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Kleine psychosoziale Biertypologie

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Startbier

Vierundzwanzig Grad Celsius Außentemperatur. Am Himmel halten ein paar katzenkleine Schäfchenwolken Mittagsschlaf. Die Sonne blinzelt uns neckend zu, ihr Licht streift durch die Kronen der Bäume, durch die Büsche und Blumenstauden und legt sich in aller behaglichen Ruhe und Stille in Streifen, Kreisen und Klecksen auf der Wiese nieder.

Da kommt es – das Startbier. Man sitzt zu viert, zu fünft in einer Runde, die Stimmung ist einwandfrei, gedämpft heiter (auf keinen Fall ausgelassen und übermütig!), und da kommt es daher, in Halbliterpokalen oder -bechern oder, mögen das die Umstände diktieren, -glaskrügen glänzend und leuchtend, das Startbier, mit einer stolz-zierlichen, ja: stolz-zierlichen, vornehmformschönen weißen Haube, so kommt es daher, gebracht von einer blonden Dame im schwarzen Rock, die stellt es vor uns hin, nicht robust, sondern präzise und feingliedrig, und dann nehmen wir die Humpen zur Hand und führen sie zum Mund, der Schaum knistert bittersüßleis’, ein Duft aus Hopfen und Hoffnung weht uns an, und der erste Schluck, er ist, wie er ist, noch nicht beschrieben worden, und wir maßen uns genausowenig an, das zu wollen oder gar zu können.

Ja, das Startbier ist das beste Bier der Welt, und »das beste Bier der Welt, / das haben wir grade bestellt« (Michael Tetzlaff). Allerdings wird das Startbier auch als Flaschen- und Solitärbier genehmigt, auch als ein solches vermag es, etwa am Schreib- oder Gartentisch geöffnet und in den Körper hineingelassen, sehr deutliches Einverstandensein mit der Welt auszulösen, denn das erste Bier des Tages gibt uns immer zu verstehen, daß dies kein verlorener oder immerhin kein gänzlich in die Grütze gegrübelter Tag gewesen sein wird. So ist es.

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Aufbaubier

Heute hartprotestantisch runtergeochst: einen Aufsatz über Thomas Bernhard, eine Glosse über die Heillosigkeit in und rund um Pirmasens und der da und dort herumwurstelnden Menschengestalten, ein Minidrama über das »extreme Ende« eines sexualnarrischen Schauspielers und ein einzeiliges Gedicht über Probleme der Patisserie. Noch zu erledigen und wegzukurbeln: kurze theoretische Skizze über die Dignität der Dampfgitarre, Bemerkungen zum Schweizer Wehrgeist in der Kunst und Komplettzerlegung des »Werkes« von Andy Warhol (Form offen). Das Aufbaubier (nie vor vier, besser: nie vor 18 Uhr! Nur dann schon vor vier, wenn bereits morgens um sechs vor der Computerkiste gesessen), das Aufbaubier ist unser nobelster Helfer und Salvator. Es ermuntert die körperlichen und geistigen Elementarteilchen, sich trotz Erschlaffung und Gammelgestimmtheit einen Schubs zu geben, sich zu strecken und zu recken, ein paar Kniebeugen zu machen und die bleiernen Beine zu schütteln und derart erfrischt und verjüngt in harmonischster Kopf- und Somaformation strammzustehen, für uns, die Obermieter der Elementarteilchen in Schädel und Schrumpf (eigentlich: Rumpf). Und siehe, dank Aufbaubier kriegt mindestens der Warhol heute noch hartherzig-gerecht und satt jeweils eine auf die Drei, die Neun und die Zwölf.

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Vorlaufbier

Während der Besichtigung einer Wohnung, die ein Mitarbeiter des münsterischen Oktober Verlages zu mieten gedachte, fragte der Vermieter den Mitarbeiter des münsterischen Oktober Verlages, wie der Verlag denn zu seinem Namen gekommen sei. Der Verlag sei zu seinem Namen Oktober Verlag gekommen, weil er im Oktober gegründet worden sei, antwortete der Mitarbeiter des Oktober Verlages, der dem Vermieter beim Betreten der Wohnung sofort seine Visitenkarte ausgehändigt hatte, weil das, wie er gedacht hatte, bestimmt einen günstigen Eindruck machen würde.

Ein paar Minuten später hörte der Mitarbeiter des Oktober Verlages den künftigen Vermieter im Nebenzimmer zu seiner Frau sagen: »Gott sei Dank, er ist kein Kommunist.«

Ohne Vorlaufbier, das der Mitarbeiter des Oktober Verlages auf Grund einer Vorahnung, daß die Angelegenheit sich als heikel würde erweisen können, zwecks antizipierender Kalmierung eingenommen hatte, wäre die Sache sicher nicht gut- und klargegangen.

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Unterbier

Scheußliches Symptom, mit dem eine Art Fünfter Weltkrieg im Geist und im physiologischen Apparat des Biertrinkers charakterisiert wird, der am Tag/ Abend zuvor »einen zuviel«, »einen über den Durst« und/oder »einen Container mehr, als er verträgt«, umgebolzt hat.

Der um sämtliche Fährnisse und Mißtritte in dieser Welt wissende Gasthausvater fragt den oder die unter Unterbier leidenden Biertrinker, der oder die am Frühstückstisch herumlemurt/herumlemuren, als seien – wechseln wir endgültig mal in den Plural –: als seien sie von Seelenfäule in Kombination mit Magenatomarsäure befallen, ob sie »ein Unterbier« hätten.

Hm, ja, hm, doch, ja, könnte sein. Aber was sei denn ein »Unterbier«.

»Ja, ihr hobts halt a Unterbier!« sagt der Gasthausvater, läßt, nun bereits wieder wie auf einen Gotteswink hin stämmig und stad hinterm Tresen stehend, diverse Gegenunterbiere in diverse Gegenunterbiergläser einrauschen, schleppt die diversen Gegenunterbiergläser dann hinüber zum Frühstückstisch, und die unter Unterbier leidenden Biertrinker saugen die Gegenunterbiere des Gasthausvaters zügig in sich hinein, und dreiundzwanzig Sekunden danach kann die schon jetzt ehemaligen unter Unterbier leidenden Biertrinker ihr ehemaliges, ja kürzlich noch schmerzlichst bemerktes Unterbier vollständig zufrieden volles Rohr am Arsch lecken.

Das zum Unterbier.

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Konterbier, auch: Stützbier

Folgt aus der Diagnose, ein Unterbier zu haben. Impliziert indes den eher autonom gefaßten und weniger von einer Wirtsperson unterbreiteten Spontanplan, der ziemlich ausufernden Gefühlsmarodität wegen Abusus vortags gehörig und mit letzter Schützengrabenentschlossenheit brutalstmöglich in die Eier zu treten. Heißt: Fight fire with fire. Einfacher gesagt: unmittelbar nach dem Erwachen aus diarrhöetrüben Träumen ein bernsteinglühendes Schlappeseppel hineinlitern und ordnungsgemäß einschrauben. Ein Bier kann auch ein Skelett sein, o ja!

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Dehnungsbier

Laut dem Universalsoziologen Dieter Steinmann dies: »Das Dehnungsbier ist ein Bier, mit dem man eventuell Zeit dehnen kann oder Vorgänge oder das Warten auf den Kellner oder irgend so etwas. Eine Untergattung wäre das Prolongariatsbier oder so was ähnliches, irgendwie. Nicht irgendwie ein Eckenstehereibier irgendwie. Es gibt ja so Vorgänge im Gehirn, aber das Dehnungsbier ist ja was Reelles, was Materielles, es steht ja da. Das extreme Gegenteil auf jeden Fall vom Schnaps oder vom Cocktail. So Vorgänge gibt’s. Es gibt so Vorgänge. Die die Zeit länger machen, irgendwie.«

Genau.

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Spekulativbier

»Wäre ein Ermutigungs- oder ins Psychodynamisch-Praktische hineinstoßendes An- und Befeuerungsbier denkbar?« (Dr. D. Steinbierleberlaus)

Nicht schlecht, daß wir uns diese Frage gestellt haben. Tut ja sonst niemand.

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Anbiederungs- und Affirmationsbier

Offeriert in Golfklubs, Theaterfoyers, Eros-Lounges und Saunen. Lehnen wir ab.

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Substitutions- und Humanplatzhalterbier

Dito entdeckt und dingfest genagelt von Dieter Steinmann – als sozialsymbolisches Handlungsersatz- und -anbahnungs- und -anbahnungsscheiterbier in Kreisen verkrüppelter Krautköpfe, die durchaus unser Mitleid verdienen. Lehnen wir dennoch ebenso streng ab. Das Bier der Geworfenen. Müßt halt Heidegger lesen und dumm bleiben.

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Ad-hoc-Bier

Ein Wunderzauberereignis. Man hängt in der Welt herum, sieht dies, sieht das, ist indifferent-omnilateral vermurkst, guckt ein Auto an, das richtig parkt, und fragt sich: Warum ist dieses Auto richtig geparkt worden?

Antwort gibt ein Ad-hoc-Bier, ohne Vorsatz bei Costa am Wasserhäuschen gekauft. Und plötzlich ist alles optimal gut eingeparkt in dieser rundherum veritabel wahnsinnigen Welt. Hau doch die Kuh aufs Eis, aber was!

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Unbier

»Man muß immer trunken sein«, sagte Baudelaire. So sehr es aber Unmenschen gibt, so sehr gibt es Unbier, kantisch gesprochen: Bier zur flaschen, halt: zur falschen Zeit im falschen Raume. Bier läuft in der Nacht nicht weg, heißt es im Pfälzerwald aus güldenem Munde, allein, Bier, das, nicht weglaufend und allzeit zur Hand, zur Unzeit gereicht, ist nicht geeicht auf den Raum, in dem es, gereicht, uns zum Plaisier gereichte.

(Diesen Gedanken noch mal überdenken. Obschon heute an Denken nicht zu denken ist.)

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Erinnerungsbier

D. »Prof.« Steinmann zufolge ein Bier, das ausnehmend wichtig ist.

(Anders das Marginalbier, welches andernorts zu erörtern wäre.)

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Pufferbier

Schützt vor extremistische Folgen zeitigenden, soziopositivistisch gesehen desaströsen Ausfällen gegen die Sack- und Sabbergesichtigkeit der sau- und schweinemäßigen Verbandelungssozialentropiebrotzklotzhaftigkeit höherer Gesellschaftsniedergruppierungen (Ackermann, Adel, Angela M.) im Sinne einer alsbald schlammschlappen Einschläferungsschwerigkeit des akut in solchen Verhältnissen aufhältigen »Einzelindividuums« (Gerhard Polt), das aus Weisheit Bier trinkt.

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Fremdbier

Ein hergelaufenes Bier. Von niemandem geordert. Ist auf einmal da. Nicht gewollt, nicht erkiest. Wie der Sozialdemokrat am Krummgurkenbiegetisch im Ludwigshafener Wolf-Biermann-Kulturkinderheim. Was hat er, was hat es, das Fremdbier, hier verloren?

Die Wege des Herrn sind verworren und dappert, doch auf allem ruht Segen.

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Fahrbier

Rasch müssen wir nach München. Mit dem Automobil. Wir haben etwelche Überbiere in uns und können weder recht Farben sehen noch unseren Namen als Palindrom aussprechen.

Da greifen wir zum Fahrbier, das uns mephistophelische Abilitäten injiziert. Zwischen Würzburg und Nürnberg werden wir, frohbefeuert Rockmusik mitgrölend und mit rechtem Betonfuß ausgestattet, auf dreißig Kilometern dreimal abgelichtet und hernach blitzsauber ins Flensburger Pilsenerphotographiearchiv eingeliefert.

Wir reichen das bei der Künstlersozialkasse ein.

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Bestätigungs- und Beglaubigungsbier

Der Japaner ist zum Biertrinken nicht fähig. Deshalb schnallt er auch gar nichts vom Bestätigungs- und Beglaubigungsbier, das wir verehren wollen.

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Unterhaltungsbier/Sozialbier

Siehe Startbier.

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Zugabenbier

Noch eins? Nein, zur Frau, der unermeßlich schönen und geliebten.

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Finalbier

Versteht sich von selbst. Trinkt sich auch wie von selbst, meist bei abgeschaltetem Hirn (sogenanntes subjektloses Trinken, seit Ausbruch der Postmoderne und auf Grund der durch sie epidemisch gewordenen zerebralen Aufschäumungen unter Akademikern und anderweitigen Arschlöchern beliebt und verbreitet). Das Finalbier vermag sich daher leicht zu multiplizieren, kann »mithin« (Finalbiertrinker) in mehrere Finalbiere mutieren. Wie viele Finalbiere »es dann noch waren«, weiß der gründlich finalisierte, das heißt komplett fertige Trinker am nächsten Morgen naturgemäß meist nicht mehr. Es empfiehlt sich ein Teetag. Nun ja, bedingt.

Die Poesie des Biers

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