Читать книгу Weltenreise - Julia Beylouny - Страница 14
Kapitel 10
ОглавлениеSamuel
Wo sonst hätte er sich an dem Abend aufhalten sollen, um sie abzufangen, ohne dabei ihre Aufmerksamkeit zu erregen? Seinen Platz in den Dünen würde er jedenfalls vermissen. Irgendwann, in weiß Gott wie vielen Jahren. Er wusste, dass es falsch war dort zu sein, auch ohne Amys Drohungen. Samuel schwor sich, auf Abstand zu bleiben. Vielleicht stellte Kate sich ja nicht ganz so dumm an, wie er befürchtete, und blieb ihrerseits auf Abstand zu dem triebgestörten Jason. Aber wer wusste das schon?
Samuel verstand nicht, was die Mädchen an einem Typen wie Jay fanden. Doch es war nicht der richtige Zeitpunkt, um über die menschliche Psyche zu grübeln. Er würde sie ohnehin nie verstehen.
Dann sah er sie. Brooke wich keinen Zentimeter von ihrer Seite. Sie liefen über den Strand, Richtung Pier. Sein Herzschlag verriet ihm, dass es längst zu spät war. Sein Herzschlag und der Gedanke, wie es wäre, wenn er doch nicht zurückgehen würde. Das machte ihm Angst. Die schlimmste anzunehmende Katastrophe trat also ein. Er war dabei, sich in sie zu verlieben.
Seufzend schüttelte er den Kopf. Nein! Wenn der Abend vorbei war, würde er sie nie wiedersehen. Er durfte sie nie wiedersehen.
Samuel stand auf, nahm die Sandalen und schlug sich den Sand von den Klamotten. Während er den Mädchen unauffällig folgte, kniff er die Augen zusammen, um Kates Anblick in sich aufzunehmen. Kein Zweifel. So ein wunderschönes Geschöpf hatte er nie zuvor gesehen. Weder hier, noch dort unten. Und er hatte viele schöne Wesen gesehen.
Das wilde, rote Haar wurde von einem Strohhut mit breiter Krempe gebändigt. Der dunkelgrüne Bikini wirkte wie eine zweite Haut. Sie hatte Geschmack, soviel stand fest. Was den cremefarbenen Rock anging, den würde Jason ihr allein mit seinen Blicken vom Leib reißen. Sam wurde übel beim Gedanken daran. Wenn er sie nur warnen könnte! Stattdessen musste er auf ihren Menschenverstand hoffen, und darauf, dass sie sich selbst und ihn nicht in Gefahr brachte. Shit! Was tat er da eigentlich?
Je näher sie dem Pier kamen, desto lauter wurde die Musik. Samuel verzog das Gesicht vor Schmerz. Viel näher durfte er nicht herangehen, wenn er seinem Gehörsinn nicht schaden wollte. Doch darauf nahm die Rothaarige leider keine Rücksicht.
Sie trafen auf eine Gruppe Jugendlicher und es schien, als würden sie erst mal dort stehenbleiben. Sam hockte sich wieder in eine Düne und wartete. Wenn alles so blieb, war der Tag gerettet. Doch es blieb nicht so. Wenig später erschien der Sunnyboy und umgarnte seine Beute. Sein charmantes Lächeln war so verführerisch wie das Licht des Anglerfisches. Bis er zubiss.
Samuel bemerkte, dass Kate sich tatsächlich mit Jason von der Gruppe absetzte. Er hatte sie überschätzt. Langsam erhob er sich. Die aufsteigende Wut auf Jason verhalf ihm, den Schmerz in den Ohren zu ertragen. Er folgte ihnen unbemerkt. Auf dem Pier tummelten sich so viele Menschen, dass er gar nicht auffiel. Als er das Pult des DJs passierte, presste er sich die Fingerspitzen in die Ohren. Ihm wurde schwindelig. Nicht mehr viel und er hätte sich übergeben.
Leider verlor er dabei Jason und das Mädchen aus den Augen. Irgendwann lichtete sich das Chaos jedoch wieder. Je weiter er aufs Meer zuging, desto weniger Leute begegneten ihm. Es dauerte nicht lange, bis er sie wiedergefunden hatte. Jason gab Kate etwas von seinem Drink und Sam bemühte sich, das Gespräch zu belauschen. Sie erreichten das Ende des Stegs, wo der Sunnyboy Verstärkung bekam. Irgendwas stimmte nicht mit Kate. Sie schwankte und taumelte hin und her, während die Gruppe sie umzingelte.
Dieser Widerling! Sam ahnte, was dort abging. Seine Faust kribbelte beim Gedanken daran, sie in Jasons Gesicht zu parken.
„Lass mich los! Mir geht es nicht besonders. Außerdem kann ich nicht schwimmen.“
Ihre Stimme klang schwach, gebrechlich. Jason zog sie zu sich hinab auf den Boden. Samuel wartete gar nicht erst darauf, dass der Typ anfing, sie zu begrapschen. Er legte einen Schritt zu und kam gerade rechtzeitig, um mit anzusehen, wie Kate kopfüber unter dem Geländer des Piers hing. Jason packte sie unter den Armen und fing sie im letzten Moment auf, nachdem sie im Handgerangel weggerutscht war.
„Sie sagte, sie kann nicht schwimmen!“, zischte Sam.
Jason schaute erschrocken auf.
„Jungs? Kann sich einer von euch dran erinnern, Sushi bestellt zu haben?“
Die anderen lachten, fletschten kampfeslustig die Zähne und verschränkten die Arme vor der Brust.
„Ich jedenfalls nicht. Und jetzt verzieh dich, Sam.“
Kate hing noch immer benommen unter dem Geländer und faselte wirres Zeug.
„Hast du nicht gehört? Du sollst Leine ziehen, Beau! Sonst muss ich dieses hübsche Mädchen loslassen, um dir höchstpersönlich Beine zu machen!“
Samuel kochte vor Wut. Er machte einen Schritt auf Jason zu, doch die anderen versperrten ihm den Weg. Er brauchte nicht mehr als zwei heftige Schläge mit der Rechten, bis die Wachhunde rücklings fluchend auf die Bohlen knallten. Damit hatte Jason nicht gerechnet und Sam las aus seinen Gedanken, dass er kurz überlegte, wie er unversehrt aus der Sache rauskommen und seinem Rivalen gleichzeitig größtmöglichen Schmerz zufügen könnte. Eine Sekunde später zog er die Hand unter Kates Rücken weg, woraufhin sie vom Pier rutschte und mit einem Platschen in den Wellen versank.
„Ups.“ Jason tat unschuldig.
Samuel stürzte sich brüllend auf ihn und verpasste ihm einen Haken, der seine Nase brach. Mit dem nächsten Satz stand er auf dem Holzgeländer, setzte zum Sprung an und tauchte kopfüber in die Flut. So ein Idiot!
Das Wasser musste für das Mädchen eisig sein. Dort unten gurgelte eine heftige Strömung; die einsetzende Ebbe zog alles noch weiter hinaus in den Ozean. Die Sicht war durch die Dämmerung und den aufwirbelnden Sand stark beschränkt. Doch Samuel benötigte seine Augen nicht, um zu wissen, wo Kate steckte. Selbst wenn sie schwimmen könnte, dort unten hätte sie nicht den Hauch einer Chance gehabt. Jason hätte sie umgebracht und dafür würde er büßen!
Er tauchte hinab, bis er ihren schlaffen Körper in etwa vier Metern Tiefe entdeckte. Sie trieb gefährlich nahe an den Pfählen des Piers, gegen die die Wellen sie sehr bald schwemmen würden. Sofort schlang er einen Arm um ihre Taille, tauchte unter dem Steg hindurch auf die andere Seite und brachte sie an die Oberfläche. Sie atmete nicht, doch er wusste, dass es ihr gutging, solange sie in seiner Nähe war. Er schwamm Richtung Strand, der gute 120 Meter weit entfernt war, und überlegte, wohin er sie tragen sollte, damit die Partygäste nichts bemerkten. Wenige Minuten später zog er Kate aus der Brandung, nahm sie auf die Arme und lief im Schutz der Dunkelheit in die Dünen, wo er sie vorsichtig in den Sand bettete. Dort war er sicher. Er legte sich neben sie, strich die salzigen Haare aus ihrer Stirn und klatschte die blassen Wangen. „Na los, komm schon!“
Samuel hob ihren Kopf und war beruhigt, ihren Herzschlag zu hören. „Los, Kate, genug geschlafen!“
Ihr Körper war eisig, die Fingerspitzen blau vor Kälte. Er legte sich näher an sie, um ihr von seiner Wärme abzugeben, und rieb ihre Arme und Beine. „Hey, aufwachen! Ich hab keine Ahnung, wie lange ich für uns beide atmen kann.“
Das hatte er in der Tat nicht. Seine Sinne überraschten ihn immer wieder aufs Neue, was ihre Funktionen in der Menschenwelt anging. Vermutlich lag es an der seltsamen Verbindung zwischen ihr und ihm. Dann war also doch was dran an den Mythologien, was Rettungen aus dem Ozean betraf.
Endlich öffnete sie die Augen. Kate erlitt einen heftigen Hustenanfall, bevor sie einen Schwall Wasser spuckte. Samuel atmete erleichtert auf, sie setzte sich hin und rang nach Luft. Immer wieder hustete sie Wasser. Er legte seine Hand auf ihren Rücken und lächelte.
„Sehr gut, nur weiter so. Das hört sich besser an als dein Schweigen.“
Sie wehrte ihn ab, während ihre Stimme bebte. „Fass mich nicht an! Was … ist passiert? Wo … bin ich?“
„Ganz ruhig, alles in Ordnung.“
„Ich war auf dem Pier … mit Jason. Ich … erinnere mich nicht, was dann geschah.“
Wieder schüttelte sie ein Hustenanfall. Samuels Wut entfachte erneut. Er dachte an den Idioten Jason und an das, was er mit ihr vorgehabt hatte. „Du bist ausgerutscht und ins Wasser gefallen. Aber jetzt ist alles gut.“
Er beherrschte sich, den Zorn in seiner Stimme zu zügeln.
„Ich bin … ins Wasser gefallen?“ Sie schaute schockiert. „Hast du … Hast du mich rausgezogen?“
„Du wirst hier noch erfrieren. Am besten bringe ich dich nach Hause.“
Ohne auf eine Antwort zu warten, erhob er sich, nahm sie hoch und trug sie in Richtung der Strandhäuser. „Warte! Ich kann selbst laufen.“
Sofort ließ er sie hinunter. Kate machte ein paar Schritte und brach zusammen. Gleich darauf war sie wieder in seinem Arm.
„So viel dazu.“
„Ich kann nicht nach Hause! Nicht in diesem Zustand! Tante Margret würde einen Herzinfarkt bekommen vor Schreck!“
Samuel blieb stehen. „Da drüben parkt mein Wagen. Ich habe ein paar warme Decken im Kofferraum.“
Er setzte sie vorsichtig auf den Beifahrersitz. Sie schloss ihre Augen und stöhnte, während sie sich den Kopf hielt. Sämtliche Gliedmaßen zitterten. Ihr Atem ging noch immer schwer und röchelnd. Samuel schaute an ihr hinab.
„Darf ich?“ Er deutete auf den Rock, der triefnass war, bevor er ihn mit einem schnellen Handgriff auszog und in den hinteren Teil des Wagens warf. Er ging zum Kofferraum und holte die Wolldecken hervor, die er immer dabeihatte. Die Winter in Massachusetts konnten sehr hart sein.
Mit aller Macht zwang er sich stark zu bleiben, als er sie in die Decken wickelte. Bis zum Hals. Dann schloss er die Tür und setzte sich auf den Fahrersitz. Kate zitterte noch immer.
„Gleich wird’s besser.“
Er überlegte, ob er eine Runde fahren sollte, damit die Heizung ansprang. Je länger ihr Zittern anhielt, desto länger würde sie in seinem Wagen hocken. Das alles gefiel ihm ganz und gar nicht. Das war so nicht geplant gewesen. Er wollte sie so schnell wie möglich zu Hause abliefern, um sich dann für den Rest des Sommers irgendwo zu verstecken. Sie stöhnte wieder und warf den Kopf herum.
„Alles okay?“
„Es dreht sich … Mir ist so übel.“
Samuel lachte verächtlich. „Das muss an diesem Zeug liegen, das er dir in den Drink gemischt hat. Ein Gutes hat die Sache ja: Du wirst dich morgen an nichts mehr erinnern.“
Vielleicht sollte er sich auch eine Dosis abholen, um sie zu vergessen?
„Was für ein Zeug denn?“
„Na, was denkst du wohl? Das, was ihm ein paar nette Stunden mit dir ermöglichen sollte. Oder hast du dich nicht gefragt, wieso er nichts von dem Drink probiert hat?“
„Ich glaube, ich muss mich übergeben.“
Dann verlor sie für kurze Zeit das Bewusstsein. Samuel fuhr sich durch die Haare. Wenn Dad von der Sache Wind bekam, dann Gnade ihm Gott. Er stieg aus und lief ein Stück durch die Dünen. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass es noch vor Mitternacht war. Er beschloss, zum Roadhouse zu laufen, das weiter vorn an der Straße lag. Vielleicht konnte er einen heißen Kaffee oder Tee auftreiben, um dem Aufwärmungsprozess von Kate ein wenig auf die Sprünge zu helfen.
„Und? Ist das gut?“
Sie nippte an dem Kaffee und nickte. „Das ist mehr als gut. Danke! Erzähl mir nochmal … wieso bin ich hier?“
Er schüttelte verzweifelt den Kopf. „Weißt du, Kate, das sollten wir vielleicht ein anderes Mal besprechen. Wenn du wieder ganz bei dir bist.“
„Ich heiße nicht Kate“, lallte sie.
„Was?“
„Ich heiße nicht Kate.“
Samuel schaute irritiert. „Sondern?“
„Kriemhild. Irre, was?“
„Kriemhild? Was ist denn das für ein Name?“ „Ein schrecklicher! Ich hasse ihn!“ Ihr Heulen ließ daran keinen Zweifel. „So? Woher stammt er denn?“ „Aus Deutschland. Ich bin aus Deutschland. Mitsamt meinem schrecklichen Namen.“
Er lachte. Nicht mehr lange und er würde in ihrer Gegenwart durchdrehen.
„Halb so wild. Ich heiße auch nicht Samuel.“
„Ich weiß. Sie nennen dich alle Sushi-Sam. Wieso eigentlich?“ Auch das war nicht sein Name.
„Sollen sie mich doch nennen, wie sie wollen. Es interessiert mich nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich gern Fisch esse.“
Kriemhild leerte den Becher und stellte ihn auf die Ablage. Er schaute sie an und verfolgte jede einzelne Geste. Eine Sache konnte er sich absolut nicht erklären, darum fragte er: „Wieso kannst du nicht schwimmen?“
Sie erwiderte seinen Blick und er wusste, dass das die Sache nicht einfacher machte. Im Gegenteil.
„Frag mich bitte nicht. Die Geschichte ist noch schrecklicher als mein Name. Mir ist warm. Ich denke, du kannst mich jetzt heimbringen.“