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Unbekannter Betrüger.

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Da die von hier unter dem 20. d. M. erlassene betr. öffentliche Bekanntmachung bisher noch ohne Erfolg geblieben ist, so wird andurch wiederholt behufs Ermittelung des Thäters zu allgemeiner Kenntniß gebracht, daß am 16. d. M. die nachstehende unter bezeichnete unbekannte Mannsperson aus einem hiesigen Kleidermagazine die nachstehend unter beschriebenen, durchgängig neuen Kleidungsstücke durch Betrug an sich gebracht hat. Penig, am 12. August 1864. Das Königl. Gerichtsamt daselbst. Bermann.


Signalement des Betrügers.

Alter: 21-23 Jahre, Größe: 68-69 Zoll, Statur: mittel, schwach, Gesichtsform: länglich, Gesichtsfarbe: blaß, Haare: dunkelbraun, glatt anliegend, etwas unordentlich lang gewachsen, Nase und Mund: proportionirt, Stirn: hoch, frei, Sprache: sächsischer Dialect, Haltung: etwas steif und linkisch, Benehmen: freundlich, gewandt, Bekleidung: schwarzer Tuchrock mit wollener Borte besetzt und schmutzigem Kragen, dunkle Buckskinhosen, lichte Buckskinweste, schwarzseidene Mütze, Stiefel mit Sporen und ein anderes Mal Schnürstiefel. Besondere Kennzeichen: trug Brille mit Argentangestell, an einem Finger der rechten Hand einen Ring, gab sich für einen Dr. med. Heilig aus Rochlitz, Augenarzt und früheren Militair aus, ließ allhier ein in Gerichtsgewahrsam gebrachtes, zwar eine gute Schulbildung, aber keine eigentliche medicinische Ausbildung verrathendes Augenheilrecept zurück, könnte übrigens gegenwärtig statt der angegebenen, möglicherweise von ihm veräußerten Kleider die nachstehend bezeichneten, von ihm erschwindelten tragen.


Verzeichniß der erschwindelten Kleider.

I. 1 Ueberzieher von schwarzem schweren Winterbuckskin, mit breiter, schwarzer, gestreifter, atlaskantiger Borte eingefaßt, mit schwarzem, atlastibetnen Leib und weiß und schwarz gemustertem, shirtingenen Aermelfutter, schwarzcamlotnem innern Aermelhandbesatz, erhaben, seidnen Knöpfen, niedrigen, durch breite Borte von der schon angegebenen Beschaffenheit eingefaßten Kragen, links mit einer äußern ebenso eingefaßten Brusttasche , einreihig, halb anschließend und ohne Taille.

II. 1 Rock von schwarzem, leichten, feinen Sommerbuckskin, mit schwarzseidner, schmaler Einsatzborte, schwarzem, atlastibetnem Leib- und weiß und schwarz gemustertem shirtingnen Aermelfutter, schwarzseidnem, innern Aermelhandbesatz, erhabenen, seidnen Knöpfen, niedrigem Kragen, links mit einer innern, durch schwarzseidnen Passepoil eingefaßten Brusttasche, einreihig, mit durch 2 Knöpfe besetzter Taille.

III. 1 Paar Hosen von schwarzem, schweren, feinen Buckskin, mit Taschen von grauer, ungefärbter Leinwand und übrigens weißem Shirtingfutter.

IV. 1 Paar Hosen aus feinem, schweren Winterbuckskin von hellbräunlicher Grundfarbe mit dunkleren braunen kleinen Mustern, mit Taschen von grauer, ungefärbter Leinwand und übrigens weiß und schwarz gemustertem Shirtingfutter.

V. 1 Weste aus schwarzem, feinen, leichten Sommerbuckskin am Vordertheile, am Rückentheile inwendig aus weißem Shirting und auswendig aus schwarzem Glanzkattun, einreihig, mit glatten Lastingknöpfen und Shawlkragen.

Auch das Sächsische Gendarmerieblatt gab noch am selben Tag einen erneuten Fahndungsaufruf heraus und mahnte die Polizeiorgane, „daß namentlich auch sorgfältige Nachfrage bei den Trödlern zur Entdeckung des Unbekannten führen kann. Uebrigens hat derselbe einmal Stiefeln mit Sporen, das andere Mal Schnürstiefel getragen u. sein dklbrns Haar ist glatt anliegend u. etwas unordentlich lang gewachsen. Seine Haltung war steif u. linkisch, sein Benehmen freundl. u. gewandt.“56

Dr. med. Heilig blieb jedoch verschwunden. Möglicherweise hielt sich der untergetauchte Hochstapler in der Gegend von Lößnitz im Erzgebirge und in Dresden auf.

Interessanterweise fand im November 1864 vor dem Amtsgericht Dresden eine Untersuchung

gegen den vormaligen Lehrer Carl Friedr. Mai aus Ernstthal57

statt. Der Grund der Untersuchung ist nicht bekannt, hing aber offenkundig nicht mit der Fahndung nach Dr. Heilig zusammen. Das Dresdener Untersuchungsverfahren verlief – da Mays Identität mit dem Betrüger von Penig nicht herauskam – im Sande bzw. wurde offenkundig eingestellt. Laut Aussage Mays vom 27. März 1865 trug er die Hosen und den Rock einige Zeit, um sie dann für 5 Taler an einen Trödler in Chemnitz zu verkaufen.58

Die Figur des Dr. med. Heilig verbindet in besonders auffälliger Weise Mays frühen und nie erreichten Berufswunsch mit der späteren literarischen Kompensation. Letzteres kommt in der Reiseerzählung Durch das Land der Skipetaren zum Ausdruck, in der die Verfolgung verschiedener Mitglieder der verbrecherischen Schut-Bande durch Kara Ben Nemsi und seine Gefährten geschildert wird. Dabei taucht einer der wichtigsten Gegenspieler des Ich-Erzählers auf. Es ist der alte Mübarek in Ostromdscha, der dort in gutem Ruf als Arzt steht und als Heiliger verehrt wird. Er hat es verstanden, seine Person im Aberglauben der Leute mit mythischen Zügen zu versehen; er sei über 500 Jahre alt, esse und trinke nichts und könne sich unsichtbar machen. Außerdem könne man hören, wie beim Gehen seine Knochen klappern. Kara Ben Nemsi gelingt es, den Mübarek als Schwindler zu enttarnen, der sich durch Schminke, falsche Haare und andere Kleider schnell in den Bettler Busra verwandelte. Als Heiliger pflegte er die Häuser der Ortsansässigen für Diebstähle auszukundschaften, die er als Busra dann ausführte. Für Roxin ist der Mübarek die tragende Handlungsfigur mit deutlichen Spiegelungen zu Mays krimineller Vergangenheit59: „ein falscher ‚Doktor Heilig‘. Das heißt: Er legt sich falsche Identitäten bei (Krüppel Busra); er gibt sich als mit überirdischen Mächten im Bunde stehend und als ‚heilig‘ aus; er gibt vor ‚Kranke‘ heilen zu können, während er doch nur ein Schwindler ist. Aber das hintergründige Motiv dieser Entlarvung ist, wie sich bald zeigt, nicht eigentlich die bewährte Rechtschaffenheit unseres Helden, sondern der Umstand, daß der Mübarek eine Rolle usurpiert hat, die eigentlich Kara Ben Nemsi zukommt“ und die sich der junge Karl May als Straftäter angemaßt hatte. „Wenn man nun weiß, daß der ‚Dr. med. Heilig‘ eine Hochstaplerrolle des jungen May gewesen war, muß man wieder einmal die seelische Kraft bewundern, mit der hier peinliche biographische Realien in Spiel und Kunst umgesetzt werden.“60

Chemnitz, 16. Dezember 1864: An jenem Wintertag stellte sich im Chemnitzer Gasthaus ‚Zum goldenen Anker‘ in der Neuen Dresdner Straße 27 ein junger Mann als Seminarlehrer Ferdinand Lohse aus Plauen vor. Es handelt sich um niemand anderes als um Karl May. Er mietete zwei miteinander verbundene Zimmer an.

Kurz nach seiner Einmietung verließ er das Gasthaus wieder und begab sich zum Geschäftslokal des Kürschners und Pelzwarenhändlers Oskar Bernhard Nappe (1839-1918) in der Bretgasse 10. Dort gab Lohse alias May an, im Auftrag seines mitgereisten, aber krank darniederliegenden ‚Herrn Directors‘ einige Rauchwaren erwerben zu wollen. Dieser sei auf Grund seiner Erkrankung nicht in der Lage, die Kleidungsstücke selber auszusuchen, sondern warte im Gasthauszimmer darauf. Er suchte sich fünf Pelze aus und bestellte ihre Zulieferung zum ‚Goldenen Anker‘. Dort erschien alsbald der Lehrling mit den bestellten Rauchwaren. Lohse nahm vier der fünf Pelze in Empfang und begab sich unter dem Vorwand, die Ware seinem Direktor im Nebenzimmer zu zeigen, dorthin, um durch eine Hintertür mit den Pelzen zu verschwinden. Noch am gleichen Tag erhielt die Polizeibehörde Leipzig ein Telegramm der Stadt-Polizeibehörde Chemnitz:

Heute hat hier ein Mann, vorgeblich Ferdinand Lohse, Seminarlehrer in Plauen, 2 Bisampelze mit Klappkragen und 2 grosse Bisonkragen in Kartons (Firma Oscar Nappe) erschwindelt. Der Betrüger, 26 Jahre, 72 Zoll, blondes Haar, kurzen dünnen Backenbart, Stahlbrille, ist nachmittags mit Leipziger Bahn flüchtig geworden, trägt kurzen dunklen Ueberzieher, seidene Mütze, türkisches Shawltuch, lederne Umhängetasche. Bitte um Aufgreifung und Nachricht.61

Tatsächlich aber erbrachte die ‚Depeche-No. 815 des Deutsch-Oesterreichischen Telegrafen-Vereins‘62 nicht den gewünschten Fahndungserfolg. So notierte am 19. Dezember 1864 der zuständige Leipziger Polizeikommissar Gustav Theodor Kneske:

Der angebliche Ferdinand Lohse ist hier nicht vorgekommen. [...] Die Vigilanz fortzustellen u[nd] die Bahnhofsdiener sind behufs instruirt worden. Vigilanz wird fortgesetzt.

Wie sich erst später herausstellen sollte, musste die Fahndung nach dem Täter erfolglos bleiben, weil er „nicht mit der Bahn und nicht nach Leipzig, sondern per pedes zunächst in Richtung Dresden geflüchtet war.“63 Ebenfalls am 19. September gab das Sächsische Gendarmerieblatt in seiner Nr. 19 eine ausführliche Fahndungsmeldung heraus, die allerdings auch von einem falschen Fluchtweg ausging: „Wir bemerken, daß sich der Schwindler am 16. h. m. mit dem um 3 Uhr nach Leipzig gehenden Eisenbahnzuge von hier entfernt hat, und bitten um thunlichste Mitwirkung zur Entdeckung des Diebes u. Wiedererlangung der Pelze.“

Wie üblich in solchen Fahndungsfällen wurden verschiedene Straftaten im Hinblick auf die Täterbeschreibung als auch die Tatbegehung von den Behörden miteinander verglichen. Auch im vorliegenden Fall war das nicht anders, führte aber – das sei vorweggenommen – zu einer irrtümlichen Täteridentifizierung im Fall Lohse mit einem „angeblichen Geschäftsreisenden für Kriebitzsch“.64

Die Flucht führte Ferdinand Lohse nicht per Eisenbahn in Richtung Leipzig, sondern vielmehr zu Fuß zunächst nach Freiberg, später nach Naußlitz, einem Dorf bei Dresden. Hier muss sich – was sich später herausstellte – der Flüchtende länger unerkannt und von den Behörden unbehelligt aufgehalten haben. Über die näheren Umstände des Aufenthalts ist nichts bekannt, außer, dass er einem Naußlitzer Gutsbesitzer namens Johann Gotthelf Fickler einen der erschwindelten Pelze für 20 Taler verkauft hat. Von Naußlitz aus begab sich Lohse auch in die nahegelegene Residenzstadt Dresden, wo er weitere erbeutete Pelze „an ein ihm unbekanntes Frauenzimmer“ für 6 Taler veräußerte und den älteren Pelz für 15 Taler bei dem Pfandleiher F. Hermann Bitterlich verpfändete. Die Gesamteinnahme des Pelzschwindels betrug „lediglich 41 Taler: das war noch nicht einmal die Hälfte des Wertes, den später das Gericht dem erschwindelten Sachgut zuerkannte.“65

Den Ermittlungsbehörden blieb aufgrund ihrer gescheiterten Suche nach dem flüchtigen Seminarlehrer Lohse nichts anderes übrig, als mit Steckbriefen nach dem kriminellen Unbekannten zu fahnden.

Gohlis, 28. Februar 1865: Während weiterhin erfolglos nach Dr. med. Heilig und dem Seminarlehrer Lohse gefahndet wurde, mietete sich an diesem Tag ein junger Mann im Leipziger Vorort Gohlis, in der Möckernsche Straße 28 b ein. Auch in Gohlis begann nun die Ausführung eines Betrugsfalles, dessen Protagonist in Wirklichkeit Karl May war. Den Ausgangspunkt bildete eine Annonce, die am 20. März im Leipziger Tageblatt und Anzeiger erschien und „die eine gut ausmeublirte Stube nebst Alkoven [...] an einen anständigen Herrn sofort zu vermiethen hatte.“66

Als angeblicher Noten- und Formenstecher Hermin mietete May die Stube der Wirtin Johanne Rosie Hennig am Thomaskirchhof 12 für sich an. Schon kurz darauf begab er sich zum Geschäftslokal der angesehenen Pelzhandlung des Kürschnermeisters Johann Friedrich Gottlob Erler. Hier bestellte er Pelzware im Werte von 72 Taler und bat um Übersendung derselben in seine Wohnung. Auf einer mit Bleistift eigenhändig ausgeschriebenen Visitenkarte nannte er sich jetzt schlicht Kupferstecher Hermes. Noch bevor er in die ermietete Stube zurückkehrte, bemühte er sich um einen Hehler. Nicht abgeneigt zum Kauf eines Pelzes zeigte sich der Meubleur Friedrich August Brock, den der vermeintliche Noten- und Formenstecher respektive Kupferstecher Hermes in dessen Geschäftslokal in der Reichsstraße 22 aufsuchte. Erst jetzt, nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, kam es zur Inszenierung des eigentlichen Ereignisses. Etwa eine Viertelstunde vor siebzehn Uhr kehrte er in das Zimmer im Thomaskirchhof 12 zurück. Wenig später erschien dort auch der Sohn des Kürschners, Otto Erler, mit den bestellten Pelzen. Herr Hermes gab vor, das wertvolle Stück zunächst seinen Wirtsleuten zeigen zu wollen, und verließ die Stube damit. Nach einer halben Stunde müßigen Wartens machte sich – inzwischen doch etwas unruhig geworden – der junge Erler bei den Wirtsleuten Hennig bemerkbar, die aber ebenso wenig vom Verbleib ihres neuen Untermieters wussten wie er. Auch jede Suche war vergeblich.67

Die Geschädigten begaben sich danach zur Polizei und zeigten den Vorfall an:

Nachmittags gegen 3 Uhr sei zu seiner Mutter ein junger Mann, c[a]. 25 Jahre alt, mit blassem Gesicht, blondem halblangen Haar, ohne Bart, c[a]. 73 Zoll groß u. von schlanker Statur, bekleidet mit brauner Tuchtwine, grauen Hosen u. einer Deckelmütze gekommen und habe sich mit derselben sofort über eine Wohnung, die dieselbe zu vermiethen hatte und heute im Tageblatt annoncirt habe, geeinigt. Kurz darauf sei der junge Mann, der sich Noten- und Formenstecher Hermin genannt habe, wieder weggegangen u. habe eine Geldtasche, die er umhängen gehabt, in den Kleiderschrank gehangen. Weitere Effekten habe derselbe nicht bei sich gehabt.

C[a]. ¾ 5 Uhr sei der angebliche Hermin wieder nach Hause gekommen u. kurz darauf habe ein Kürschnerbursche einen Biberpelz gebracht und der Kürschnerbursche sei sei [sic!] mit in die von Hermin gemiethete Stube gegangen und habe nach ungefähr einer halben Stund[e], als [er] in die Stube gekommen, ihn gefragt, wo der Käufer des Pelzes sich aufhielte, der ihn schon eine geraume Zeit habe warten lassen. Man habe nun den Hermin, der sich bei dem Verkäufer des Pelzes, Kürschnermeister Erler, Hermes genannt habe, gesucht, denselben jedoch nicht gefunden. Augenscheinlich sei derselbe mit dem Pelze den er seinen Wirthsleuten zu zeigen vorgegeben, fort u. zur Treppe herunter gelaufen, habe auch die Stube nur zu dem Zwecke gemiethet, um den Betrug mit dem Pelze ausführen zu können. Der gleichzeitig miterschienene Otto Erler hat den angeblichen Hermin genau so, wie oben bemerkt, beschrieben u. dazu bemerkt:

Derselbe sei heute nachmittag in das Geschäftslokal, wo nur seine Mutter anwesend gewesen, Brühl No. 73, gekommen, habe einen Biberpelz mit Biberfutter u[nd] desgl[eichen] Aufschlag u[nd] schwarzen Tuchüberzug für 72 [Zeichen für Taler] gekauft u. ihm den Auftrag gegeben, denselben in seine Wohnung bei Frau Hennig im Sack zu tragen.

Dies habe er auch gethan, habe den angeblichen Hermes angetroffen u[nd] demselben den Pelz übergeben u[nd] nun auf die Zahlung gewartet. Hermes sei damit zur Stube hinausgegangen, um den Pelz seinen Wirthsleuten zu zeigen, sei jedoch nicht wiedergekommen. Nach einer halben Stunde habe er mit Herrn Hennig den angeblichen Hermes gesucht, derselbe sei jedoch aus der Hennig’schen Wohnung verschwunden gewesen.

In derselben hat der Fremde das beiliegende Briefcouvert zurückgelassen u. bei dem Kürschner Erler die mitfolgende Adresse abgegeben.

Die Geldtasche, die der Fremde in den Kleiderschrank der Frau Hennig gehangen, hat derselbe, auf welche Weise nun, ist unbekannt, wieder an sich u. mit fort genommen.68

Der mit dem Fall betraute Polizeikommissar Kneschke, der bereits nach dem vermeintlichen Seminarlehrer Ferdinand Lohse fahndete, hatte tatsächlich noch am selben Tag das Leihhaus sowie alle Kürschner, Trödler und Pfandleiher der Stadt mit genauer Beschreibung des Täters und seiner Beute in Kenntnis gesetzt. Doch der Täter ahnte bereits derlei behördliche Vorkehrungen. Nachdem ein erster Versuch, die Pelze für 40 Taler an den Meubleur Brock zu verkaufen, gescheitert war, sprach er die Ehefrau des Barbiergehilfen Wilhelm Bayer an. Besagte Dame hatte einschlägige Inserate im Leipziger Tageblatt und Anzeiger geschaltet und versichert, „Pfänder versetzen, prolongieren u. einlösen wird schnell und verschwiegen“.69 Frau Bayer – die in künftigen amtlichen Protokollen fälschlicherweise als „Frau Beyer“ aufgeführt werden wird – war jemand „aus der Schar der freundlichen Leute, die anderen gegen ein Entgelt den peinlichen oder auch gefährlichen Gang ins Leihhaus abnahmen“,70 eine Geschäftsbesorgung, die sich im permanenten Berührungsbereich zur strafbedrohten Hehlerei befand. Gerade im hier beschriebenen Fall wurde dies deutlich. Nicht von ungefähr suchte der ominöse Herr Hermes zum Versetzen seiner durch Betrug erbeuteten Waren die Inserentin auf. „Sein Plan war, daß diese Frau, der er sich unter dem Namen Friedrich vorstellte, für ihn mit dem Pelz zum Leihhaus gehen und den Umsatz bewerkstelligen sollte. Als sie ihm jedoch bedeutete, daß sie das Vorhaben erst am folgenden Tag ausführen könne, verlangte er, um wenigstens etwas Gewinn aus seinem Betrug zu ziehen, eine Anzahlung von 10 Talern: ungewiß, ob er den Restbetrag je würde in Empfang nehmen können.“71

Und wie gefordert, erhielt May als Herr Hermes tatsächlich die 10 Taler ausgehändigt. Am nächsten Tag begab sich die Frau auch mit den erschwindelten Pelzen zu einem Leihhaus, um sie zu versetzen. Schnell sah sie sich jedoch mit der Polizei konfrontiert. Kneschke notierte am 21. März 1865:

Früh nach 8 Uhr ist vom Leihhause gemeldet, daß ein Biberpelz von Frau Beyer [sic!], Halleschestr. 5 zum Versatz gebracht und Letztere angehalten worden sei.

Auf Vorlegen hat H. Erler den Pelz als denjenigen anerkannt, den gestern Nachmittags seine Ehefrau an den beschriebenen jungen Mann verkauft habe. Der Pelz ist eingefordert worden.

Frau Beyer hat, befragt, angegeben, daß gestern Nachmittags nach 5 Uhr ein junger Mann, einige 20 Jahr[e], schlank, ohne Bart, mit blassem Gesicht, bekleidet mit schwarzem Rock u. schwarzseidener Mütze, der im Halstuch 2 Stecknadeln getragen, zu ihr gekommen sei, ihr den frag[lichen] Pelz zum Versatz auf dem Leihhause überbracht, u[nd] da sie ihm gesagt, daß sie den Versatz erst am nächsten Tag vornehmen könne, vorläufige Zahlung von 10 Talern verlangt habe. Diese Summe habe sie dem Fremden, der sich Friedrich genannt, nach Rücksprache mit ihrem Ehemann auch gegeben, worauf sich der angebliche Friedrich entfernt u. am folgenden Tage das übrige Geld Vormittags 9 Uhr abholen zu wollen erklärt habe.

Für den Pelz hat sich Frau Beyer soviel geben lassen sollen, als das Leihhaus darauf zu geben imstande sein würde. Korporal Lindner hat sich sofort mit Diener Krug in die Wohnung der Beyer verfügt, um den Fremden, wenn er sich einfinden würde, in Beschlag zu nehmen. Der Fremde hat sich jedoch weder um 9 Uhr oder noch später bei Frau Beyer wieder sehen lassen.72

Herr Hermes bzw. Karl May war untergetaucht. Möglicherweise hatte er das Erscheinen der Polizei bei der Wohnung der Bayerschen Eheleute beobachtet. Mehrere Tage vergingen, dann erschien stattdessen der Packträger Carl Heinrich Müller. Über den Hintergrund seines Auftretens gibt ein Vernehmungsprotokoll vom 27. März Auskunft:

Gestern Nachmittags um 3 Uhr hat Frau Beyer, Halleschestr. 5., hier melden lassen, daß ein Packträger soeben unter Ueberreichung des Zettels Sub. 1, den man eingefordert hat, Zahlung desjenigen Betrages verlangt hat, welchen sie nach Gewährung der 10 [Zeichen für Taler] von dem beim Leihhaus verlangten Pfandschilling für den Pelz noch übrig habe, sowie, daß der Packträger (Karl Heinrich Müller, Thomaskirchhof 10) in ihrer Wohnung warte.“

Die sofort dahin abgegangenen Diener Beutner und Wolf73 haben den Packträger in d. Beyerschen Wohnung nicht mehr angetroffen und von F[rau] Beyer erfahren, daß ihr Mann mit demselben in das Rosenthal gegangen sei, um denjenigen, der dem Packträger den Auftrag zur Abholung des Geldes gegeben habe u. an gedachtem Platz auf Rückkunft seines Boten habe warten wollen, festzuhalten.74

Barbiergeselle und Packträger waren tatsächlich zum Rosenthal geeilt. In dem parkähnlichen Gelände zwischen Leipzig und Gohlis erwartete May den Packträger mit dem Geld. Dort angekommen, näherte sich Müller seinem Auftraggeber. Als er nahe genug an May herangekommen war, griff er zu. May wehrte sich und es kam zu einem Handgemenge. Über den Fortgang des Geschehens berichtet das Vernehmungsprotokoll:75

Die Diener Beutner u. Wolf haben sich nun eiligst in das Rosenthal begeben, sind dort kurz nach dem Packträger und Herrn Beyer angetroffen u. haben einen fremden Mann, mit dem der Packträger, nachdem er von jenem zur Abgabe des Geldes in das Gebüsch gerufen worden ist, gerungen hat, ergriffen u. nachher mittels eines Fiacers hierher transportirt. Bei dem Ringen mit dem Packträger, der anfänglich sich gestellt hat, als ob er das Geld bringe u[nd] so dem Fremden ganz nahe gekommen ist u. ihn nun gepackt hat, ist dem Fremden ein Beil (folgt sub 2 bei), welches derselbe bei sich geführt hat, unter dem Rocke vorgeglitten.

Der Arretierte ist anfänglich ganz regungslos u. anscheinend leblos gewesen und hat auch, nachdem der H[er]r Pol[izei-] Arzt herzugerufen worden ist, nicht gesprochen u. erst später angegeben, das er

Carl Friedrich May

heiße, in Ernstthal heimathberechtigt u[nd] dort Lehrer gewesen sei, u[nd] seit dem 28. Febr[uar] d[e]s Jahres in Gohlis, anfänglich bei Hausbesitzer Ernst Wilhelm Damm, Möckernschestr. 28b, dann aber bei dem Stahlstecher Schule in dem nämlichen Hause im 1. Gestock wohnhaft, gewohnt habe.

Das Beil ist Eigentum des gedachten Schule, im Besitz Mays gewesen und von demselben gestern mit zur Stadt gebracht worden.

Bei einer Visitation in der Wohnung Mays hat man die Umhängetasche desselben (sub 3.,) den Heimath- u[nd] Verhaltschein Mays (sub 4 u. 5,) einen Verhaltschein des Ortsgerichts zu Naußlitz (sub 6) aufgefunden.

May ist gestern nachmittag aufgehoben worden. Er hat die Schriftstücke sub 7-13 sammt 3 dazu gehörige Couverts, einen Pfandschein des Pfandleihers Bitterlich (sub 14,) zwei Zettelchen, Adressen von hier u. Dresden enthaltend (sub 15 u. 16,) ein Portemonnaie mit 21 [Zeichen für Pfg.], 3 Münzen u. einen unechten Ringe (sub 17,) ein Rasiermesser (sub 18,) einige Toilettengegenstände, Bleistift pp. (sub 19) bei sich gehabt.

Heute früh ist nun May sowohl Herrn Hermann Hennig als Frau Friedericke Erler geb. Krummbach vorgestellt u. von beiden als der Ermiether des Logis im Sack, bez[iehungsweise] als der Käufer des Biberpelzes anerkannt worden.

May hat auch eingeräumt, daß er sich auf die Fol. 1. h. a ff. (= Bl. 1ff) angegebene Weise den Pelz des H[err]n Erler zu erschwindeln gewußt habe.

Ferner ist derselbe auf Vorhalt, daß er der im Gendarmerieblatt Band X Stück 50, S. 291 No. 19 aufgeführte Unbekannte sei, welcher sich in Chemnitz auf betrügerische Weise 2 Pelze von Bisam und 2 Frauen-Pelzkragen im Dec[em] ber vor[igen] Jahres erschwindelt habe, nicht in Abrede zu stellen imstande gewesen, daß er in Wahrheit der dort aufgetauchte Seminarlehrer, welcher sich Ferdinand Lohse genannt habe, sei.

Die betr[effende] Requisition wird beigelegt.

May ist nicht über Leipzig gekommen, hat vielmehr seiner Angabe zufolge die beiden Pelzpelerinen an ein ihm unbekanntes Frauenzimmer für 6 [Zeichen für Taler] in Freiberg, den neuen Pelz für 20 [Zeichen für Taler] an den Gutsbesitzer Fickler in Nauslitz bei Dresden verkauft, u[nd] den älteren Pelz für 15 [Zeichen für Taler] in Dresden versetzt, angeblich auf dem sub 14 beigefügten Pfandschein.

Ferner hat May auf Vorhalt auch eingeräumt, daß er der im Gendarmerieblatt Band X Stück 7 Seite 42 No. 22, Seite 92 No. 17 u[nd] Seite 123 No. 23 gesuchte in Penig aufgetauchte Betrüger, der sich Dr. med. Heilig genannt hat, sei.

Seiner Angabe zufolge hat er den erschwindelten Winterüberzieher u. die Weste noch (die Beschreibung paßt genau auf diese beiden Kleidungsstücke) und will den andern Rock und die beiden Paar Beinkleider, nachdem er diese Kleidungsstücke einige Zeit getragen, an einen ihm dem Namen nach nicht bekannten Trödler in Chemnitz für 5 [Zeichen für Taler] verkauft haben. Das Beil will May deshalb bei sich geführt haben, um es in Leipzig schärfen zu lassen (Sonntags!).

Schließlich wird noch erwähnt, daß der frühere Logiswirth Mays, Herr Damm, angezeigt hat, daß ihm aus einem unverschlossenen Kasten, der in der Schlafkammer Mays gestanden, 2 Stück Shirting, 6/4 Ellen breit u. je 6-8 Ellen lang, verschwunden seien. Diesen Diebstahl stellt May beharrlich in Abrede.

Ein Rock, der in der Wohnung Mays noch gefunden worden ist, folgt sub 20 bei. In demselben befinden sich ein carrirter wollener Shawl, 1 baumwollenes Taschentuch, 2 Vorhemdchen, 1 Schlips, 1 P. Ledermanchetten.

Damit war die kriminelle Laufbahn des Dr. med. Heilig alias Seminarlehrer Lohse alias Notenstecher Hermin bzw. Herr Hermes alias Karl May beendet – vorerst jedenfalls.

Innerhalb einer Arrestzelle des alten Polizeiamtes an der Reichsstraße kam er in Untersuchungshaft. Am Tag nach seiner Ergreifung wurde der Untersuchungshäftling „sowohl dem jungen Hennig als auch der Ehefrau des Kürschnermeisters Erler geb. Krumbach, die ihm den Pelz am 20.3. verkauft hatte, gegenübergestellt und von ihnen als Ermieter der Stube (Thomaskirche 12) bzw. als vorgeblicher Käufer des Pelzes eindeutig identifiziert. Noch am selben Tag (…) wurde May der Obhut des Königlichen Bezirksgerichts unterstellt.“76

Es folgte die Untersuchungshaft und die Vernehmung durch den Richter Bernhard Friedrich Rudolph Holke. Am 8. Juni 1865 fand vor dem Bezirksgericht Leipzig die Hauptverhandlung gegen Karl May statt. Den Vorsitz führte Gerichtsrat Hermann Gareis, Vertreter der Anklage war Staatsanwalt Karl Theodor Hoffmann und die Verteidigung hatte der Advokat G. Simon übernommen. Simon war kein von May gewählter Strafverteidiger, sondern sein Pflichtanwalt. Erhalten geblieben sind einzelne Presseberichte, die zum Prozessgeschehen Stellung nehmen; so u. a. das Leipziger Tageblatt und Anzeiger, Nr. 161 vom 10. Juni 1865. Darin heißt es:

„Es hinterläßt erfahrungsgemäß stets einen betrübenden Eindruck, wenn man Personen, bei denen man nach ihrer äußern Stellung vorzugsweise Rechtskenntniß voraussetzen muß, oder solche, welche den Erwachsenen durch Lehre und That ein nachahmungswerthes Beispiel geben sollen, oder dazu berufen sind, den noch zarten Kinderherzen die ersten Grundbegriffe über das Mein und Dein einzuprägen, unter Nichtachtung der vom Staate behufs eines ordnungsmäßigen Lebens gezogenen Schranken straucheln und den Ort besteigen sieht, der in der Regel den Uebergangspunct von der persönlichen Freiheit zur zeitweisen, gesetzlich als Strafe aufzufassenden Unfreiheit bildet. Ein Fall letzterer Art bildete den Gegenstand der heutigen, unter dem Präsidium des Herrn Gerichtsraths Gareis abgehaltenen öffentlichen Hauptverhandlung.“

Im Urteilstenor77 erkannte das Gericht bei Karl May auf „mehrfachen Betruges“ gemäß Art 285 Ziff. 378 [...]. Das Strafmaß berechnete sich nach Art 276 Ziff. 379 und Art 78 Abs. 1 und 2 SächsStGB.80 Art 78 SächsStGB bedingte die Erhöhung der Gesamtstrafe wegen mehrfachen Betruges auf vier Jahre und 1 Monat. Weil Art 330 ein Delikt war, das nur auf Antrag verfolgt wurde, konnte gemäß Art 84 Abs. 2 SächsStGB81 die Strafe nicht auch noch wegen Rückfalls erhöht werden.

Old Shatterhand vor Gericht

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