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Prolog

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Hartwig Hauser genoss Italien. Er liebte vor allem das alte Rom. Die ganze Stadt enthielt so viel Geschichte, aber für die modernen Bauten hatte er hingegen nur Verachtung übrig. Rom half endlich, Jennifer zu vergessen, die ihn vor gut sechs Monaten hochkant rausgeworfen hatte. Nur noch manchmal wanderten seine Gedanken zurück zu ihr und dem kleinen, bescheidenen Haus am Waldrand, in dem sie lebte. Lange hatte er geglaubt, bei ihr endlich wirklich Ruhe zu finden. Es hatten sich sogar zaghafte gemeinsame Pläne angebahnt, doch dann hatte sie sich von einem Tag auf den anderen völlig verändert, hatte geklammert, ihm Vorschriften gemacht, ihn bedrängt, keinen Raum mehr gelassen. Wochenlang ging das so. Schließlich war er eines Tages völlig durchgedreht und hatte sie sogar geschlagen. Etwas, was er gerne ungeschehen gemacht hätte, aber es dann doch nicht konnte. Das lag hinter ihm, obwohl es immer noch schmerzte, ebenso wie die traumatische Zeit davor in Sarajevo und seine schwere Verletzung. Dinge, die er vergessen wollte, indem er sich auf die alte Geschichte Roms stürzte.

Gestern hatte er sich die Thermen vorgenommen, vor allem die Caracalla-Thermen, doch sein heutiges Ziel lag außerhalb. Diesen Vormittag quälte er sich mit seinem in die Jahre gekommenen Jeep durch den Straßenverkehr auf dem Weg nach Ostia, dem alten Hafen Roms. Dauernd überholten ihn dabei Motorroller, die sich an so gut wie keine Verkehrsregel hielten. Wie zu seiner persönlichen Bestätigung musste er auch gleich einen hässlichen Unfall mitansehen, als ein Laster, der seine Ampel noch bei Gelb genommen hatte, prompt ein ganzes Rudel dieser lebensmüden Trottel über den Haufen fuhr, weil die schon vor der eigenen Grünphase losgerast waren. Die Kreuzung wurde daraufhin von den Carabinieri gesperrt. Wenden konnte er nicht, da sich der Stau hinter ihm partout nicht auflöste. Also machte er das, was viele andere auch taten, zog rechts ran und stieg aus. Hauser hatte keine Lust darauf, die Verletzten anzugaffen. Davon hatte er in seiner Zeit als Verbindungsoffizier in Sarajevo genug gesehen. Während die meisten sich nach vorne drängten, um neugierig zu beobachten, wie die Sanitäter verzweifelt versuchten, die Rollerfahrer zu retten, ging er zu einem kleinen Café an der Ecke, wo er sich einen Espresso bestellte. Es handelte sich um eines dieser kleinen Straßencafés, die es an den Ausfallstraßen Roms zuhauf gab. Jenseits der Stadtmauer verirrten sich weniger Touristen, daher waren hier die Preise nicht so hoch, und er hatte keine Eile. Seit er nach seiner schweren Verwundung früh aus der Armee ausgeschieden war, musste er nicht mehr unbedingt rechtzeitig irgendwo ankommen. Er hatte sich noch nicht entschieden, was er jetzt beruflich machen wollte. Wegen seiner fürstlichen Abfindung musste er sich aktuell keine Sorgen machen.

Die Bedienung fragte ihn in stockendem Italienisch, ob er sonst noch etwas wünsche. Ein kurzer Blick genügte, um sie einzuschätzen. Osteuropäerin, vermutlich Polin. So kam er ihr entgegen und sagte in fließendem Polnisch, dass sie ihm die Mittagskarte bringen solle. Ein Fehler, wie sich sofort zeigte.

Sie blieb stehen. Ihr hübsches Gesicht hellte sich merklich auf und sie plapperte auf Polnisch los, erzählte von ihrem Auslandsjahr hier, dass sie aus Lodz sei, fragte ihn, woher er denn komme und wie es ihm hier gefiele. Hartwig fühlte sich schon nach kurzer Zeit genervt.

»Sehe ich so aus, als wenn ich jedem von zu Hause weggelaufenen Mädel meine Vergangenheit ausschütte?«, fuhr er sie weiter auf Polnisch an. »Sieh zu, dass du endlich dein Geld verdienst!«

Aufgerissene Augen starrten ihn an, die erkennen ließen, dass er einen Nerv getroffen hatte, dann rauschte sie davon. Als sie schließlich nach schier endloser Zeit zurückkehrte, knallte sie ihm wortlos die Speisekarte auf den Tisch und verschwand gleich darauf wieder. Hartwig war das nur recht. Er hatte lieber seine Ruhe.

So blieb er länger und bestellte bei ihrem Kollegen etwas zu essen. Als er schließlich aufbrach, war es schon Nachmittag. Er kam so spät in Ostia an, dass er gerade noch in die Ruinen der ehemaligen Hafenstadt eingelassen wurde. Der Kassierer ermahnte ihn, sich zu beeilen, da man bald schließe. Immerhin berechnete er ihm nur den halben Preis, was Hartwig fair fand.

Die Ruinen waren herrlich, deutlich besser erhalten als die in Pompeji und vor allem nicht so überlaufen. Er holte seine Spiegelreflexkamera heraus, begann zu fotografieren und vergaß die Zeit. Die Dämmerung war schon längst hereingebrochen, als er zum Eingang zurückwollte, doch dieser war bereits verlassen. Man hatte ihn scheinbar eingesperrt.

Getrieben von plötzlicher Abenteuerlust drehte er sich kurzerhand wieder um und ging zurück zu den Ruinen. Es schien eine laue Nacht zu werden und sicherlich würde sich ein Plätzchen finden, wo man schlafen konnte. Das Lied der Zikaden begleitete ihn zu einer Parkbank für Touristen, auf der er sich mehr schlecht als recht ausstreckte. Das Gezirpe wiegte ihn in einen unruhigen Schlaf.

Er wusste nicht, wie spät es war, als er erwachte. Etwas hatte ihn geweckt. Schlaftrunken rätselte er zunächst, was es gewesen sein könnte. Als er sich aufsetzte, meldete sich sein Bein und jagte ihm heftige Schmerzen bis ins Rückenmark. Das kam von dem Granatsplitter, den die Ärzte nicht mehr herausbekommen hatten, weil er sich tief in den Knochen gebohrt hatte. Keuchend hielt er inne und wartete, bis der Schmerz nachließ.

Der Mond stand voll am Himmel und erleuchtete die Umgebung mit mattem Silberlicht. Er wirkte in dieser Nacht ungewöhnlich groß. Die Gebäude warfen Schatten, in denen man nichts mehr erkennen konnte.

Hartwig lauschte und dabei fiel ihm auf, dass es nicht ein Geräusch war, das ihn geweckt hatte, sondern vielmehr der Mangel an Geräuschen. Die Zikaden hatten ihr Dauergezirpe in der Nähe eingestellt. Den Verkehr konnte man kaum noch hören, sodass die Stille fast greifbar wurde. Der ehemalige Soldat in ihm kam durch. Er spannte sich an.

Kurz darauf hörte er ein langgezogenes Heulen. Es erklang ganz nah, irgendwo auf der anderen Seite des Thermengebäudes. Ein großer Hund, überlegte er, könnte es sein. Streunende Hunde gab es in Italien nicht gerade selten. Vielleicht konnte er ein Foto schießen.

Er rappelte sich hoch und stieg auf einen Aussichtspunkt, bedacht darauf, keinen Laut von sich zu geben. Und tatsächlich, auf der anderen Seite etwas abseits, saß ein Tier im Gras und heulte den Mond an. Es war jedoch kein Hund, sondern ein Wolf. Er konnte ihn im hellen Mondlicht gut erkennen. Ein Wolf? Hier?

Nachdem er den Wind geprüft hatte und sicher war, dass das Tier ihn nicht wittern konnte, machte er lautlos seine Kamera bereit. Plötzlich zuckte er zusammen, denn jetzt antwortete ein anderer Wolf. Wie viele waren hier? Niemand konnte Hartwig einen Feigling nennen, aber mit einem Rudel Wölfe eingesperrt zu sein, behagte ihm dennoch nicht, zumal er keine Waffe hatte. Er versuchte, kaum zu atmen.

Der Wolf auf der Wiese sprang auf. Er schien nervös, denn er tapste hin und her, unschlüssig, was er tun sollte. Der zweite Wolf erschien nur einen Moment später. Hartwig schluckte heftig, denn er war riesig. Er musste um die Hälfte größer sein, schätzte Hartwig und hob die Kamera. Er stellte auf Nachtmodus um und begann eine Videoaufzeichnung. Gebannt verfolgte er, was sich nun tat, denn der kleinere Wolf, vermutlich ein Weibchen, schien in Panik zu geraten und wollte weglaufen. Doch der große Wolf schnitt ihr ständig den Weg ab, er war viel schneller als sie. Immer wieder versuchte er, an ihr zu schnuppern. Schließlich knurrte die in die Enge getriebene Wölfin den großen Wolf an, doch dieser ignorierte das und bedrängte sie weiter. Als er Anstalten machte, hinter sie zu kommen, sprang sie vorbei und jagte mit schnellen Sätzen von ihm weg. Er holte sie nach einem kurzen Sprint schier mühelos ein und schnappte nach ihrem Hinterlauf, sodass sie zu Fall kam. Dann lief er ein Stück weg, beobachtete sie. Sie kam wieder auf die Beine, zögerte aber unschlüssig. Er gab eine Art Kläffen von sich. Dann, von einem Moment auf den anderen, rannte sie ihm nach und biss in seine Rute. Das Spiel ging eine ganze Weile hin und her. Die beiden Tiere schienen die ganze Umgebung um sich herum vergessen zu haben und jagten sich im Mondlicht über die Wiese. Plötzlich sprang der Rüde von hinten auf sie. Seine Masse drückte die Wölfin zu Boden. Sie wehrte sich halbherzig und biss ihm in den Vorderlauf, doch bald schien sie sich ihrem Schicksal zu ergeben. Hartwig erstarrte, als er zu sehen glaubte, dass der Wolf sie mit beiden Pfoten gepackt hatte. Wie stellte er das an? Mit Pfoten konnte man doch nicht greifen. Aufgeregt vergewisserte er sich immer wieder, dass er diese Szene im Kasten hatte. Ein äußerst ungewöhnliches Schauspiel mitten in den Ruinen. Vielleicht konnte er ja seine Aufnahme für gutes Geld verkaufen.

Der Akt dauerte lange und gipfelte in einem Jaulen. Der große Wolf stieg ab, umrundete seine Partnerin. Er leckte die Nase der jungen Wölfin, die aber zunächst nicht auf ihn reagierte. Schließlich trottete er in die Büsche davon, aus denen er gekommen war, nicht ohne noch einmal sein Revier zu markieren.

Die Wölfin sprang im selben Moment auf, als er von der Lichtung verschwand, blickte ihm noch eine Weile nach, dann heulte sie ein letztes Mal und lief in die andere Richtung davon. Hartwig schlief in dieser Nacht nicht mehr. Er war viel zu aufgeregt, die Wölfe könnten ihn doch noch entdecken. Zu Hause, so nahm er sich vor, würde er den Film nochmal ganz genau ansehen und dann an den Meistbietenden verkaufen.

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