Читать книгу Die Poesie des Biers - Jürgen Roth - Страница 40

Vom Briten lernen

Оглавление

Von Dieter Steinmann

Als mein Freund Günter von Freital mir zirka 1969 die hier folgende Geschichte zum erstenmal erzählte, saßen wir anschließend lange beieinander, räsonierten über das Wesen des Briten, über sein Gebaren draußen in der weiten Welt, die Geschichte des Empire und Commonwealth, phantasierten über die Freude der Menschen Albions am Bier, über das bekanntermaßen vermehrte Aufkommen exzentrischer Personen in England und waren uns doch darüber im klaren, daß hinsichtlich dieser Thematik wohl auf ewig mehr Fragen als Antworten zu bedenken seien.

Günters Geschichte geht so: Er war aus schierer Freude am Nach-Dänemark-Fahren mit einer Freundin für ein paar Urlaubstage nach Kopenhagen gereist, und die beiden fanden dort auch gleich alles recht gemütlich und wohleingerichtet vor und machten sich schöne Tage. Günter zählte damals nicht zu jenen, die man lange nötigen muß, bis sie zu einem Gläschen Bier greifen. So lag es nicht fern, das in Kopenhagen ansässige Stammhaus der Carlsberg-Brauerei zu besichtigen, eine Bierfabrik von Weltrang, die überdies schon damals im Ruf stand, Stunde um Stunde anschauliche Besichtigungstouren durchs Haus anzubieten, als deren jeweils krönender Abschluß großzügig arrangierte Verkostungen galten.

Und so war es dann auch. Mit Bussen wurden die Besucher übers Gelände kutschiert. Station für Station der Bierherstellung war in allen Weltsprachen Wissenswertes zu erfahren, und zu guter Letzt versammelten sie die Biertouristen in einer Halle, in der auf langen Tischen artig arrangiert die Produkte des Hauses samt passenden Gläsern bereitstanden. Erst hier fiel Günter ein etwa dreißigjähriger Mann auf, der bisher eher matt die Tour absolviert hatte, der sich, von Schauplatz zu Schauplatz der Besichtigung, nur betont zögerlich von seinem Sitz im Bus erhoben hatte und selbst angesichts aufsehenerregender Aspekte der Braukunst und -technik nicht durch Zwischenfragen, Applauskundgebungen oder simuliertes Interesse aufgefallen war. Dieser bislang so zurückhaltende Mann entwickelte augenblicklich bei Betreten der Verkostungshalle eine enorme Beweglichkeit, indem er nun höchst konzentriert von Tisch zu Tisch eilte, um sehr zügig, aber ohne allzu verräterische Hast ein Fläschchen ums andere fix zu leeren.

Günter schilderte mir das Tun dieses engagierten Herrn in schönster Detailgenauigkeit: Stets im Takt aufgesetzter Gelassenheit, »so, als ob nichts sei«, spähte der Vielfachprobierer im Raum umher, machte wie mit Adleraugen sämtliche ungeleerten Probesortimente aus und stellte sie, um die Tischreihen mäandernd, ohne weitere Umstände sicher. Da Günter und seine Begleiterin sich sehr über dieses Schauspiel amüsierten, den Schluckspecht offen bewunderten, blieb diesem ihre Aufmerksamkeit nicht verborgen, und als er sich beim Abgrasen letzter nicht wahrgenommener Freibiere ihnen kurz näherte, flüsterte er ihnen kumpaneiselig zu: »Come on, next bus, next tour …«, winkte dabei so zierlich verschwörerisch, wie sein Zustand ihm übers eilige Bierschnappen hinaus noch koordinierte Gesten erlaubte, und zeigte auf die Reihe der draußen vor der Tür schon wieder neue Besichtigungsgäste aufnehmenden Carlsberg-Rundfahrtbusse.

Günter und seine Begleiterin verständigten sich kurz und folgten dem nun deutlich Wankenden, der wie selbstverständlich einen Bus erklomm, sich seufzend in einen Sitz fallen ließ und dann mit momentan letzter Kraft seiner Freude Ausdruck gab, Günter und die Seine bei sich zu wissen.

Genau so, wie man es ahnen möchte, kam es dann. Drei weitere komplette Touren lang begleiteten die beiden den, wie sie bald bruchstückhaft erfuhren, Engländer, der seinerseits als Tourist in Kopenhagen weilte und seit etlichen Tagen, vom Vormittag bis zur letzten Führung ab 16 Uhr, keine einzige Rundfahrt durch die Welt der Carlsberg-Biere verpaßt hatte. Mit nicht nachlassendem Tempo sauste er, Klimax des Unternehmens, jeweils zum Ausklang einer Fahrt in die Trinkhalle und dort von Tisch zu Tisch, nun nicht, ohne seine neuen Freunde und Begleiter herzlich zu ermuntern, sie mögen doch zugreifen, schnell, so billig wie hier würde das Bier nie wieder, und dafür sei er gut, der Däne, daß man ihm sein Bier wegtrinke, zu viel mehr tauge er eh nicht, das sei ja bekannt.

Den dringlichen Rat dieses durstigen Repetitionisten, morgen vormittag gleich wieder mit dabeizusein, schlug Günter höflich und mit dem Hinweis auf weitere Sehenswürdigkeiten Kopenhagens aus, was den Biertouristen vordergründig belustigte, in Wirklichkeit jedoch, so meint der Augenzeuge, mit der ganzen großen unauslotbaren Rätselhaftigkeit des Existentiellen an sich konfrontierte. Deutsche halt, Hunnen!

Seit jenen besonnten Stunden des immer wieder aufs neue Durch-die-Carlsberg-Hallen-Zirkulierens kommt Günter von Freital nicht ohne Grinsen an Carlsberg-Bierkästen oder Werbeschildern dieser Marke vorbei. Leute, die sehr entschieden mit dem Bier auf du und du stehen, kennt er etliche; nie allerdings war ihm die Gesellschaft eines hingerisseneren Schluckspechts vergönnt als damals unter dem Dach der dänischen Brauer.

Die Poesie des Biers

Подняться наверх