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Stadt der Lederjacken und der Hipster-Kluft

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27 Jahre später, im November 2019, trat das erfolgreiche Berner Hip-Hop-Duo Lo & Leduc, das seine Karriere vom rot-grünen Alternativquartier ­Muri­­- feld aus gestartet hatte, im noblen Kulturcasino auf. Die Berner Burger­gemeinde hatte das denkmalgeschützte Haus, das ihr gehört, eben für 74 Millionen Franken renovieren lassen und als Direktor Kochweltmeister Ivo Adam engagiert, der künftig für angesagte Kulinarik sorgen sollte. Zur Eröffnung gaben Lo & Leduc unter dem Titel «Über ds Chrütz» drei vom jungen Komponisten Sebastian Schwab arrangierte gemeinsame Konzerte mit dem Berner Symphonieorchester, das sonst Beethoven, Rossini und Mozart spielt.

Doch an diesem Abend groovte der klassische Klangkörper zur Hip-Hop-Hymne «079», und die schlohweissen Haare von Chefdirigent Mario Venzago federten unter den monumentalen Kronleuchtern mit dem Beat von Lo & Leduc um die Wette. Die musikalischen Welten von Hip-Hop und Klassik verschmolzen zu einem kommerziellen High-End-Erlebnis. Fast zu harmonisch und zu brav für urbane Bedürfnisse, merkten Berner Kulturjournalisten kritisch an.

Die beiden Momentaufnahmen – Züri West, frierend in schwarzen Lederjacken vor einem Ladenlokal, Lo & Leduc in farbiger Hipster-Kluft, geherzt von Stardirigent Venzago im Frack – fangen den Wandel des Lebensgefühls ein, den die Stadt Bern in der Ära durchlief, die politisch von Rot-Grün geprägt wurde. Die herzliche Umarmung zwischen linker Popmusik, aristokratischer Burgergemeinde und klassischer Hochkultur, sie wäre dreissig Jahren zuvor undenkbar gewesen oder ein handfester Skandal.

60 647 Entscheide fällte die Berner Stadtregierung zwischen 1993 und 2019, wie der städtische Informationsdienst festhält. Man kann sie als politische Schritte auf dem rot-grünen Weg sehen, den die Stadt Bern in dieser Zeit zurücklegte. Die regierenden Linken verstehen die positive Entwicklung der Stadt gerne als Verdienst der eigenen politischen Weitsichtigkeit. Und verdrängen, dass sie auch profitiert haben von vorteilhaften äusseren Bedingungen. Rot-Grün-Mitte holte sich das Vertrauen der Stimmbevölkerung zwar in einer tiefen Krise, aber ab Ende der neunziger Jahre blies dem Bündnis das wirtschaftliche Gunstklima in der Schweiz viel Wind in den Rücken. Die mit der EU vereinbarte Personenfreizügigkeit förderte ab 2002 die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte, die sich häufig in den Städten niederliessen – in Bern etwa rund um das Inselspital – und die Steuerkraft erhöhten. In diesen fetten Jahren verfestigte sich der wacklige politische Coup von 1992 zur dauerhaften Machtübernahme.

Bern - eine Wohlfühloase?

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