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Europa in Mittelalter und Renaissance

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Abendland, translatio imperii und renovatio

Diese Unterscheidung trug zweifellos dem kulturell-sprachlichen Dualismus im Mittelmeerraum Rechnung. Für den weströmischen Teil des späten Imperium Romanum war mit dem Begriff „Abendland“ eine neue Bezeichnung gefunden worden, die sich im Verlauf des frühen Mittelalters zur Definition jenes Raumes durchsetzen konnte, in dem bis zu seinem Untergang das christlich-weströmische Kaisertum gewirkt hatte. Die Ansiedlung kriegsgefangener „Barbaren“ hatte hier jene römisch-fränkische Symbiose bewirkt, auf deren Grundlage Karl der Große im Bunde mit dem römischen Papsttum die imperiale Idee des römischen Kaisertums durch die translatio imperii zu neuem Leben erwecken wollte. Wesentlichen Anteil daran hatte die renovatio, später „karolingische Renaissance“ genannt, eine gezielte Pflege der Bildung, Wissenschaft und Künste in der Zeit der karolingischen Herrscher. Deren Folgen waren weitreichend. Wenn Isidor von Sevilla an der Wende vom 7. zum 8. Jahrhundert „Europa“ noch primär im geographischen Sinne zur Abgrenzung eines zwischen dem Don, dem Atlantik und der Iberischen Halbinsel gelegenen Raumes von Asien und Afrika genutzt hatte, diente der Begriff zwei Jahrhunderte später zur Kennzeichnung des Lebensraums jener Gruppe von Völkern, die sich zwar in der Sprache und manchen anderen besonderen Charakteristika unterscheiden mochten, die aber auch um ihre gemeinsame Bestimmung als Repräsentanten einer abendländischen Kultur – nicht zuletzt auch in Abgrenzung von Byzanz – wussten. So nannten Zeitgenossen Karl den Großen bereits „Vater Europas“ und „Leuchtturm Europas“, sein Enkel Karl der Kahle wurde als „Herrscher Europas“ tituliert, Otto I. gar als „Kaiser von ganz Europa“.

Europa in früh- und hochmittelalterlichen Texten

Hierin allerdings bereits den Keim eines ausgeprägten mittelalterlichen Europabewusstseins sehen zu wollen, wäre voreilig. Denn ein Vergleich der verschiedenen Begriffe, die in früh- und hochmittelalterlichen Texten zur Definition des abendländischen Herrschaftsraums genutzt wurden – zu nennen wären hier imperium, ecclesia bzw. ecclesia romana, christianitas und occidens –, zeigt, dass sie sich nicht oder nur teilweise mit „Europa“ deckten. Sowohl das weltliche imperium als auch die geistliche ecclesia oder christianitas besaßen durchweg universale Perspektiven, die den mit „Europa“ umrissenen geographischen Raum weit übertrafen. Und die Kreuzzüge als das einzige abendländische Gemeinschaftsunternehmen des Mittelalters stellten bei genauerer Betrachtung auch keine auf Europa oder das Abendland beschränkte Aufgabe dar, sondern eine der universalen christianitas unter Beteiligung der byzantinischen Welt. Es handelte sich hier also, jedenfalls vom Anspruch her gesehen, um ein Anliegen der christlichen Ökumene insgesamt. Die universalen Ansprüche des Reichsgedankens und des Christentums standen somit im Früh- und Hochmittelalter der Ausbildung eines ideellen Europabegriffes als Ausdruck eines gemeinsamen Zugehörigkeitsgefühls zu einem einheitlichen Kulturraum entgegen. „Europa“ diente auch Jahrhunderte nach der eingangs zitierten Definition Isidors von Sevilla weiterhin primär zur Bestimmung eines geographischen Raums.

Die Bedeutung des Falls von Byzanz

Der Zusammenbruch des Kreuzzugsgedankens, der zunehmende Machtverlust des Papstes sowie die partikulare Differenzierung der politischen Ordnung Europas im Verlauf des hohen Mittelalters zeigten aber, dass weder der geistliche noch der weltliche Universalitätsanspruch realisierbar waren. Seit dem 14. Jahrhundert erfuhr stattdessen der ideelle Europabegriff eine spürbare Stärkung, die ihn vor dem Hintergrund einer erneuten Auseinandersetzung mit Asien aus den Niederungen rein geographischer Begriffsnutzung wieder in die Rolle einer qualitativen Kategorie führte. Wenn beispielsweise Nicolas Oresme konstatierte, dass Europa im Vergleich mit Asien „plus noble“ sei, da dort das Verhältnis von Herren und Sklaven die soziale Ordnung bestimme, stellte er zugleich einen Zirkelschluss zu den frühen hellenistischen Äußerungen her. In seiner Sicht wandelte sich Europa erneut zu einer Region „de la liberté et de la bonne policie“. Hatte es sich bei dieser Entwicklung zunächst noch um eine eher zögerliche Reaktion auf die zunehmende Säkularisierung des Abendlandes gehandelt, wurde die Neubestimmung der besonderen europäischen Qualitäten nach dem Fall Konstantinopels gleichsam zum Programm. So beklagte Aeneas Silvius Piccolomini, der spätere Papst Pius II., nach dem Sieg Mehmeds II. im Jahre 1453, dass mit Byzanz „das zweite Auge Europas“, das „Bollwerk“ gegen den Islam verloren sei. Fünf Jahre später knüpfte er daran an, als er in seiner Schrift „De Europa“ dies als Gesamtheit der abendländischen Reiche (freilich auch unter Einbezug Griechenlands, des Balkans und Byzanz) definierte, welches all jenen als Vaterland (patria) diene, die gegen die islamische Herausforderung zu bestehen hätten. Dass die Piccolominische Neubewertung Europas durchaus rezipiert wurde, lässt sich am Beispiel Machiavellis zeigen, der den impliziten Abwehranspruch Piccolominis in seinem Werk über die Kriegskunst wieder aufgriff, in welchem er Europa als einen von Republiken und gemäßigten Demokratien geprägten Kontinent bezeichnete, in dem die Entfaltung von virtù, also von für die Gesamtheit nützlicher politischer Leistungskraft, viel eher möglich sei als im vom Despotismus geplagten Asien.

Europavorstellungen in der Renaissance

So war das Piccolominische Europa endgültig in den geistesgeschichtlichen Spannungsbogen der Renaissance gerückt, wo es als politischer Begriff zur Bezeichnung eines Raumes diente, in dem humanistisch gebildete und verantwortungsbewusste Führer und Fürsten ihr jeweils Bestes für ihre Staaten gaben, bzw. das in die politische Realität umzusetzen versuchten, was politische Denker wie Machiavelli oder Bodin für das Beste hielten. Damit erfuhr die Tradition der Mehrschichtigkeit des Europabegriffs in der Frühen Neuzeit ihre Fortsetzung. Einerseits besaß der Begriff zur Kennzeichnung des übergreifenden Daches der humanistischen Bildungsgemeinschaft eine starke ideelle Komponente, andererseits diente er weiterhin im geographischen Sinne als Rahmen zur Abgrenzung des Gebiets, in dem sich das moderne europäische Staatensystem entwickeln konnte.

Das europäische Staatensystem, das sich im Verlauf der Säkularisierung des hohen Mittelalters herausbildet hatte, stellte zugleich eine große Herausforderung für den Universalanspruch von Imperium und Sacerdotium dar. Hatte es seinerzeit zumindest noch eine partielle Deckungsgleichheit zwischen geistlichem und weltlichem Reich und Europa gegeben, schwand diese im Verlauf der Frühen Neuzeit zusehends. In mancherlei Hinsicht markiert das Ende des Dreißigjährigen Krieges zugleich auch den Endpunkt des weltlichen Universalanspruchs, da der Kaiser mit dem Westfälischen Frieden die letzten politischen Kompetenzen verlor, die es ihm gestattet hätten, seine Stellung im Reich und in Europa zu konsolidieren. Stattdessen war es seit dem Spätmittelalter zunächst in Norditalien, später in ganz Europa darum gegangen, eine neue Form des zwischenstaatlichen Zusammenlebens in Europa zu finden. In diesem Zusammenhang prägten die Staatstheoretiker der Renaissance und ihre Nachfolger die Idee vom souveränen Staat (Staatsraison).

Vom „ius gentium“ zum „ius inter gentes“

Damit war der Staat per definitionem nicht mehr dazu in der Lage, übergeordnete Gewalten anzuerkennen – was nicht heißt, dass es keine die europäischen Staaten verbindenden Wertvorstellungen mehr gegeben hätte. Im Gegenteil: Das mittelalterliche Völkerrecht als ein bei allen Völkern und für alle Menschen gültiges System von Rechtsgrundsätzen blieb als „ius gentium“ in der Überzeugung der Menschen bis weit in das 18. Jahrhundert hinein gültig. Allerdings konnte nicht mehr übersehen werden, dass seine Normen keine praktikablen Lösungen mehr für die Beziehungen der Staaten untereinander lieferten. Daher bildete sich seit Mitte des 16. Jahrhunderts ein neues interstatales Rechtssystem als ein neues europäisches Völkerrecht im Sinne eines „ius inter gentes“ heraus. Dieses gründete sich auf naturrechtliche Prinzipien und orientierte sich an der Praxis des zwischenstaatlichen Verkehrs. Die Entstehung des modernen Völkerrechts spiegelt die Suche nach einer Lösung dieses Problems, für das es zunächst, im ausgehenden 15. Jahrhundert, nach der zunehmenden Aushöhlung des mittelalterlichen „ius gentium“, das auf einem für alle Völker und Menschen gültigen, von Gott gegebenen System von Rechtssätzen beruht hatte, an Vorbildern mangelte. Sie mussten neu geschaffen werden, und die staatstheoretischen Schriften des 16. Jahrhunderts und der Folgezeit spiegeln die intensive Suche der Zeitgenossen nach praktikablen Verfahrensweisen.

Die europäische Integration

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