sollte, ist im Schrifttum umstritten. Es erscheint auch in diesem Kontext zweifelhaft, ob die Festlegung starrer Mindestprognosezeiträume sinnvoll ist, da ein im Einzelfall zu lang bemessener Zeitraum wiederum die Prognosesicherheit beeinträchtigt. Es wird daher von Teilen des Schrifttums auch insoweit auf einen individuell, in Abhängigkeit des betroffenen Unternehmens zu bemessenden Zeitraum – damit auf eine für den jeweils betroffenen Gemeinschuldner betriebswirtschaftlich noch überschaubare Zeitspanne – abgestellt.[162]

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Die derzeit (und bereits vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung) geltende „Fassung“ des Überschuldungstatbestands und die nach Einführung der Insolvenzordnung zunächst geltende Rechtslage, führen durch eine abweichende gesetzliche Integration der positiven Fortführungsprognose in den Eröffnungstatbestand zu unterschiedlichen Ergebnissen. Nach der aktuell, nunmehr unbefristet geltenden Rechtslage führt das Vorliegen einer positiven Fortführungsprognose ohne weiteres zum Ausschluss des Insolvenztatbestands (§ 19 Abs. 2 Hs. 2 InsO). Hiernach steht das exekutorische Element (Vermögensvergleich nach Liquidationswerten) gleichwertig neben dem weiteren, prognostischen Element der Fortführungsprognose.[163] Die Voraussetzungen einer Überschuldung liegen daher nur vor, wenn die Finanzkraft des Unternehmens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht, die Fortführungsprognose mithin negativ ausfällt.[164] Diese „zweistufig-modifizierte“ Überschuldungsprüfung wurde bereits vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung durch den BGH in Zivilsachen entwickelt (Dornier-Seaster-Fall).[165]

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Der Gesetzgeber ist dagegen im Anschluss, bei Verabschiedung der Insolvenzordnung von dem durch die insolvenzrechtliche Rechtsprechung entwickelten Grundsatz, Überschuldung sei im Falle einer positiven Fortführungsprognose ausgeschlossen, bewusst abgewichen. In der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 19.4.1994 ist hierzu ausgeführt: „Der Ausschuss weicht damit entschieden von der Auffassung ab, die in der Literatur vordringt und der sich kürzlich auch der Bundesgerichtshof angeschlossen hat (BGHZ 119, 201, 214). Wenn eine positive Prognose stets zu einer Verneinung der Überschuldung führen würde, könnte eine Gesellschaft trotz fehlender persönlicher Haftung weiter wirtschaften, ohne dass ein die Schulden deckendes Kapital zur Verfügung steht. Dies würde sich erheblich zum Nachteil der Gläubiger auswirken, wenn sich die Prognose – wie in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall – als falsch erweist“.[166] Insbesondere aus Gründen des Gläubigerschutzes hat der Gesetzgeber stattdessen eine „einfach-zweistufige“ Prüfung der Überschuldung in § 19 Abs. 2 InsO a.F.[167] übernommen. Danach schließt eine positive Fortführungsprognose diesen Insolvenzeröffnungsgrund nicht per se aus. Sie wirkt aber auf die im ersten Schritt vorgenommene Prüfung bilanzieller Überschuldung in der Weise zurück, dass die Bewertung der Aktiva nicht mehr zu Liquidationswerten, sondern zu Fortführungswerten zu erfolgen hat.[168] Der „going-concern-Wertansatz“ ist regelmäßig höher als die Taxierung der Vermögensgegenstände zu Zerschlagungswerten, die im Rahmen des Insolvenzverfahrens zu erzielen wären.[169] In § 19 Abs. 2 S. 2 InsO a.F. fand sich die Regelung: „Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortführung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist“. Bei Ansatz der (höheren) Fortführungswerte konnte daher auch nach diesem Modell Überschuldung im Einzelfall entfallen.[170] Allerdings stehen beide Prüfungselemente hier nicht gleichwertig nebeneinander.[171]

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Der Gesetzgeber hat unter dem Eindruck der „Finanzkrise“ im Herbst 2008 trotz der Bedenken des Rechtsausschusses vor Erlass der Insolvenzordnung auf die „zweistufig-modifizierte“ Feststellung von Überschuldung zunächst als Interimslösung zurückgegriffen.[172] Folge der Finanzkrise seien teilweise erhebliche Wertverluste bei Aktien und Immobilien gewesen, so dass bei Unternehmen, die besonders massiv betroffen seien, diese Wertverluste bilanziell teilweise nicht durch Aktiva ausgeglichen werden könnten. Dies gelte selbst in Fällen, in denen die Aktiva bereits nach geltendem Recht mit „going-concern-Werten“ angesetzt werden dürfen. In der Begründung des Gesetzentwurfs[173] ist ausgeführt: „Der Gesetzentwurf will das ökonomisch völlig unbefriedigende Ergebnis vermeiden, dass auch Unternehmen, bei denen die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie weiter erfolgreich am Markt operieren können, zwingend ein Insolvenzverfahren zu durchlaufen haben. Deshalb wird mit dem neuen § 19 Abs. 2 InsO wieder an den sog. zweistufigen modifizierten Überschuldungsbegriff angeknüpft, wie er vom Bundesgerichtshof bis zum Inkrafttreten der Insolvenzordnung vertreten wurde (vgl. BGHZ 119, 201, 214). Dieser Überschuldungsbegriff hatte den Vorteil, dass das prognostische Element (Fortführungsprognose) und das exekutorische Element (Bewertung des Schuldnervermögens nach Liquidationswerten) gleichwertig nebeneinander standen […]. Künftig wird es deshalb wieder so sein, dass eine Überschuldung nicht gegeben ist, wenn nach überwiegender Wahrscheinlichkeit die Finanzkraft des Unternehmens mittelfristig zur Fortführung ausreicht.“

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Trotz dieser spezifischen Zielrichtung hat der Gesetzgeber auf eine weitergehende, etwa branchenbezogene, Beschränkung des Adressatenkreises verzichtet.[174] Die Regelung gilt damit für sämtliche Gesellschaften, die vom Anwendungsbereich des § 19 Abs. 1 und 3 InsO umfasst sind, auch für kleine und mittlere Unternehmen.[175] Die ursprüngliche Befristung der Gesetzesänderung war erst Folge der anschließenden parlamentarischen Beratung und wurde zunächst vorübergehend bis zum 31.12.2013 ausgedehnt. Die temporäre Beschränkung erfolgte maßgeblich aus den Erwägungen heraus, die bereits bei Einführung der Insolvenzordnung zur Aufnahme der einfachen (zweistufigen) Überschuldungsprüfung in § 19 Abs. 2 InsO a.F. veranlasst hatten, namentlich, im Interesse der Schadensminderung (Gläubigerschutz), der Gläubigergleichbehandlung und um Sanierungschancen zu verbessern. Die Rückkehr zum alten, im Allgemeinen unerwünschten Rechtszustand, sollte aus diesen Gründen nur vorübergehend erfolgen.[176] Der Gesetzgeber hat die Befristung zuletzt allerdings aufgehoben,[177] so dass die aktuelle Rechtslage bis auf Weiteres unbefristet gilt.

Teil 2 Bankgeschäft und Insolvenz – zivil- und insolvenzrechtliche Grundlagen, wirtschaftliche ZusammenhängeA › III. Zusammenhang zwischen Kreditgeschäft und Insolvenz

Bankrott und strafrechtliche Organhaftung

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