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Leberwurstbauch

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Bier. Michael Jackson. Ein Buchtitel. Ein Mann. Viele Worte. Und die haben Gewicht.

Michael Jackson gilt nicht nur – einem seiner deutschen Verlage zufolge – als »Pionier des Bierjournalismus für den Verbraucher«. Er läßt auch von den nach eindrucksvollen Details geiernden Presseabteilungen verbreiten, einen »Bauchumfang von 112 cm« durch die Welt zu wuchten während seiner unzähligen Reisen in Sachen geistige Getränke rund um den bierbauchkugelrunden Globus.

Die Welt. Das Bier. Michael Jackson. Man kann an diesem Mann beobachten, wie ein Mythos wächst – etwa jener, daß der rund sechzigjährige »Knight of the Mash« (Ritter der Maische) »der erste war, der Biere nach ihrem Aroma und Geschmack beschrieb«. Das ist Unfug, aber auf dem hiesigen, überschaubaren Bierbüchermarkt hat sich Jackson den Ruf des unangefochtenen Schwenkers des pilsgoldenen Weihrauchfasses erworben, seit sein auf ungezählten Bierdeckeln zusammengehauener Pocketklassiker Bier – Über 1000 Marken aus aller Welt 1987 erstmals auf deutsch erschien.

Michael Jacksons eiserne Devise lautet: loben, loben, loben. Und deshalb bisweilen notgedrungen: lügen. Denn wer das Bier nach Maßgabe der Weingourmetliteratur in den Stand des distinguiert zu beurteilenden Nobelgetränks erhebt, dessen – in Anklang an einen Klassiker der Soziologie – sortentypisch »feine Unterschiede« (Verlag/Pierre Bourdieu) es in den Gefilden der »geschmacklichen und charakterlichen Vielfalt« (Verlag) zu erkunden gelte, der vergißt beim achten Schoppen auch mal, daß die von der Brauerei gratis zur Verfügung gestellte Probe aus korrupter Trunkenheit zum erlösungsgleich gelungenen Trank gerät, obschon sie von der Zunge unter Normalbedingungen der Unbestechlichkeit strikt zurückgewiesen werden müßte.

Michael Jacksons »symbolisches Kapital« (Bourdieu) ist sein zementierter Ruf. Und wer einen Ruf hat, kann rufen, ohne daß noch jemand darauf achtet, ob der Rufer bei Sinnen ist. Bier (Starnberg 2005), Jacksons jüngster, chic inszenierter Aufguß seiner auf keinem Bierfilz mehr unterzubringenden Bücher zum Thema, verzichtet deshalb auratisch-monolithisch auf einen Untertitel – das Wort dieses Mannes gilt.

Der ehemalige Leiter des Deutschen Filmmuseums, Walter Schobert, hat mir mal erzählt, daß Michael Jackson, dessen Whiskeybibeln Schobert ins Deutsche übersetzt, unterdessen eine Garde von Assistenten brauche, um sein Pensum hinterher zerebral noch »auseinanderklappermüsentieren« (Michael Schumacher) zu können. Im mit opulenter Food-Photographie protzenden Band Bier, der durch die Berücksichtigung zahlreicher zum Wohle des Biertrinkers vergossener neuamerikanischer Micro-Brewery-Erzeugnisse durchaus überzeugt, liest man dann etwa in der hochmodischen Rubrik »Bier als Digestif« zum Irseer Abt’s Bier inklusive Ostapostroph zustimmend: »Der Abt dürfte von diesem sehr starken Lagerbier ordentlich betrunken worden sein.« Doch in welcher Verfassung war Michael Jackson, als er den »Zweck des Bieres« bestritt, »im Berauschen zu liegen«?

Jackson, der »mit dem Trinken in der Schule begann« (The Times), ließ sich von Verlagsseite mal attestieren: »Es ist Donnerstagmorgen, halb zehn, und Michael Jackson trinkt wieder. ›Das erste Bier am Tag schmeckt immer phantastisch.‹« Andernorts versicherte er, »er habe auf einer einzigen fünfwöchigen Reise durch die USA 500 Biere probiert« (The Wall Street Journal). In Bier, das uns sprachliche Pretiosen einschenkt wie einen Abgang »mit sackleinener Trockenheit« und eine Geschmacksnote à la »geklumpte Sahne«, mahnt der Meister hinsichtlich einer ernsthaften Degustation: »Schon fünf oder sechs Biere können den Gaumen überfordern, und zehn, zwölf sind sicher mehr als genug.« Was sagt man dazu?

Was übrigens wirklich ein Mythos ist und deshalb endlich zügig ins Reich der Lüge verdammt gehört: daß Bier dick macht. Einen Bierbauch, das haben in derlei Fragen unbestechliche, abgeklärte finnische Wissenschaftler vor Jahren derart unwiderlegbar unter Beweis gestellt, daß es sogar die Bild-Zeitung meldete, einen Bierbauch gibt es nicht. Es gibt einen Pizza- oder Schweinshaxen- oder Leberwurstbauch, der mitunter aus der appetitanregenden Zufuhr von Bier erwächst.

Und genausowenig gibt es einen Grund dafür, ein Pils unverdrossen sieben Minuten lang zu zapfen. In eineinhalb Minuten ist es nämlich fertig, wohlgeraten in holdester Frische.

Wir hätten das gern in Bier gelesen. So wird es mit der Aufklärung aber wieder nichts.

Die Poesie des Biers

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