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Antike Europabilder

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Antiker Mythos und Überlieferung

Die Auffassungen davon, was „Europa“ ist, hängen also auch vom jeweiligen Standpunkt des Betrachters ab. Freilich ist die Einsicht in die Notwendigkeit, zwischen einem geographischen und einem kulturellen Europabegriff zu unterscheiden, keineswegs neu. Sie reicht im Gegenteil zurück bis in die griechisch-hellenistische Mythologie, man denke an die Sage vom Raub der Europa durch den als Stier verkleideten Zeus, auf dessen Rücken sie von ihrer phönizischen Heimat „übers Meer“ bis nach Kreta geritten sein soll. Das sich hierin spiegelnde Europabild ist begriffsgeschichtlich in dreifacher Hinsicht aufschlussreich: hinsichtlich der Betonung der ursprünglichen Verbindung Europas mit Asien, der gewaltsamen Trennung beider Teile voneinander und der Suche Europas nach einer neuen Identität. Diese drei Aspekte verklammern den Mythos mit der historischen Überlieferung. Unter dem Eindruck der Auseinandersetzung mit den Persern unterschied zum Beispiel Herodot zwischen den Griechen europäischer und den Persern asiatischer Herkunft. Damit prägte er eine Dichotomie, die fortan in unterschiedlichen Variationen die Literatur des Hellenismus durchziehen sollte. Bei Hippokrates zeichneten sich die Europäer dadurch aus, dass sie sich auf Gesetze stützten, während die Asiaten die Herrschaft eines Despoten ertragen mussten. Aristoteles zufolge lebten die Asiaten in Untertänigkeit als Knechte, die Europäer hingegen selbstverantwortlich in Freiheit. Hier ist bereits ein Einvernehmen über die Grundlagen des ideellen Begriffsverständnisses erkennbar, das Europa als Quelle der Freiheit, Asien hingegen als Hort der Despotie begriff. Auch über die räumliche Ausdehnung Europas gab es seinerzeit bereits unterschiedliche Auffassungen. Während Isokrates Griechenland und Europa als Synonyme nutzte, gebrauchte Aristoteles bei seiner Definition einen engeren und einen weiteren Raumbegriff, demzufolge Europa aus Griechenland als einem kulturell höher und dem Skythenreich als einem kulturell weniger weit entwickelten Teil bestand. Mit dieser Zweiteilung lehnte er sich an Herodot an, der ebenfalls zwischen einem kulturellen, im Wesentlichen aus Thrakien und Mazedonien bestehenden, und einem geographischen Europa unterschieden hatte, das von der Adria bis zu den Hebriden im Westen bzw. Sibirien im Norden reichte.

Die Ökumene der Völker

Doch obwohl die griechische Antike schon einen verhältnismäßig differenzierten Europabegriff besaß, der sich seit dem fünften vorchristlichen Jahrhundert infolge der bewussten Abgrenzung von einer als fremd und feindlich empfundenen benachbarten Macht entwickelt hatte, stellte das Bewusstsein von der Zugehörigkeit zur „Ökumene der Völker“ des Westens und des Ostens das zentrale Grundelement der klassischen griechischen Kultur dar. Insbesondere galt das für die Zeit nach dem Alexanderzug, als die politische Notwendigkeit einer Gegenüberstellung Europas und Asiens wieder entfiel. Im Gegenteil dürfte die Vorstellung von der „Ökumene der Völker“ im Sinne einer Beherrschung der Welt ein zentrales Leitmotiv für Alexander den Großen gewesen sein. Ähnliches traf für das Imperium Romanum zu, das sich aufgrund seiner interkontinentalen Dimension und seiner militärischen, politischen und kulturellen Besonderheiten durch eine ganz andere Form der Selbst- und Fremdwahrnehmung auszeichnete. Mangels gleichwertiger Gegner konnten die Römer im Verlauf des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts den von Alexander bereitgestellten Weltherrschaftsgedanken übernehmen und das Imperium Romanum mit orbis terrarum gleichsetzen. Cicero sah es Anfang des ersten vorchristlichen Jahrhunderts bereits als selbstverständlich an, dass sich die römische Herrschaft über den ganzen Erdkreis erstreckte. Gleichwohl konnten auch Zeitgenossen nicht übersehen, dass zwischen dem Anspruch auf Weltherrschaft und der geographischen Realität lange Zeit noch eine große Lücke klaffte – manche Althistoriker sehen hierin sogar die Wurzel des römischen Imperialismus, der erst jene Kräfte freisetzte, die die Grenzen des Imperiums bis an den Atlantik, an die Nordsee und an den Rhein vorschoben.

Das Imperium Romanum und Europa

Im Umgang mit den eroberten Gebieten begründete Caesar eine Tradition, die sein Nachfolger Augustus ebenso wie die späteren Caesaren fortsetzen sollten: Zuverlässige Bewohner wurden als römische Bürger in römische Dienste aufgenommen und so mit römischen Sitten und Gebräuchen vertraut gemacht. Städte, die sich im römischen Sinne bewährt hatten, erhielten das römische Munizipalrecht, andere Städte römischer oder lateinischer Rechtstellung entstanden neu, zumeist nach römischem Vorbild planmäßig angelegt und mit einer entsprechenden Ver- und Entsorgungsinfrastruktur, mit Theatern, Thermen und anderen Repräsentativbauten ausgestattet. Diese Städte bildeten einen bedeutenden Grundstein für die spätere europäische Stadtkultur.

Allerdings trug die Erschließung der nördlichen Provinzen auch zum Entstehen eines differenzierteren Europabildes in Rom selbst bei. Hatte es sich bei dem mittel- und nordeuropäischen Raum noch in Ciceros Zeiten um eine Gegend gehandelt, von der „wir bisher durch kein Literaturwerk, keine Nachricht, kein Hörensagen etwas wussten“ (Cicero), beginnt der Geograph und Historiker Strabon Anfang des ersten nachchristlichen Jahrhunderts seine Erdbeschreibung bereits mit Europa, da es vielgestaltig und für die sittliche Tüchtigkeit der Menschen und der Staatseinrichtungen am gedeihlichsten sei. Europa genüge dem Ideal der Autarkie, da es hinreichend Krieger, Ackerbauern und Stadtbürger besitze. Wenig später verfasste der Dichter Manilius den wohl ältesten Panegyricus auf Europa, in dem erstmals auch den Germanen ein fester Platz in Europa eingeräumt wurde. Manilius sah Europa als eine historisch gewachsene Schicksalsgemeinschaft, die über ein großes geschichtliches und kulturelles Erbe verfügte, das freilich erst im von der italienischen Zivilisation geprägten Imperium Romanum seine eigentliche Blütezeit erlebte. Ähnliches gilt für Plinius den Älteren, der Rom bereits ausdrücklich als eine europäische Macht verstand und Europa selbst als die mit Abstand schönste aller Weltgegenden beschrieb.

Ansatzweise ist somit im ersten nachchristlichen Jahrhundert auch im Imperium Romanum ein europäisches Bewusstsein erkennbar. Wenn sich daraus zunächst kein europäisches Sonderbewusstsein entwickeln konnte, so hing das mit der Politik der Caesaren zusammen, die in der Folgezeit dem kleinasiatischen Raum wieder vermehrt Aufmerksamkeit widmeten und so anstelle des europäischen die Festigung eines gesamtrömischen Reichsbewusstseins begünstigten. Allerdings finden sich bei dem Historiker Herodian in der ersten Hälfte des 3. nachchristlichen Jahrhunderts Hinweise auf den Plan einer Reichsteilung zwischen Caracalla und Geta, wobei der Erstgenannte „Europa“ als Herrschaftsbereich erhalten sollte. Dessen Senat setzte sich ausschließlich aus Europäern zusammen, da die aus Asien stammenden Senatoren mit Geta nach der Teilung dorthin zurückgekehrt wären. Der Bericht ist ein beredtes Zeugnis dafür, dass der einheitliche Reichsgedanke zu dieser Zeit bereits ernsthaft hinterfragt wurde. Gleichwohl führte die tatsächliche Reichsteilung der Spätantike zunächst nicht zu einer Aufwertung des Europabegriffs, weil mit Thrakien und Illyrien große Teile des Raumes, der in der antiken Literatur als „Europa“ bezeichnet worden war, nun zum östlichen Reichsteil zählten. Stattdessen setzten sich die Begriffe imperium occidentale bzw. occidens und imperium orientale bzw. oriens durch.

Die europäische Integration

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