Читать книгу Weltenreise - Julia Beylouny - Страница 6

Kapitel 2

Оглавление

Samuel

Er saß in den Dünen. Mit seinen für die Jahreszeit bereits ziemlich gebräunten Armen umschloss er die Knie und starrte aufs Meer hinaus. Die Sonne stand im Westen, irgendwo über der Bay – nicht mehr lange und sie würde golden in die Flut sinken.

Seine Sandalen lagen irgendwo neben ihm. Er hatte die Zehen in den Sand gebohrt und versuchte, die Wut in sich abzubauen – die Wut und das Gefühl, die Nase von allem gestrichen voll zu haben. Er war es satt, täglich hinunter zu fahren, nach Woods Hole. Er hatte die Vorträge seines Vater satt, und den mitleidigen Blick seiner Mutter. Und das gackernde Lachen seiner Schwester, wenn sie von ihm sprach, was sie in letzter Zeit immer öfter tat. Sie war fein raus, soviel stand fest! Während Sam sein Dasein in jener Konstellation noch lange fristen würde. Aber er war nahe dran, eine Lösung zu finden. Täglich kam er an den Strand und mit jeder Minute, die er in den Dünen verbrachte, spürte er, dass es nicht mehr ewig so weiter gehen konnte.

In der Ferne, nahe des Hafens, legte sich der Pier dunkel über das Wasser. Eine Gruppe Jugendlicher streifte vorbei und ihr Lachen drang zu Samuel herüber. Ohne hinzusehen wusste er, dass sie ihn musterten und wieder ihre dummen Späße machten. Er atmete tief durch und beschloss einmal mehr, sie zu ignorieren. Was wussten die schon, die Einfaltspinsel?

Samuel richtete seinen Blick auf die Sommerhäuser der Großstädter. Die Strandvillen und Bungalows, die bald wieder über die warme Jahreszeit von lärmenden Touristen bezogen werden würden. Dann könnte er einmal mehr losziehen und die ignoranten Leute darauf aufmerksam machen, ihren Müll gefälligst nicht in die Dünen zu werfen. Warum nur? Warum war das Los auf seine Familie gefallen?

Der Wind frischte auf und Samuel bemerkte eine schmale Figur, die am Ufer entlang spazierte, barfuß, während die Wellen sanft an ihren Knöcheln nagten. Er kniff die Augen zu engen Schlitzen zusammen, um schärfen sehen zu können. Kein Zweifel, das Mädchen war neu in der Gegend. Er hatte sie noch nie zuvor gesehen, aber ihr blutrotes Haar zog ihn augenblicklich in seinen Bann.

Es floss in langen Wellen an ihrem Oberkörper hinunter oder tanzte im Wind, wenn er es erfasste. Sie war allein. Ab und zu bückte sie sich in die Wellen und hob etwas aus der Brandung, um es zu begutachten und dann zurück ins Meer zu werfen. Immer wieder blieb sie stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute hinaus auf den Horizont.

Samuel seufzte selbstverachtend. Er hatte gegen eine seiner eigenen Regeln verstoßen. Sein Blick wanderte zurück zum Pier, wo die Jugendlichen sich lärmend umherschubsten. Dann schaute er erneut zu dem fremden Mädchen hinüber. Was gäbe er drum, ihre Gedanken zu lesen. Ach, verdammt!

Samuel beschloss heimzufahren. Seine Eltern waren ohnehin schon aufgebracht genug, wegen der Gespräche, die sie in letzter Zeit immer wieder geführt hatten. Gespräche, die grundsätzlich im Streit geendet und zu keinem befriedigenden Ergebnis geführt hatten. Er wollte ihnen nicht noch einen zusätzlichen Anlass zum Ärger geben.

Er angelte nach seinen Sandalen und schlug sich den Sand von den Shorts und den Knien, als ihm plötzlich etwas an die Brust sprang. Eine kalte, nasse Nase stupste gegen seine Wangen, während zwei starke Fellpranken sich gegen seinen Oberkörper stützten. Der Hund wedelte fröhlich mit dem Schwanz, als er Sam mit heraushängender Zunge ansah. Samuels Wut und all seine Aggressionen lösten sich augenblicklich in Luft auf. Er grinste breit und klopfte die Flanke des Tieres. „Na, mein Junge, was treibt dich denn in der Dämmerung noch in den Dünen herum?“

Er wuschelte das helle Fell des Labradors und tollte übermütig mit ihm umher. Das Tier hatte seine wahre Freude an dem Spielkameraden und auch Samuel genoss die erfrischende Ablenkung. Er liebte Tiere mehr als Menschen. Sie hatten etwas Ursprüngliches, Unverfälschtes. Sie kannten nur Gut und Böse. All die nervigen Grauzonen der menschlichen Psyche blieben ihnen verschlossen. Dann durchbrach ein heller Ruf das Rauschen der Wellen.

„Jacob? Jacob, komm her!“

Es kam vom Strand. Das fremde Mädchen rief nach dem Hund und ihre Stimme säuselte wie die See nach einem Sturm. Ein angenehmer Schauer durchfuhr Sam. All seine Sinne fokussierten sich auf sie. Für eine Sekunde lang gab er dem nach, doch als es ihm bewusst wurde, blockte er sofort ab.

„Jacob, wo steckst du?“

Instinktiv duckte Sam sich in die Dünen hinab, nahm den Vierbeiner zu sich und strich ihm liebevoll das Fell. „So heißt du also, ja? Jacob? Was für ein feiner Name. Na los, Jacob. Hau schon ab, sie ruft nach dir.“ Dann klapste er ihm auf die Hüfte und der Labrador streunte zurück an den Strand.

„Da bist du ja. Komm her, das machst du nicht noch einmal, verstanden?“

Der Hund wedelte seinem Frauchen zu und schaute immer wieder in die Dünen, um sie auf ihn aufmerksam zu machen.

„Was ist denn da? Ich sehe nichts. Komm her, wir gehen zurück zum Haus. Ich hoffe nicht, dass du die Möwen gejagt hast.“

Ein letztes Bellen hallte über den Strand. Sam erhob sich aus seinem Versteck und blickte dem rothaarigen Mädchen lange nach. Wieso wurde er das Gefühl nicht los, dass sie anders war als die Mädchen, die er aus der Gegend kannte?

Du hast sie schon viel zu lange angesehen, vergiss sie einfach. Seine innere Stimme holte ihn schnell in die Realität zurück. Er drehte sich um und stapfte durch die Dünen zu seinem Wagen.

Weltenreise

Подняться наверх