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Meine Pflanzenauswahl

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Der Gedanke mit der Arche – er musste in mir noch genauere Formen annehmen. Das tat er dann auch, und so entschied ich mich, genau 111 in Deutschland wild wachsende Pflanzenarten in der »Arche Jürgen« vor dem Untergang zu retten. Für mich die kommenden Ursprungsarten »einer neuen Welt«. Die wird es mit Sicherheit geben, denn der blaue Planet braucht alles, den Menschen jedoch am allerwenigsten. Unkraut vergeht nicht, sagt sogar ein altes Sprichwort – und so ist es tatsächlich.

Ob diese Arche nun nach der Sintflut am Berg Ararat im heutigen Ostanatolien strandet, so wie einst beim biblischen Noah, sei mal dahingestellt. Möglicherweise vertrocknen und verdursten wir ja auch eher, noch ist nichts entschieden. Und wenn sich mehrere Archen auf den Weg machen, um die Fauna und Flora möglichst vieler Arten vor dem endgültigen Verschwinden zu bewahren, sieht die Sache noch ganz anders aus.

Ich jedenfalls beschränke mit auf Deutschland, von Flensburg bis Oberstdorf, von Aachen bis Görlitz. Eine Sisyphus-Aufgabe, eigentlich zum Scheitern verurteilt. Welche Art soll ich nun mitnehmen – und warum? Welche Art weglassen? Ganze Pflanzenfamilien müssen unberücksichtigt bleiben, denn allein in Deutschland gibt es Hunderte davon mit etwa 6 000 Arten. Selbst 555 Arten würden zu Härtefällen führen, und 1 111 Arten würden es nur wenig besser machen. Selbst die 1 112. Pflanze nicht mitnehmen zu können, würde für mich Enthusiasten auch schon ein Problem darstellen ...

Wieder müssten viele andere ausgemustert werden. Wo sich doch über Jahrtausende, teils über Jahrmillionen zahllose Pflanzen bei uns allmählich eingenischt haben. Jede Art hat daher von sich aus schon eine Berechtigung, eine bleibende!

111 Pflanzenarten – ich hab mich mal darauf beschränkt, die Arche könnte ja sonst kentern – alleine in meiner Heimatstadt Bremen wären sie ruckzuck zusammen, oder 111 Arten selbst in meinem Stadtteil St. Magnus, jeweils 111 Arten in Niedersachsen, Thüringen oder Rheinland-Pfalz erst recht. 111 Arten in der Elbaue, 111 Arten in der Sächsischen Schweiz, 111 Arten im Oberrheintal, 111 Arten in den deutschen Alpen wären flugs im Angebot. Alleine schon 111 Arten der deutschen Halbtrockenrasen, 111 Arten der deutschen Sümpfe, 111 Arten hiesiger Laubwälder oder nur 111 Arten allein der heimatlichen Feuchtwiesen ganz genauso. Klar, gerne hätte ich alle deutschen Ehrenpreise (40 Arten), alle Enziane (25), alle Hahnenfüße (90 Arten), alle Malven (7), alle Schmetterlingsblütler (fast 150) oder alle Süßgräser (fast 300) herausgefischt und mit an Bord genommen.

O je, was habe ich mir da bloß aufgebürdet? Eine kniffelige, anspruchsvolle Aufgabe. Ein Hauen und Stechen, nur sinnbildlich natürlich. Höchst spekulativ und noch mehr subjektiv. Jeder andere würde anders verfahren ... Aber immerhin, gesetzt den Fall, wir werden alle überschwemmt – alles Eis der Welt würde schmelzen und der Meeresspiegel würde sich um 65 Meter erheben (Hannover wäre dann Küstenstadt!): Jemand hat sich da schon mal Gedanken gemacht, vorher, den Ernstfall geprobt und einen planetaren Schlachtplan vorgelegt. Und wer, wenn nicht ein Extrembotaniker, sollte sich die Aufgabe antun, diesen Masterplan auf die Pflanzenwelt auszuweiten.

Unterm Strich bin ich zu folgendem Ergebnis gekommen: Wir brauchen Heilpflanzen, Spezies zum Häuserbau, Schiffsbau, für Brücken und für Bohlenwege im Hochmoor. Es muss Gewächse geben zum Ackeranbau (Nahrungspflanzen), zur Bodenbefestigung, zum Unterwasserbau und zur Viehzucht. Möglichst alle Ökosysteme Deutschlands sind zu beachten, möglichst viele Familien, nicht nur 111 deutsche Süßgräser oder 111 deutsche Seggen. Auch die wären nämlich hierzulande vorhanden, spielend. Es muss Pflanzen für einen Tee, gegen Insektenstiche, gegen leichte Messerschnitte, gegen Bettwanzen und natürlich fürs Auge sowie für kommende Wildgartengestaltung geben. Felsen sollen wieder begrünt, Dünen festgelegt, Heiden und Sümpfe besetzt werden, es soll vegetieren auf Helgoland, längs der Unterelbe, an der Mosel, im Mainzer Sand, im Schwarzwald im Zittauer Gebirge – oder mitten im Berlin und München.

Ich habe die Qual der Wahl, es ist die Quadratur des Kreises: Wer kann denn mit wem gut kuscheln? Die Pflanzen müssen sich verstehen können, sonst hat es keinen Zweck. Die Prämisse ist weiterhin: Alle ex situ (außerhalb der Natur) geretteten Pflanzen sollen nach einer möglichen Katastrophe in situ (also draußen) gedeihen können. Sofern die Bedingungen dann wieder so oder so ähnlich sein sollten wie heute. Berücksichtigung finden demnach häufige und seltene Pflanzen, alles, was ich selbst aus jahrzehntelanger Erfahrung für gut, nützlich und herrlich erachtet habe.

Sortiert habe ich meine ausgewählten Pflanzen zunächst von innen nach außen: Von Ihrer Haustür aus geht es hinaus in die Landschaften. Denn ich will Sie von zu Hause abholen, Sie sozusagen von Anfang an an die Hand nehmen beim Einsammeln – vom Kleinen und Bekannten hinaus zu den größeren bis ganz großen Flächen. Dann nämlich auch von Norden nach Süden, dem Anstieg der Meere folgend. Das wird allmählich erfolgen – so hoffe ich –, und die benötigten Pflanzenanwärter können in Ruhe und ausreichender Anzahl geborgen werden. Sozusagen immer für den guten Zweck.

Als Kind schaute ich den Rettern nach Hofbränden zu, man kommt an Sanitätern nach Unfällen vorbei, selten kann man aber selbst eine Erdkröte, einen Igel oder auch nur einen Schmetterling vorm Überfahren retten. Hier darf ich endlich mal nach Herzenslust retten! Feder spielt den lieben Pflanzengott, oder frei nach Dr. Oetker aus Bielefeld (wo ich aufgewachsen bin, und diese Stadt gibt es wirklich!): »Man nehme ...!«

Diese 111 Pflanzenarten sind also wichtige Kennarten, sozusagen Stellvertreter. Gefeilscht wurde, wie gesagt um jeden Kandidaten, es werden meist zwei je Biotoptyp sein! Eine Sortierung wäre ebenso möglich gewesen nach dem Alphabet oder nach der Systematik der Pflanzengesellschaften, die in der Wissenschaft bei den Wäldern beginnt und bei Äckern, Kleingärten und Garagenhöfen endet. Das ist mir aber viel zu schematisch, zu wissenschaftlich, nicht feen- und federhaft genug, ich bin ja kein Roboter. Eine lange Odyssee (Arche) ist da doch viel poetischer und reizvoller. Eingesammelt wird nach Landung und Strandung. Einzige Bedingung: Darunter befinden sich keine Neophyten, also keine eingewanderten Neubürger ab dem 16. Jahrhundert (ach, wie schade – ich liebe sie!), denn zur Rettung derselben sollten sich andere Archen bemühen. Aber das sagte ich ja bereits ...

Der Pflanzenretter

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