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Kafka in Pirmasens

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Pirmasens – hier leistet man sich wieder minus zehn Grad, bei allerdings hellem Sonnenschein samt blauem Himmel, was den ganzen Saustall noch unübersichtlicher macht.

Dieter Steinmann, Mail vom 5. Januar 2010

Arglos fuhren wir zum Kaufland in Pirmasens, um einen ehrlichen Kasten Parkbräu-Pils zu erwerben. Das Pirmasenser Kaufland liegt exakt in der Mitte eines gleichschenkligen Dreiecks, dessen Eckpunkte das Polizeipräsidium, die sagenumwobene Zwickerstubb, an deren Tür ein Schild warnt: »Achtung! Hier wird geraucht!«, und der Imbiß Rundeck bilden, in dem die Stammkund- und die Belegschaft gelegentlich stark unter Fehlbelieferungen mit alkoholfreiem Bier zu leiden haben.

Wir gaben unser Leergut an einer Halle auf dem Parkdeck ab und glitten über kilometerlange Rolltreppen hinunter in den Einkaufsbereich, der ungefähr so groß ist wie der Flughafen von Dallas. Wer all das Zeug, das hier feilgeboten wird, erstehen soll, vermag niemand zu sagen. Der Pirmasenser ist seelisch und anderweitig derart depraviert, daß er weder in der Lage noch gewillt sein dürfte, pro Monat mehr und Sinnvolleres denn zwei Hartwürste, einen Sauerkohl, vier Tüten Muscle-Gain-Food, fünf Landser- und zwanzig Frickelhefte in seinen Besitz zu bringen.

Wir schritten die Regalreihen auf der Suche nach ehrlichem Parkbräu-Pilsener ab. Es war still, fast totenstill, gespenstisch still wie in einem Text von Kafka – bis wir eine Durchsage hörten: »Die 9738 für die 4265!« Und noch mal, diesmal etwas lauter und auch schärfer: »Die 9738 für die 4265!«

»Hehe, der Fleischereioberchef schickt eine Nachricht an seine neue Wurstauszubildende«, meinte mein Kumpel. »Die hat sich jetzt zum Aufbocken ins Kühlhaus zu verfügen! Da wäre man ungern dabei. Sehr häßlich, das, wahrscheinlich, hehe. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, gell!«

Ich schenkte den Worten meines Kumpels keine nähere Aufmerksamkeit und konzentrierte mich auf die Suche nach ehrlichem Parkbräu-Pilsener. Plötzlich eine weitere Durchsage: »Herr Steinmann, die 078379 hier, Herr Steinmann, bitte umgehend in die Rhetorik!«

Ich blieb stehen und zog meinen Kumpel am Arm. »Dieter, hast du das gehört? Die meinen dich!« – »Wer?« – »Keine Ahnung. Aber hast du’s nicht gehört? Du sollst in die Rhetorik kommen!«

Bevor Dieter antworten konnte, tönte es erneut aus den versteckten Lautsprechern: »Und wenn wir schon dabei sind: Herr Egner, bitte in die Erkenntnistheorie! Und zwar zack, zack!«

Was war hier bloß los? Dieter, dem der zweite Aufruf ebenfalls nicht entgangen war, und ich blickten uns leicht konsterniert an, da hob die knattrige Stimme wieder an: »Herr Henscheid, finden Sie sich doch bitte in der Veterinärtheologie ein. Frau Passig, wir ersuchen Sie, möglichst flott zum Bilchzwinger zu kommen. Herr Rowohlt in die Normenabteilung! Herr Meurer zum Friseur! Herr Schmidt, China, in die Koioase!«

Es hörte nicht mehr auf. »Herr Traxler, bitte im Rektorat melden! Herr Metes, bitte zu den Damen! Die Herren Greser & Lenz werden in zwei Minuten auf der Aktionsebene C am Mineralwasserprobierstand erwartet. Herr Prof. Weigle, bitte in die Computerecke! Und Herr Tomayer, sofort ins Sexual!«

Woher kannten die uns? Uns und unsere Kollegen und Freunde? Kann jemand für Aufklärung sorgen?

Die Poesie des Biers

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