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I. Europäische Variationen in der Geschichte

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Am 23. Juli 1952 trat der Gründungsvertrag für die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) als der ersten echten, weil supranationalen europäischen Gemeinschaft mit eigenen Zuständigkeiten und eigener unmittelbarer Rechtssetzungskompetenz in Kraft. Die politischen Entscheidungsträger in den sechs beteiligten Staaten – Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande – waren sich vor dem Hintergrund der im Zweiten Weltkrieg gemachten Erfahrungen darüber einig, dass westlich des „Eisernen Vorhangs“ eine Zone politischer Stabilität und wirtschaftlichen Wohlstandes geschaffen werden musste, um die jahrhundertealten Gräben überwinden zu können, die auf der Suche nach der Durchsetzung nationalstaatlicher Interessen zwischen den europäischen Staaten aufgerissen worden waren. Um diesen Gründungskonsens verwirklichen zu können, galt es überdies, die Ursachen für die deutsch-französische „Erzfeindschaft“ zu beseitigen und Westdeutschland möglichst fest in die neue Staatengemeinschaft einzubinden. Dafür reichte die nur partielle Integration des Kohle- und Stahlsektors nicht aus. Die Gründung der EGKS markiert lediglich den Beginn der wirtschaftlichen Integration der beteiligten Staaten, die ihrerseits als Grundlage eines politischen Integrationsprozesses dienen sollte, der in nicht allzu ferner Zukunft Grundlage eines europäischen Bundesstaates sein würde.

Die drei Phasen des Integrationsprozesses

Doch auch wenn sich aus den bescheidenen Anfängen des Jahres 1952 bis heute die Europäische Union der 25 (Stand September 2005) herausbilden konnte und der Integrationsgrad eine Tiefe erreicht hat, von der die Gründerväter der EGKS nur träumen konnten, besteht nach wie vor keine Klarheit über die endgültige Ausgestaltung des „europäischen Hauses“, über die finalité politique des Integrationsprozesses. Dennoch werden die Spezifika des europäischen Integrationsprozesses mit zunehmender Distanz zum Ausgangspunkt immer deutlicher sichtbar. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive lässt sich die europäische Integration als ein in drei größere, einander teilweise überschneidende Phasen unterteilbarer Entwicklungsprozess darstellen. In der Gründungsphase (1952–1973) fanden sich die westeuropäischen Demokratien mit Ausnahme jener, die aus bestimmten Gründen die Exklusion vom Integrationsprozess bevorzugten, unter dem Dach supranationaler Institutionen zusammen und legten gemeinsam die Richtung des Integrationsprozesses fest. Die Konsolidierungsphase (1970–1992) ist einerseits markiert durch den Beitritt der drei ehemals autoritär regierten Staaten Griechenland, Portugal und Spanien, andererseits durch die systematische Vertiefung der europäischen Binnenstrukturen, so wie sie in der Einheitlichen Europäischen Akte (1987) und dem Maastrichter Vertrag (1993) zusammengefasst wurden. Die Europäisierungsphase (seit 1991) ist schließlich dadurch gekennzeichnet, dass die Spaltung des Kontinents durch den „Eisernen Vorhang“ überwunden wurde, womit zunächst die Gründe für den Selbstausschluss einiger westeuropäischer Demokratien entfielen und die EFTA-Erweiterung von 1995 stattfinden konnte. Darüber hinaus wurden infolge des Zerfalls des Warschauer Paktes und der Sowjetunion die Voraussetzungen für die Osterweiterung der Europäischen Union geschaffen. Für die Europäische Union (EU) stellte das Ende des Kalten Krieges jedoch nicht nur eine quantitative Herausforderung dar, sondern auch eine qualitative, schließlich hatte der Ost-West-Gegensatz der späten 1940er Jahre die Einleitung des Integrationsprozesses mit vorangetrieben. Im Umkehrschluss bedeutete dessen Ende für die EU als Nachfolgerin der EGKS die Notwendigkeit, sich neu zu erfinden. Die einzelnen Integrationsphasen werden in den Kapiteln 2 bis 4 dieses Buches näher betrachtet. Da ein angemessenes Verständnis der Geschichte der europäischen Integration ohne hinreichendes Wissen um die Geschichte des Bildes, das sich die Menschen Europas im Laufe der Zeit von „ihrem“ Kontinent gemacht haben, nicht möglich wäre, ist das erste Kapitel dieses Buches der Einführung in die wechselvolle Geschichte des Begriffs „Europa“ gewidmet.

Die europäische Integration

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