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Stadt des Hamsterrads

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«Das können wir uns leisten», sagte Stadtpräsident von Graffenried, als der Gemeinderat 2018 beschloss, das für eine Stadt von der Grösse Berns respektable jährliche Kulturbudget von 32 Millionen Franken um weitere 2,3 Millionen zu erhöhen. Das hochstehende Kulturangebot sei ein zentraler Standortfaktor, der die Bundesstadt auf wirtschaftlichem und demografischem Wachstumskurs halte. Von Graffenried argumentierte wie ein Wirtschaftskapitän, der den Expansionskurs seiner Firma erläutert. Nur, dass der Stadtpräsident natürlich mit Steuergeldern operiert.

Als das Mitte-links-Bündnis vor knapp dreissig Jahren in der schrumpfenden Bundesstadt die Mehrheit übernahm, traute man seinen Exponenten kaum zu, eine Bilanz lesen zu können. Aber unter ihrer Führung blühte die Stadt wieder zum Wirtschaftsmotor des sonst klammen Kantons Bern auf. Man muss sogar sagen: Ohne die auf Hochtouren laufende rot-grüne Stadt würde der bürgerliche Kanton, der nach wie vor auf eine jährliche Zahlung von rund einer Milliarde Franken aus dem nationalen Finanzausgleich angewiesen ist, noch schlechter dastehen.

Die Stadt Bern gibt viel Geld aus, aber sie nimmt auch viel Geld ein. Rund zwei Milliarden Franken an Steuern pro Jahr zum Beispiel, die jedoch zu drei Vierteln an Kanton und Bund gehen. Immer wieder kokettierten rot-grüne Politiker mit einer theoretischen Rechnung: Man könnte die Stadt und die eng umliegenden Agglomerationsgemeinden in einen Halbkanton zusammen­fassen, der ohne die Last des ländlichen Restkantons so dynamisch wäre, dass er mit Schweizer Steuerparadiesen wie Zug mithalten könnte.

Es ist jedoch die Ironie der Stadtberner Erfolgsgeschichte, dass ausgerechnet die an sich wachstumskritischen Roten und Grünen darauf angewiesen sind, die von ihnen in Gang gebrachte Wachstumsmaschine Stadt am Laufen zu halten. Der hochgefahrene soziale, ökologische und infrastrukturelle Full-Board-Service lässt sich nur finanzieren, wenn die Bevölkerung und damit die Steuererträge zuverlässig wachsen. Das tun diese aber bloss dann, wenn die Stadt die hohen Ansprüche, die sie geweckt hat, befriedigt. Aus diesem Hamsterrad, in das Rot-Grün die Stadt Bern hineinmanövriert hat, scheint es keinen Ausweg zu geben.

Die langjährige Regierungskoalition ist Gefangene des eigenen Erfolgs. Natürlich drängt sich die Frage auf, ob ein politischer Machtwechsel frischen Wind in die Stadt bringen würde. Das Problem ist, dass schon nur die Frage hypothetischen Charakter hat. Das rot-grüne Lager wird kaum je noch herausgefordert und kommt so leicht zu Mehrheiten, dass es häufiger über die eigene Nonchalance stolpert als über den praktisch inexistenten politischen Gegner. Gleichzeitig bewirtschaften Kritiker aus der Agglomeration und dem Restkanton stur das Zerrbild einer Stadt, die weltfremde und gewerbefeindliche Prioritäten setzt.

Diese hartnäckige Berner Blockade ist eine ungünstige Voraussetzung für eine Stadt, die im wirtschaftlich fragilen Kanton Bern Leaderin sein will (und sein muss). Und die vor schwierigen strategischen Herausforderungen steht, die breit getragene Lösungen erfordern. Beispielsweise bedroht die Digitalisierung das pittoreske «Einkaufszentrum» Altstadt, in dem ein Jahresumsatz von 1,5 Milliarden Franken erwirtschaftet wird. Das ungezähmte Verkehrswachstum erfordert regional abgestimmte Lösungen und keine ideologischen Debatten. Komplex ist auch der sich zuspitzende Konflikt zwischen dem Zwang zu verdichtetem Siedlungsbau und der Notwendigkeit, angesichts der Klimaerwärmung für die Kühlung in den städtischen Hitzeinseln Belüftungskorridore und Verdunstungsflächen zu schaffen.

Bern - eine Wohlfühloase?

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