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Bier im Schuh

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Als ich vom Sportschwimmen die Nase voll und durch ebendiese genügend Chlor inhaliert hatte, wurde ich Handballer.

Wir zogen vom gefährlich nah ans holländische Drogenzentrum Heerlen grenzenden Städtchen Brunssum zurück nach Deutschland. In St. Augustin, einer Bonner Schlafstadt, bezogen wir ein Klinkerhaus mit Glasbacksteinen als Toilettenfenstern.

In diesem Haus konnte ich nicht den ganzen Tag herumhocken. Ich mußte etwas tun und auch mal raus. Ich meldete mich im Handballverein an, denn Handball hatte mir im Schulsport immer schon gefallen. Beim Handball wurdest du nicht als einzelner, als dem notengebenden Schleifer Ausgelieferter examiniert, wie etwa beim Pferdsprung oder beim Ringen an den Ringen, sondern du warst aufgehoben in einem Kollektiv, das dich agieren ließ, ohne dich zu traktieren. Handball in der Schule war Schulung gewesen – Schulung der Wahrnehmung, daß du nicht allein dein Dasein zu bezwingen verdammt bist, sondern daß du zwanglos, spielend einen Vertrag mit anderen darüber abschließt, sich gegenseitig zu unterstützen. Das ist wohl das respektabel Humane am Mannschaftssport, solange er nicht als Wettbewerbssport betrieben wird.

Ich war also, endlich erlöst vom endlosen Kachelzählen, im Handballverein gelandet, und ich startete meine neue Karriere bravourös. Im dritten oder vierten Training brach ich mir den linken Ringfinger, weil ich ein Zuspiel nur mit einer Hand annahm, aber ich machte weiter, ich zeigte Härte. Ich biß den Schmerz hinunter und ließ mir nichts anmerken. Denn ich wollte spielen, an den Wettkampfsonntagen. Das war das Ziel.

Ich erreichte mein Ziel, doch mit dem Erreichen des Ziels waren neue Ziele verbunden. Die neuen Ziele kündigten sich schon vor dem eigentlichen Ziel, dem Spiel, an. Schon vor dem Spiel, als man sich vor einer Sporthalle im Rhein-Sieg-Kreis traf, in der man gleich das so fiebrig erwartete Match zu bestreiten hoffte, sagten einem die Mitspieler, daß sie schon sehr gut, ja hervorragend »drauf« seien heute morgen.

Doch, doch, man habe schon mal, heute sei ja Sonn- und Spieltag, ein, zwei Große gewuppt und sich von innen schön geölt, sagten der Lange, der Center, und der Kurze, der Dicke, unisono, das gehöre sich so. Wir standen vor dieser Halle, und ich war nervös. Der Lange und der Kurz-Dicke kicherten, sie demonstrierten eine Leichtigkeit, die mir ganz fremd war, mir, der von einem Fuß auf den anderen trat, weil ich ja doch endlich ein Spiel bestreiten wollte und mich bewähren mußte. Ansonsten, im Falle des Versagens, drohte »die Bank«.

Doch, taktisch aufgetankt habe man schon mal, sagten die beiden. Der Trainer, ein untersetzter Metzger, fuhr vor, pellte sich aus seinem Auto und führte uns in die nach Bohnerwachs riechende Halle.

Hinterher fragte ich mich oft, ob sie nicht auch in der Halbzeitpause irgendwo ein Großes zischten. Jedenfalls spielten der Lange und der Dicke in der zweiten Hälfte immer noch waghalsiger und befreiter auf als in der ersten. Bayern-Trainer Udo »Pilslatte« Lattek hatte ja seinem nervösen Fohlen Karl-Heinz Rummenigge vor dem Anpfiff öfter mal einen Cognac verordnet und einpfeifen lassen. Was dem Fußballer der Schnaps, das dem Handballer das Bier.

Unser Trainer hatte einen sehr schönen roten Ballonkopf. Er schnaufte beim Gehen, aber wenn er mal zwei Meter die Seitenlinie entlangstapfte, war er sehr agil. Es lag vielleicht an seinen immerweißen Spezialhandballturnschuhen, die ihn dann gegen alle Gesetze der Bierschwerkraft herumfedern ließen, als sei er ein Balletthandballer.

Ich war Linksaußen. Das ist, wie im Fußball, die Idiotenposition. (Nur der Handballtorwart ist noch bekloppter als der Handballinksaußen.) Von links außen werden im Handball mehr »Hundertprozentige« versiebt als von jeder anderen Position. Das kann ich beweisen. Man setzte mich auf die Bank.

Des Trainers Glatze glänzte wie eine blankpolierte Messingtresenarbeitsfläche. Danach, um etwa vierzehn Uhr, gingen wir in ein Rustikallokal. Jetzt, sagten der Trainer, der Lange und der vorbildlich unsportliche Kurz-Dicke unisono, werden wir einen Stiefel trinken.

Wer einen Bierstiefel zum Munde führt und das Bier nicht in den Schlund schleust, sondern über das Gesicht schwappen läßt, ist ein Idiot.

Man lachte mich aus. Der Trainer lachte, und seine Glatze leuchtete im gelben Schein der Bierkneipenlampe. Der Lange lachte, und der Kurz-Dicke, sein kleiner Reinschüttbruder, kicherte.

Das hat meiner Liebe zum Bier nicht nachhaltig geschadet, aber es war dies, ohne daß ich es damals ahnte, doch das genaue Gegenteil des stillen Tresentrinkens, das ich manchmal schätze, wenn das Kollektiv um mich herum kollabiert und ich eine Wand angucke.

Es gibt gute Gründe, betrunken sein zu wollen. Aus einer Gruppe, zumal einer Gruppe von Sportlern, kommen sie nicht. Ein drogenfreies Leben ist ein Fluch, ein protestantischer. Ein Sportlerdrogenleben ist ein Grauen, ein fürchterliches, ein doppelt protestantisches Grauen des Zwangs. Saufen gegen und als Leistung.

Damals, 1983, gab es noch nicht diese Turnschuhe mit Plastikglasbausteinen im Absatz. Hätte es sie gegeben, ich bin sicher, hinter den Sichtfensterchen der Turnschuhe meiner Handballergenossen wäre Bier geschwappt. Nein, geschwommen, hin und her.

Die Poesie des Biers

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