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Der Poet des Bieres oder: Ode an Helmut Stier

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Maigret verspürte das Verlangen nach Bier.

Georges Simenon

Er trank langsam und genießerisch zwei große Glas

Bier, während ihn ein Wohlgefühl durchdrang.

Georges Simenon

[…] und das tröstliche Bier fließt.

Harry Rowohlt

Preisen will ich – im Sinne des US-amerikanischen Dichters James Agee – einen großen Mann: Helmut Stier, den ehemaligen Prokuristen der Pirmasenser Parkbrauerei. 1976 erschien in der Pfälzischen Verlagsanstalt Neustadt/Landau ein ungeheuerliches, nur vierunddreißig Seiten umfassendes Buch von Helmut Stier, betitelt Faßliches und Un-Faßliches, und zitieren möcht’ ich hier und ehren dieses Werk, das einzigartig war und bleibt.

»Brüder, fliegt von euren Sitzen, / Wenn der volle Becher kreist. / Laßt den Schaum zum Himmel spritzen: / Unser Glas dem guten Geist!« Stier bezeichnet die (Teil-)Strophe aus Schillers Ode »An die Freude« als »die schönsten Zeilen, die je zum Lob des Bieres geschrieben wurden«. Läßlich, daß Stier da ein wenig nachgeholfen und das Bier an die Stelle des Weins gerückt hat, denn Stier verfaßte sie selber, die schönsten aller jemals dem Bier gewidmeten Zeilen.

Versöhnung, wahre, ungeschmälerte, ist das Motto des Helmut Stier. Der Johannes Rau des Bieres? Bewahre! Hätte der dem Bier nicht abgeneigte Kirchentagssozialdemokrat solche Sätze zustande gebracht? »Die Erlauchtheit des edlen Rebengewächses tut jedoch der Kameradschaft mit dem Krug schäumenden Gerstensaftes keinerlei Abbruch. Gibt es nicht Winzer, die sich nach des Tages harter Arbeit auf ein Glas frisches, würziges Bier freuen?« Ist es nicht so, o Bacchus, o Gus Backus, der ja immerhin 1967 die LP Ich bin kein stiller Zecher auf den Markt pfefferte? Gus Backus, der sich richtig »Gambrinus Bacchus« schreibt – als Realsymbolfigur der Stiftung des kantianisch ewigen Friedens zwischen Wein- und Biertrinkern?

Helmut Stier fährt fragend fort: »Rankt sich der Hopfen nicht ebenso dem alles verstehenden, alles verzeihenden Himmel entgegen wie seine empfindsame Schwester namens Rebe?« Versicherte nicht Schiller: »Brüder, überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen«? Und erzählt Helmut Stier nicht eine wunderbare Geschichte von der Vermählung der germanischchristlichen und der polytheistisch-antiken Welt im Fluidum des Bieres?

Er erzählt sie, und sie heißt »Vor dem ersten Schluck«: »Der Gipfelhöhe solch freudigen Erschauerns begegneten wir auf der Insel Rhodos, zur Stunde des Pan. Auf dem durchglühten Felsensturz der Akropolis von Lindos fühlten wir uns vor Durst wie stranguliert. Kraftlos, schweißgebadet, mit zynischer Gleichgültigkeit stiegen wir zu den weißen Häuserkuben der Ortschaft hinab, überschüttet vom flammenden, erbarmungslosen Lichtregen. Seltsame Zerfaserung der Gehirnmasse, als löse sich ein Knäuel in flatternde Fäden auf. Abbröckeln des eigenen Leibes und der Welt. Da schleuderte uns das Schicksal die Taverne von ›Mama Lindos‹ auf den Weg. Welch eine Wirtin: Sie umarmte uns, holte Bier herbei, herrlich frisches deutsches Bier. Hei, teure Seele, feuchte deine Asche! Wie die schäumende Kühle unser Herz erwärmte! Wie die inwendige Dusche uns bis in die Fingerspitzen erquickte! Ganz sachte rutschten wir in den eigenen Urgrund zurück. […] Panagia, dieser göttlichen Schenke werden wir Kerzen entzünden!«

Da hat einer seinen Dr. Benn gelesen – und sehr viel mehr. »In weitem Bogen spannen sich sieben bierfrohe Jahrtausende«, erläutert Helmut Stier. »Beweis dafür, daß der schäumende Trinkstoff ein geduldiger Vermittler im Zusammenleben der Menschen ist. Als ein Geschenk der Schöpfung, das der Welt schmeichelt und mit dem sich in gewissen Zeiten ihre Bosheit und Torheit zu puren Schönheitsfehlern besänftigen lassen.«

Oh, welch weiser Mann! Preisen will ich Helmut Stier!

Und was er alles zu berichten weiß! Von William Shakespeare beispielsweis’, dem, dem gleichfalls großen Klaus Reichert zufolge, Erfinder des modernen, des Renaissance-Menschen, der in Was ihr wollt dem Junker Tobias die Zeilen in den Munde legte: »Vermeintest du, weil du tugendhaft seiest, dürfe es in der Welt keinen Kuchen und kein Bier mehr geben?«, und der allzugern an Bierwettbewerben in Bidford, dem Nachbarort von Stratford-Upon-Avon, teilnahm. Helmut Stier führt aus: »Im benachbarten Bidford konnte man kaum Shakespeares Ankunft erwarten. Dieses Dorf beherbergte eine berühmte Rasse von Biertrinkern, die darauf brannten, ihn und seine Genossen zum Wettkampf mit nußbraunem Gerstensaft herauszufordern. Man maß sich gerne in der feuchtfröhlichen Kunst, gewaltige Humpen handhabend, gegen die unsere heutigen Gemäße nur Knirpse sind. Um keine Tugenden auf sein Haupt zu häufen: Shakespeare war ein Mann dieser Welt. Er hielt die Augen nicht niedergeschlagen oder gen Himmel gerichtet. Ein Mann, der Komödien verfaßte, wenn es sein Publikum so wollte, und der Dramen schrieb, wenn es nach ernsteren Stoffen rief. Niemand fand etwas Anstößiges an diesem kräftig zechenden Dichter. Ja, man war stolz auf ihn als einen Vertreter des ›merry old England‹.«

Etwas weniger stolz ist Helmut Stier auf die – ja von Tacitus und Cäsar erfundenen – Germanen, zum Beispiel auf »jenes kompromittierende Geschehen im Teutoburger Wald, wo die germanische Infanterie, hochaktiv, angereichert mit Wirkstoffen des Gerstentrunks – simserim sim sim –, die römischen Weinfreunde besiegt hatte«; oder auf das Treiben im nordischen Götterhimmel: »Der Riese Ögir, von trüber Durstqual beherrscht, raubte eines Tages in Walhall das Braufaß. Ein ebenso trauriger wie peinlicher Tatbestand. Hätte nicht der Donner Thor das kostbare Stück zurückgeholt und den Göttern ihren Dämmerschoppen gerettet.«

Rund ums Bierfaß ereignete sich allerlei ergötzlicher Grob- und Feinunfug. »Auch in der Edda«, legt Helmut Stier dar, »entschied sich ein König für diejenige von zwei Frauen, die das beste Bier zu sieden wußte. Göttervater Odin half der hübscheren, indem er ihr heimlich ins Braufaß spuckte. Dieses Gärmittel verbesserte die Qualität des Trinkstoffs so vorzüglich, daß die Widersacherin das Duell Maß für Maß verlor.«

Maß für Maß – o weiser, großer Mann! Preisen will ich Helmut Stier! In Shakespeares Maß für Maß sagt übrigens der Libertin Lucio: »Frater, so lang essen und trinken nicht abgeschafft werden kan, wird es unmöglich seyn, es ganz auszurotten.« (III, 6, Übersetzung: Christoph Martin Wieland)

Weiter im Buche Stier.

Die bekannte Saga vom hl. Columban trägt Helmut Stier wie folgt vor: »Der irische Mönch Columban sah eines Tages zu, wie am Bodensee heidnische Alemannen ein Faß Bier auf das Wohl des Gottes Wotan leermachten. In innerem Aufruhr flehte er zum Himmel. Dann hob er das schier zentnerschwere Behältnis in die Höhe, führte das Spundloch an den Mund und blies derart gewaltig hinein, daß die Tonne im Augenblick auseinanderbarst. Welch Hin- und Mitreißendes! Worauf die Versammelten zu Ehren des kräftigen Evangeliums sogleich ein zweites Faß zur Strecke brachten.«

Hin- und mitreißend, wie Helmut Stier parliert, ein Mann, der weiß, »daß ein gefüllter Krug besser ist als alle trockenen Worte«. Fließend und strömend seine Anmerkungen und Anekdoten zum Bier: »Die Helden des Mittelalters, Ritter und Troubadoure, nahmen gefüllte Fässer in Empfang. Lohn für die glückliche Heimkehr zu Muttern. Heutzutage erhielten sie trockene Orden und Ehrenzeichen. Der barocke bayerische Kurfürst Ferdinand Maria, allergisch gegen alles, was ihn beim Trinken stören könnte, besaß sogar ein schwimmendes Bierfaß. Er hatte es wie ein Schiffchen herrichten lassen, das über Untiefen hinschwebte und, Stürmen wie Wettern preisgegeben, ihn stets im Kielwasser seiner Jacht auf dem Starnberger See begleiten mußte. Wollte man an Bord einen heben, wurde das Faß luvseits vertäut und seine Ladung gelöscht.«

»Ja, daß Fässer eine Öffnung haben, macht ihren besonderen Reiz aus«, und »daß der Menschen Sehnsucht zuweilen nach den Sternen langt, zwingt sie nicht, den Teil ihres Ichs zu verachten, der in ihren zwei Quadratmetern Haut beschlossen liegt«.

Oh, welch weiser Mann! Preisen will ich Helmut Stier!

Große Sätze legt Helmut Stier gelassen nieder: »Der Genuß von Starkbier dient der Befriedigung berechtigter Lebensansprüche«, »Ihr Schluckauf war nicht moralischer Natur«, »Der Pilspokal war Mittler«, »Das Medium Bier hat viel Gutes unter den Menschen angerichtet und immer wieder Heilsames, sprich Verbindendes und Versöhnliches bewirkt. Wie sonst hätte es alle Völker, alle Kriege, alle Krisen so kellerfrisch überdauern können?«

Und wie verhält es sich mit dem Durst, dem Verlangen nach Bier? Helmut Stier: »Die Liebe und der Husten lassen sich nicht unterdrücken. Auch der Durst nicht. Er gleicht einer Naturgewalt. Kurz, wenn wir den Bierdurst stillen, ist das unseres Schöpfers Willen.«

Will man mehr hören?

Ja!

So denn: »Wo der Durst anfängt und wo er endet, dies zu ergründen haben sich Philosophen vergebens bemüht. […] Kaum sind wir auf der Welt, haben wir Durst. Einem Unwiderstehlichen gehorchend, das man die kategorische Schoppenstunde nennen könnte. Ohne Durst, wie trostlos wäre da die innere Einsamkeit so manches Geselligen. […] Die Wonne, den Durst zu löschen, ist trotz der Jahre nicht in unserer Achtung gesunken. Allem Erquicklichen, allem flüssigen Trost zugänglich, stehen wir wurzelfest und wipfelbereit auf der Erde.«

Wurzelfest und wipfelbereit – welch weiser Mann! Preisen will ich Helmut Stier!

Helmut Stier erweist dem Pfälzer Mundartdichter Paul Münch die Reverenz. »Seine Verse lagen nie trocken da, Fässer jeglicher Form waren für ihn eine Art Resonanzboden«, zieht er den Hut und zitiert den himmelsnahen Zweizeiler: »Loßt de Kopp nie hänge’, / Parkbräu gebt’s in Menge’!« Doch am innigsten ist er dem ehemaligen Parkbräu-Biersieder Georg Wiesmath verbunden, wie das Kapitel »Ein Bierphilosoph« belegt.

»Münchner von Geblüt, sah er auf die Welt in ›durstigem Staunen‹, wie Joachim Ringelnatz derlei ausdrückte«, beginnt die herzergreifende Hommage, und nun will ich nur mehr zitieren, zu ehren das unfaßbare Buch Faßliches und Un-Faßliches, zu preisen den Braumeister Georg Wiesmath:

»Nach Feierabend verkroch er sich im hintersten Eck der Betriebskantine, den Maßkrug vor sich, daneben Tinte, Federhalter und Papier. Dort saß er wie unter einer Glocke aus Glas. Nach einigen Schlucken, die ihn labten, als erquicke Sommerregen dürstendes Erdreich, knipste er im Geflecht seiner Überlegungen und Empfindungen den Strom an.

Wo er hindachte, entstand ein Reim. Wer behaupten wollte, bei Hopfen und Malz würden die Musen schweigen, der irrt. ›Denn was ins Bier gebannt der Meister‹, sagte Georg Wiesmath, ›erweckt im Künstler erst die Geister!‹ […]

Sein Vorbild war Paul Münch. In Verbeugung vor diesem ›Bilding frisch vum Faß‹ schilderte er die Grenzen menschlichen Füllvermögens mit diesen Worten: ›Ich wollt’, ich wär ein Parkbräu-Faß, / Außen trocken, innen naß. / Dann bräucht’ ich keinen Maßkrug mehr / Und söffe mich stets selber leer!‹

[…] [E]r beschwor nicht das Beschlauchen, den simplen Massensuff, bei dem der Magen von Flüssigkeit schwappt und aus der Gemütlichkeit allmählich Angst wird vor würgendem Ekel. Er trank nicht, um zu fallen, sondern um sich zu erheben. ›Etwas Helles nach dunklen Stunden!‹ sagte er, leerte den Krug und holte sich einen neuen. ›Wer auf Gott vertraut, der sitze beim Bier, oder er braut!‹ schrieb der Glückliche, vom Himmel mit beneidenswerter Einfalt gesegnet.

Bier schmeckte für ihn wie gebrauter Friede. Stand sein Leben schief, trank er es gerade. Und weil er nie trocken saß, hatte er Humor. […] Georg Wiesmath nach brauchte auch die Seele ihren Stoffwechsel, um sich von den Schlacken der irdischen Unrast zu reinigen.

Die Verse, die der ›Hektoliterat‹ feinsäuberlich niederschrieb, boten freilich keine Höchstleistungen im kritischen Sinne. Aber muß es denn immer nur Höchstleistung sein, aus der die Welt Nutzen zieht? Immer nur dieses Alles oder Nichts?

Klopfte man den Bierstein von seinen Werken ab, kam ein Individuum zum Vorschein, das man ganz einfach lieben mußte. Schade, daß Georg Wiesmath sich längst endgültig fortmachte.«

Oh, welch weise Männer! Preisen will ich Georg Wiesmath! Preisen will ich Helmut Stier! Preisen möchte ich das Bier!

Dank an Klaus Motsch.

PS: Am 1. November 2009 schreibt mir Harry Rowohlt:

»Lieber Jürgen:

… wollen wir aber nicht vergessen, daß das Zitat ›Hei, teure Seele, feuchte deine Asche‹ von Carl Mikael Bellman (in der Nachdichtung von Carl Zuckmayer in seinem Stück ›Ulla Winblad‹) ist (und ›Knipst auf der Geige, und haltet die Humpen fest!‹ weitergeht).

Danke für das Zitat in dem ehrenvollen Umfeld!

Dein Harry«

Die Poesie des Biers

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