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2. Die ‚Meinhold-Affäre‘
ОглавлениеIn den ersten Wochen nach der bestandenen Examensprüfung hielt sich der frischgebackene Junglehrer bei seinen Eltern in Ernstthal auf. Es galt nun, sich nach einer ersten Anstellung als Schulamtskandidat umzuschauen. Die Stellensuche führte ihn alsbald nach Glauchau. Die aufstrebende Textilstadt, am südöstlichen Ufer der Zwickauer Mulde gelegen, bildete Mitte des 19. Jahrhunderts den Verwaltungssitz der gemeinsamen gräflich-schönburgischen Behörden. Von Alters her dominierte in Glauchau das Tuchmacher- und Leinewebergewerbe; daneben florierten Färbereien, Kattun- und Wolldruckereien. Um 1860 zählte die Stadt ca. 16.000 Einwohner. Glauchau verfügte über eine Armenschule, deren Anfänge auf die Hungerjahre von 1771/1772 zurückgingen. Damals erhielten die Kinder mittelloser Eltern Unterricht. Eben diese Armenschule hatte um jene Zeit ihr Domizil im Gebäude der Glauchauer Mädchenschule am Kirchplatz 4.
Am 5. Oktober 1861 sprach May beim Superintendenten der Ephorie Glauchau, Konsistorialrat Dr. Carl Wilhelm Otto (1812-1890), wegen einer Anstellung als Hilfslehrer an der Armenschule vor. Mit „Handschlag an Eidesstatt“ und einem dazugehörenden Protokoll nahm Otto Mays Einstellung als „Hülfslehrer an den hiesigen Schulanstalten“ vor.20
Bereits zwei Tage später unterrichtete der Junglehrer für ein Jahresgehalt von 175 Talern und 25 Talern Logisgeld21 die Klasse IV der Armenschule. Der Klasse gehörten 64 Schüler, 34 Knaben und 30 Mädchen, zwischen sieben und acht Jahren, an. Mindestens zwei Jahre galt es für May, sich als Schulamtskandidat zu bewähren. Danach erwartete ihn eine ‚Wahlfähigkeitsprüfung‘. Erst nach deren Bestehen gab es Aussicht, eine feste Dienststelle anzutreten.
In der Glauchauer Großen Färbergasse Nr. 17 im Hause des Kaufmanns Ernst Theodor Meinhold (1835-1890) kam May zur Untermiete unter. Alles schien bestens anzulaufen. Aufgrund seiner musikalischen Begabung erteilte er auch der Ehefrau seines Vermieters, Henriette Christiane (1842-1891), Klavierunterricht. Aus dieser Unterweisung entwickelte sich schon nach wenigen Tagen eine Liaison, die nicht unentdeckt blieb. Der Kaufmann ertappte die beiden, als sie sich gerade küssten. Die Empörung über die außereheliche Aktivität führte den Vermieter am 17. Oktober 1861 zu Mays Vorgesetzten Otto. Dem Superintendenten zeigte er empört an, „daß der Hilfslehrer Carl Friedrich May bei ihm seit dem 5ten October d. J. sich in Wohnung & Kost gegeben, während dieser kurzen Zeit aber in der unwürdigsten Weise durch Lügen u. Entstellungen aller Art sich bemüht habe, die Ehefrau von ihm abwendig und seinen schändlichen Absichten geneigt zu machen.“22
Die behördliche Maschinerie begann zu laufen. Otto wollte May zu einem Gespräch vorladen, obwohl seine Entscheidung „daß May entlaßen werden muß, zumal die Meinholdschen Eheleute ihre Aussagen eidlich bestärken wollen“,23 bereits feststand. Doch die Vorladung blieb erfolglos, da der Beschuldigte die Meinholdsche Wohnung mit der auf einen Zettel geschriebenen Abschiedsbotschaft, „ein unglückliches Opfer der Verkennung“24 zu sein, überstürzt verlassen hatte. Diese Reaktion sollte sich als symptomatisch dafür erweisen, „wie May auf hereinbrechende Konfliktsituationen reagierte: Er flieht aus der Wohnung und versucht in einem emotionalen Ausnahmezustand mit rastlosen Wanderungen durch die Nacht sein seelisches Gleichgewicht wiederzuerlangen.“25
In einem dann doch noch erfolgten Gespräch bei der Superintendantur gab May die Annäherungen an die Wirtsfrau zu, weshalb er ohne weitere Umstände am 20. Oktober 1861 aus dem Schuldienst entlassen wurde.