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Aufklärung à la Albion
ОглавлениеDer Mann hat eine Mission, eine milde. Lucas Goebel hat in Weihenstephan Brauwesen studiert, einige Jahre bei verschiedenen Fachzeitschriften gearbeitet und dann die Nase voll gehabt – vom Verlautbarungsgeschnatter der Verbandsfabulanten, der Lobbyisten und der Lobredner in ureigener, das heißt in deutscher Sache.
Die meisten deutschen Brauer halten sich wenn nicht für die Erfinder des Biers, so aber mindestens für die Gralshüter in Sachen Bierqualität und -geschmack. Dafür spricht die Tradition im Lande der »Bierphilisterei« (Nietzsche) und der allgemeinen geistigen »Bierwirtsphysiognomie« (Schopenhauer). Wer erfand das Pilsner? Ein deutscher (bayerischer) Brauer! Wer erließ das Reinheitsgebot? Die deutschen (bayerischen) Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. erließen es! Und die anderen? Jenseits der (deutschen) Reichsgrenzen? Pfuscher! Giftmischer! Ver- und Aufschneider! Bier? Nur von hier!
Kaum ein anderer (Selbst-)Betrug ist dreister und zählebiger verwurzelt in einer Nation, von der Schopenhauer sagte, sie sei »von allen die dümmste«, als derjenige des protektionistischen Reinheitsgebotshokuspokus, mit dem die Einzigartigkeit des deutschen Biers alleweil schwellbrustartig begründet und ausgeplörrt wird. Große deutsche Braumeistergenies werfen ungebrochen den Bierwanst in die Waagschale des Weltbiermarktes, schreien herum, deutsches Bier, das sei Pläsier, und machen im gleichen brackigen Atemzug alles schlecht, was schmeckt, weil es einen Geschmack hat, der sich vom zu Tode geschniegelten deutschen Supermarktschwedentrunk unterscheidet.
Lucas Goebel, ein freundlicher, zurückhaltender und doch begeisterungsfähiger Mann, hat von dem Getöse genug und veranstaltet auf eigene Kosten Bierproben, in deren zirka zweistündigem Verlauf er die Tester behutsam an die Grundlagen der organoleptischen und sensorischen Erkundung des unermeßlichen Kontinents Bier heranführt. Seine »Reise in eine unbekannte Welt« beginnt mit gutem Grund mit hiesigen, meist bekannten Produkten, um überhaupt erst einmal sorten- und markentypische Differenzen zu erschmecken, etwa zwischen barock-vollen, aromagehopften und flach-zackigen, bittergehopften Bieren, zwischen den Buketts obergäriger Bräus und den körperlichen Eigentümlichkeiten von in der Regel nicht allzu hochvergorenen Exportbieren. In aufsteigender Linie schreitet man auf der Tucholsky-Treppe Schlürfen–Schlucken–(Weg-)Schütten vom mit allem Recht der Welt an den Anfang gesetzten Alkoholfreien der beliebten hessischen Eisvogelbrauerei bis zum Weizen-Doppelbock fort. Umflort dann die Zunge ein lieblicher Reigen elysischer Himbeer- und Bananenaromen, so werden die Exerzitien zum Beschluß durch den Verzehr eines ausländischen Gebräus gekrönt, das die Pforten zu einem Reich unerhörter Schmackussensationen öffnet. »Aaaaah«, seufzt Goebel zufrieden, »richtig durchatmen und den Strauß schmecken!«
Je fuller, desto doller! Just an jenem Tag, als Goebel kürzlich das adorable Fuller’s Extra Special Bitter aus London kredenzte, war zuvor auf der A 7 ein Biersattelschlepper umgekippt. Abertausende Flaschen Warsteiner zerbarsten wie von höherer Hand verfügt. »Deutschland ist ein armes Land an Hefe«, beschied Goebel später, »man will keine Geschmacksvielfalt zulassen.«
Möglicherweise hat Lucas Goebel eine »Vision« (Willy Bierbrandt) – die vernünftige Vision, wenigstens einigen wenigen deutschen Biertrinkern ohne bierologisches Expertengehabe die Augen und Münder zu öffnen für Bräus, die jenseits des Eisernen Biervorhangs darauf warten, mit Neugier, Freude und dem mehr oder minder festen Willen zur mehr oder minder bravourösen Berauschung umgesäbelt zu werden. Schon Belgien wäre ja nicht allzuweit, jenes kluge Land und Hefeparadies der wilden Gärung, in dem laut FAZ-Korrespondent Christian Eichler der kategorische Imperativ die zumal im allseitigen Kant-Jahr allfällige tägliche Neuformulierung erfährt: »Handle stets so, daß dein Handeln auch als Grundlage einer möglichen Bierbestellung dienen könnte.«