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4. Die erste Tatserie

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Die Verurteilung und Inhaftierung zeitigte zwei katastrophale Folgen. Zum einen stürzte sie May in eine tiefe Depression:

„Die [...] Begebenheit hatte wie ein Schlag auf mich gewirkt, wie ein Schlag über den Kopf, unter dessen Wucht man in sich zusammenbricht. Und ich brach zusammen! Ich stand zwar wieder auf, doch nur äußerlich; innerlich blieb ich in dumpfer Betäubung liegen; wochenlang, ja monatelang.“ 48

Zum anderen bedeutete das Desaster das berufliche Aus. Am 20. Juni 1863 teilte das Kultusministerium mit, es habe

den Schulamtscandidaten Carl Friedrich Mai aus der Candidatenliste streichen lassen, auch dessen Prüfungszeugnisse cassirt.49

Der behördliche Vorgang kam einem Berufsverbot gleich. Damit war Mays Lehrerkarriere beendet und zugleich auch seine bürgerliche Existenz. Durch den staatlichen Sanktionsmechanismus war der Lebensentwurf eines jungen Mannes zerstört. Nahtlos schloss sich der Eintritt in die Mittellosigkeit an. Mit Gelegenheitstätigkeiten wie Privatstunden als Lehrer, Veranstaltungen als Rezitator, Auftritten als Kapellmeister und kompositorischen Arbeiten versuchte sich der entlassene Schullehrer über Wasser zu halten. Möglicherweise bemühte sich May auch bereits um erste Meriten als Schriftsteller. Doch alle diese Tätigkeiten vermochten in der Folgezeit nur unzureichend den Lebensunterhalt zu gewährleisten. Es kam, was kommen musste:

Penig, 9. Juli 1864: Nördlich von Ernstthal an der Zwickauer Mulde gelegen, gehörte Penig mit seinen ca. 5.000 Einwohnern zur reichsgräflichen Linie der Schönburger. An jenem Tag mietete sich ein junger Mann, Anfang 20, unter dem Namen Dr. med. Heilig aus Rochlitz in einem Gasthaus des Ortes ein. Der junge ‚Arzt‘ war niemand anderes als Karl May. Zeugen beschrieben ihn später als jemanden mit „freundlichem, gewandtem und einschmeichelnden Benehmen“, der „den in dieser Gegend üblichen Dialect“ sprach und sich „den Anstrich einer wissenschaftlichen Bildung zu geben“50 wusste. Noch am gleichen Tag begab sich der Neuankömmling zu einem Schneidermeister im Stadtzentrum. Er beabsichtigte, sich mit diversen neuen Hosen und Westen einzudecken, und der Herr Doktor wurde selbstverständlich zuvorkommend bedient. Was man ihm zum sofortigen Verkauf anbot, lehnte der anspruchsvolle Kunde jedoch ab. Er ließ sich stattdessen zwei Hosen, einen Winterüberzieher, Rock und Weste, alles in allem ein Gesamtwert von 39 Thalern und 9 Neugroschen, zur Maßschneiderei anmessen. Die Sachen sollten in den nächsten Tagen angefertigt werden. Am 16. Juli, also eine Woche später, erschien Dr. med. Heilig wieder im Lokal des Schneidermeisters, um die bestellte Garderobe in Empfang zu nehmen. Doch bevor man ihm die Kleidungsstücke übergab, bat ihn der Schneidermeister, einen im selben Haus wohnhaften augenkranken jungen Mann medizinisch zu untersuchen. Dr. Heilig kam der Bitte nach und untersuchte den Patienten. Er stellte ein Rezept aus und „da die darauf vorkommenden lateinischen Worte faßt ohne Ausnahme correct geschrieben sind“, vermuten die Behörden später, dass er „eine mehr als gewöhnliche Schulbildung erhalten haben mag.“51

Dr. med. Heilig versprach für eine nähere Untersuchung noch ein Instrument aus seinem Gasthauszimmer zu holen. Unter Mitnahme der bestellten Kleidungsstücke verließ er das Kleidermagazin und begab sich zu seinem Gasthaus zurück. Nicht die Spur eines Verdachts wollte sich dem Schneidermeister aufdrängen. Doch Dr. Heilig kehrte nicht zurück. Stattdessen packte er seine Sachen und verschwand aus Penig – ohne die Rechnung beglichen zu haben.

Der Schneidermeister informierte die Polizei und die Fahndung begann. In den nächsten Tagen erfolgten Bekanntmachungen in der Presse, aber „auch sorgfältige Nachfragen bei den Trödlern“52, denen der Flüchtige möglicherweise die erbeuteten Kleidungsstücke angeboten hatte. Dr. med. Heilig und seine Beute blieben zunächst verschwunden.

Die Ermittlungen gegen den Täter leitete Ephraim Oskar Taube (1829-1888). Taube war seit 1861 Staatsanwalt beim Mittweidaer Bezirksgericht. Später wurde er zum Staatsanwalt beim Sächsischen Justizministerium berufen. Unter Zeitgenossen galt er als „ein guter und scharfsinniger Jurist, (der) nicht, wie es oft geschehe, das Formelle der Jurisprudenz auf seinen Charakter habe einwirken lassen, (sondern) immer wieder mit offenem Auge jede einzelne Sache als besonders angesehen und in ihrer Eigentümlichkeit erkannt habe [...]. Scharf in der Auffassung, Feind aller Oberflächlichkeit, beleuchtete er den gegebenen Fall mit peinlicher Gewissenhaftigkeit nach allen sich darbietenden Richtungen hin.“53

Taubes Ermittlungen in der Angelegenheit führten zu Untersuchungen u. a. gegen einen „wegen ähnlicher Betrügereien im Jahre 1862 von der Universität Leipzig religirten Studenten der Chirurgie“54 namens Richard Hugo Kratsch. Der Name Karl May tauchte noch in keinem Fahndungsaufruf auf. Wohl aber bemühten sich die Ermittler mit Hilfe weiterer Steckbriefe des vermeintlichen Arztes Dr. med. Heilig habhaft zu werden. Dabei wurde die Vermutung ausgesprochen, dass „der Betrüger wahrscheinlich seine alten Kleider sehr bald nach Erschwindelung der neuen [...] irgendwo veräußert haben wird, so werden die Polizeiorgane insbesondere darauf hingewiesen, daß namentlich auch sorgfältige Nachfrage bei den Trödlern zur Entdeckung des Unbekannten führen kann.“55

So erschien ein ausführlicher Steckbrief in der Leipziger Zeitung vom 20. August 1864:

Old Shatterhand vor Gericht

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