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Das romantische Europa
ОглавлениеFriedrich von Hardenberg (gen. Novalis) fordert die Aufhebung der Kirchenspaltung
Unter den frühen Vordenkern des christlichen Widerstandes gegen die allzu weltliche Französische Revolution steht Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis, an prominenter Stelle. Er forderte vor dem Hintergrund der Ereignisse in Frankreich in seinem Fragment „Die Christenheit oder Europa“ (1799) die Wiederherstellung eines einigen christlichen Europas, allerdings unter anderen Voraussetzungen als denen des kontinentalen Staatengleichgewichts. Deutschland sah er bereits auf dem richtigen Weg, denn im Gegensatz zu den übrigen europäischen Staaten bildeten sich die Deutschen, wie er meinte, fleißig „zum Genossen einer höheren Epoche der Kultur“. Mit diesem Urteil hätten sich die Väter der Bundesakte 15 Jahre später wohl noch identifizieren können, ungleich schwerer wäre ihnen indes die Zustimmung zu den weiteren Forderungen Novalis’ gefallen, hätten sie sie gekannt. Schließlich verlangte er als Grundvoraussetzung für einen erfolgversprechenden Weg zu dem von ihm erhofften neuen, vermeintlich goldenen europäischen Zeitalter die Suche nach einer grenzüberschreitenden Religiosität, darin eingeschlossen auch die Überwindung der Spaltung des christlichen Lagers selbst. Diese christliche Renaissance wollte er jedoch nach einem göttlichen Plan vorangetrieben sehen, denn nur dann, glaubte Novalis, wäre Europa seinen neuen Aufgaben, die eigenen Segnungen auf die ganze Welt zu übertragen, gewachsen. Schließlich seien es einst schöne und glänzende Zeiten gewesen, „wo Europa ein christliches Land war, wo eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Erdteil bewohnte [und] ein großes gemeinsames Interesse [...] die entlegensten christlichen Provinzen dieses weiten geistlichen Reiches“ miteinander verband.
Das Christentum als Grundlage einer europäischen Identität
Das Fragment des Frühromantikers Friedrich von Hardenberg enthält bereits alle wesentlichen Elemente der von ihm maßgeblich mitgeprägten Epoche. Novalis hatte sich ganz offensichtlich schon weit vom rationalistisch-statischen Staatsdenken des 18. Jahrhunderts entfernt, auch sind kaum noch Einflüsse jener vormals typischen naturrechtlich geprägten Europakonstruktionen aus staats- oder völkerrechtlich geschulter Feder zu erkennen. Stattdessen finden sich überall Spuren der Lehren Herders, Schleiermachers und Klopstocks, das rein empirisch-rationale Europa der Aufklärung verwandelt sich bei Novalis zu einem Europa der mythischen Symbole und der naturphilosophischen Gleichnisse. Der Kontinent wird von der Vergangenheit her definiert, die vermeintlichen Vorzüge des mittelalterlichen Imperiums und Sacerdotiums erscheinen in einem hellen Licht, das über einem wiederauferstandenen christlich-germanischen abendländischen Europa leuchtet. Hier überschneiden sich bei Novalis europäische und nationalstaatliche Ideen, denn er beschwor die Restauration eines christlichen Abendlandes nach dem Vorbild des mittelalterlichen Reiches. Die Führungsrolle im Rahmen dieses Wandlungsprozesses – und das ist die zweite Überschneidung von Nation und Europa – sollte dem kulturell am besten qualifizierten Volk, das für ihn die Deutschen verkörperten, zufallen.
Hinweise auf das Christentum als Grundlage einer grenzübergreifenden europäischen Identität hatten in früheren Jahrhunderten in vielerlei Hinsicht die Gedankengänge jener Denker bestimmt, die der Frage des Verhältnisses von Staat und Europa nachgingen. Novalis indes gebührt das Verdienst, sich erstmals über die Hervorhebung des Christentums als Schnittstelle zwischen Natur und Geist mit der europäischen Frage auseinandergesetzt zu haben. Aus der Begegnung mit der transzendenten Welt wollte er Europa neuen Segen und neue Gnade zuteil werden lassen. Dabei erinnerte er sich auch der Ambivalenz des Europabegriffes, wenn er zwischen den geographischen und den kulturellen Grenzen Europas unterschied. Sein geographischer Europabegriff schloss alle Teile des Kontinents vom Atlantik bis zum Ural ein, während sich sein kulturelles Europaverständnis ausschließlich auf die Staaten Westeuropas und des westlichen Mitteleuropa bezog, einen Raum, den er als das Abendland bezeichnete.
Novalis konnte die zeitgenössische Diskussion über Europa durchaus beeinflussen. So forderten katholische Kreise in Anlehnung an seine Überlegungen eine Erneuerung Europas auf päpstlich-abendländischer Grundlage. Dabei wurde ein Gedanke aufgegriffen, mit dem Hardenberg selbst für kurze Zeit gespielt, den er dann aber wieder verworfen hatte, da er sich nur schwer in seine Überlegungen, die Rolle Deutschlands betreffend, integrieren ließ: den Widerstand gegen jede Form des nationalstaatlichen Denkens, das als eine Gefahr für die Zukunft des Kontinents bezeichnet wurde. Aus der in diesem Zusammenhang erwarteten Krise schien es nur einen Ausweg zu geben: die strikte Unterwerfung des christlichen Abendlandes unter die Hoheit des Papsttums als universaler Instanz.
Dieses Modell wiederum findet sich im Denken des einflussreichen katholisch-abendländischen Zweigs der deutschen Romantik, zu dessen prominentesten Vertretern unter anderen Friedrich Schlegel, Zacharias Werner und Clemens Brentano zählen. Für Friedrich Schlegel und Zacharias Werner bedeutete die Kirchenspaltung der Reformationszeit einen entscheidenden Bruch in der Geschichte des Christentums, der ein Hindernis auf dem Weg zur Schaffung des neuen abendländisch-romantischen Europaverständnisses darstellte. Mit ihrem Übertritt zum Katholizismus im Jahre 1808 bzw. 1811 wollten sie einen Beitrag zur Wiederannäherung der beiden christlichen Konfessionen leisten. Schlegel durchlief zudem einen Entwicklungsprozess vom deutschen Romantiker mit europäischem Sendungsbewusstsein zum engagierten Verfechter einer katholischen europäischen Restauration. In der Restaurationszeit zählte er schließlich zu den Herausgebern der Zeitschrift „Konkordia“, in der er regelmäßig die christlich-abendländische Erneuerung Europas unter der Ägide des Papstes anmahnte, nicht ohne stets auf die Sonderrolle Deutschlands hinzuweisen, die seiner Meinung nach diesem „Herzen Europas“ schon aufgrund seiner geographischen Lage zugefallen sei.