Читать книгу Harzmagie - Jürgen H. Moch - Страница 20
Es gärt gewaltig
ОглавлениеDie Ferien waren wie im Flug vergangen, so kam der Schulanfang einfach zu schnell. In der folgenden Woche Mittwoch sollte es losgehen, obwohl sie sich noch nicht ganz eingelebt hatten, weil sie einfach keine wirkliche Ruhe fanden. Wie so oft in letzter Zeit kamen die drei Wollner-Frauen aus Goslar zurück.
Klara saß schmollend auf dem Rücksitz. Sie war es leid, ständig zum Arzt zu müssen. In Hannover hatte man ihre Knochenbrüche einfach ganz normal behandelt. Aber dieser neue Hausarzt ängstigte sie mit seiner Experimentierfreudigkeit und der übermäßigen Neugier, die er ihr schenkte. Sie fand Dr. Teufels schmierig und ekelig. Außerdem hatte er so unnatürlich kalte Hände, dass Klara jedes Mal zusammenzuckte, wenn er sie anfasste. Wenn ihre Mutter nicht ständig über ihr gewacht hätte, wäre sie schon längst schreiend aus der Praxis gelaufen. Heute hatte sie wieder mehrere Behandlungen über sich ergehen lassen müssen, aber am meisten störten sie die ewigen Spritzen. Dementsprechend war sie schlecht gelaunt, schweigsam und rieb sich die schmerzende Stelle, wo sie diesmal eine Vitaminspritze bekommen hatte. Elisabeth war wieder einmal mitgefahren und hatte sich die ganze Zeit in der Stadt herumtreiben können, was Klara schlichtweg unfair fand.
Dunkle Bäume rauschten vorbei und mit jedem Schild, dass die Höhenmarkierung über dem Meeresspiegel angab, sank die Temperatur draußen weiter und weiter. Sie fröstelte und zog ihre Jacke bis zum Hals zu. Ihre Mutter fuhr heute auffallend aggressiv. Erst dachte Klara noch, dass sie sich ebenfalls über den dämlichen Arzt ärgerte, der heute wieder einmal sie für die schlechte körperliche Verfassung Klaras verantwortlich gemacht hatte. Doch dann hörte sie dem Gespräch auf den Vordersitzen genauer zu, denn da braute sich etwas ganz anderes zusammen.
»Nun sag schon. Was hast du eigentlich die ganze Zeit in der Stadt gemacht, als Klara beim Arzt war?«, verlangte Emilia von Elisabeth zu wissen.
»Ach, gar nichts«, gab diese deutlich genervt zurück.
»Für gar nichts bist du aber reichlich spät wieder auf dem Parkplatz gewesen. Hast du etwa jemanden getroffen?«
»Das geht dich überhaupt nichts an!«, blaffte Elisabeth so heftig zurück, dass ihre Mutter ihr einen schockierten Blick zuwarf.
»Aber bitte erlaube mal! Was ist denn das für ein Tonfall? Ich bin deine Mutter!«
»Na und? Ich kann mich treffen, mit wem ich will! Du musst mich nicht dauernd kontrollieren. Ich bin keine Zwölf mehr.«
»Ich kontrolliere dich doch nicht dauernd.«
»Ach nein? Jedes Mal, wenn ich von der vielen Hausarbeit, die du mir ständig aufhalst, mal eine Pause mache, willst du dann immer sofort wissen, wo ich war und was ich gemacht habe. Das geht mir so was von auf die Nerven.«
»Ich mache mir nur Sorgen.«
»Warum? Ich schufte mir den Buckel krumm, während Papa dauernd ins Institut verschwindet und Klara, die doofe Zicke, die ganze Zeit an ihrem Rechner herumhängt und nicht mal abzuwaschen braucht.«
Es traf Klara hart, wie ihre Schwester von ihr redete, und sie lief knallrot an. Wütend holte sie Luft, um sich in die Diskussion einzumischen, doch Elisabeth redete sich bereits weiter in Rage.
»Warum hältst du mich absichtlich dauernd auf Trab? Ich habe auch ein Recht zu leben.«
»Ach, Betsy, es gibt noch so viel zu tun und du bist nun mal die Einzige, die gerade verfügbar ist. Immerhin trägt Klara doch noch den Gips. Schau mal, ich arbeite doch auch ununterbrochen. Und du verdrückst dich schon reichlich oft. Warum finde ich dich eigentlich ständig bei dem Stein an der Innersten?«
»Der gefällt mir halt und ich dachte, er liegt weit genug weg vom Haus, um ein bisschen Ruhe zu haben, aber offensichtlich muss ich mir ein neues Versteck suchen. Ich habe keinen Bock mehr, jeden Abend todmüde ins Bett zu fallen. Und besuchen darf mich auch niemand.«
»Wer soll dich denn hier besuchen?«, bohrte Emilia nach, während sie endlich vor dem Haus hielt.
»Das ist meine Sache!«, fauchte Elisabeth zurück, sprang als Erste aus dem Wagen und rannte ins Haus.
Klara starrte ihr mit einer Mischung aus Wut und Fassungslosigkeit nach. So kannte sie ihre Schwester gar nicht. Sicherlich hatte Elisabeth schon immer mehr Ärger mit ihrer Mutter gehabt als sie selbst, doch heute schien da noch mehr zu gären. Gab es da eventuell einen Jungen?
»Ich denke, das werden wir klären müssen. Deck bitte du heute den Tisch, Klara«, wandte sich ihre Mutter an sie und stieg aus.
Klara nickte. Das erschien heute sinnvoll. Sie humpelte ebenfalls hinein. Ihre Mutter folgte, nachdem diese das Auto zugesperrt hatte. Doch kaum, dass sie die Küche betreten hatten, ging es weiter.
»Hör auf, die Vorräte zu plündern!«, tadelte ihre Mutter Elisabeth, die bereits die Kühlschranktür aufgerissen hatte und sich etwas in den Mund stopfte.
Klara drückte sich vorbei, um aus der Schusslinie zu sein, und versuchte, den Küchentisch zu decken.
»Ach, auf einmal kannst du auch den Tisch decken. Wo hast du das denn so schnell gelernt?«, fuhr Elisabeth sie daraufhin an.
»Lass deine Schwester in Ruhe und leg die Karotte weg! Wir essen gleich alle zusammen!«
»Jetzt darf ich nicht mal etwas essen! Kriege ich gleich noch Stubenarrest? Mach doch! Dann kann ich wenigstens nicht mehr Rasen mähen oder Holz hacken!«
»So war das nicht gemeint.«
»Hast du einen Freund?«, warf Klara jetzt ihre Vermutung dazwischen, was ihr einen wütenden Blick ihrer Schwester eintrug.
»Stimmt das?«, hakte Emilia sofort mit schneidendem Tonfall und stechendem Blick nach.
Elisabeth rollte mit den Augen. »Ihr spinnt ja beide. Ich habe mich mit Sabrina getroffen, wenn ihr es unbedingt wissen wollt.«
»Etwa dieser Gothictante, von der du schon mal erzählt hast? Das hatte ich dir doch verboten. Das ist kein Umgang für dich«, ereiferte sich ihre Mutter sofort.
Klara runzelte die Stirn. Von der hatte sie noch nichts gehört. Das wurde ja immer interessanter.
»Mir bleibt ja nichts anderes übrig! Dann treffe ich Sabrina halt woanders! Nach Hause einladen darf ich sie ja nicht, weil meine Frau Mutter sie für asozial hält!«
»Unterstellung! Das habe ich nie gesagt!«, rief Emilia, die jetzt genauso wie Elisabeth knallrot anlief.
»Aber gedacht hast du es! Du kennst sie doch gar nicht richtig. Sie ist total nett. Nur weil sie auf Fantasy- und Vampirgeschichten steht ...«
Emilia baute sich vor ihrer großen Tochter auf und drohte mit dem erhobenen Zeigefinger. »Genau vor solchen Spinnereien versuche ich dich zu beschützen.«
»Das ist kein Beschützen, das ist der blanke Terror, was du mit mir machst!«
»Elisabeth Wollner, mäßige sofort deinen Ton!«, schrie Emilia.
»Den Teufel werde ich!«, brüllte Elisabeth noch lauter. »Du benimmst dich wie ein trotziges Kleinkind!«
»Ich bin kein Kleinkind mehr! Die da ist eins!« Dabei überschlug sich Elisabeths Stimme und sie pfefferte das Glas, das sie eben noch hatte auf den Tisch stellen wollen, gegen die Wand, sodass ein Schauer aus Splittern auf Klara niederregnete. Die bekam es jetzt doch mit der Angst zu tun und tauchte unter den Küchentisch ab. Sie erkannte ihre Schwester gar nicht wieder und ihre Mutter auch nicht. Tränen kullerten ihre Wangen hinab und sie begann in ihrer Verzweiflung, dazwischen zu schreien, dass Elisabeth und ihre Mutter aufhören sollten. Doch die beiden hörten nicht auf sie. Über dem Tisch ging es heftig weiter. Noch einige Minuten lang flogen wütend Sätze hin und her, dann erzitterte der Küchentisch, als Elisabeth mit einem Wutschrei dagegen trat, sodass Essen und Geschirr rings um Klara zu Boden fielen. Emilia sprang herbei, um sie aufzuhalten, doch Elisabeth stieß ihre Mutter grob zu Boden und stürmte hinaus auf ihr Zimmer.
Klara beobachtete wimmernd, wie ihre Mutter sich fluchend wie ein Kesselflicker wieder hochrappelte und die Tür der Hausapotheke aufriss. Sie griff sich mehrere Flaschen und rannte Elisabeth hinterher. Dabei knallte die Küchentür so heftig zu, dass eine weitere Flasche umkippte und herausrollte. Sie fiel und zerbrach auf dem Steinboden. Klara starrte die Medizin an, die sich auf dem Boden verteilte und mit dem Essen vermischte. Auf der Treppe polterte jemand nach oben, eine weitere Tür knallte und wurde wieder aufgerissen. Es erklang ein wütender Schrei, dann ein langgezogenes »Nein!«, das in einem gurgelnden Geräusch abbrach. Danach wurde es still, sehr still. Klara hörte auf zu schluchzen. Furcht überkam sie, eine Furcht, die tief in ihr saß. Was war nur los? Dann erklangen Schritte von draußen und jemand öffnete die Hintertür. Ihr Vater kam herein und blieb wie angewurzelt stehen.