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Kapitel 13

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Justus

Es geschah einige Jahre zuvor, nachdem er mit sechzehn seinen Realschulabschluss gemacht hatte und auf das Gymnasium wechselte. Bis zu dem Tag hätte er sein Leben als durchschnittlich bezeichnet. Seine Eltern legten sehr großen Wert darauf, dass er das Abitur machte. Schließlich stellte das die besten Voraussetzungen dar, um später die Reederei seines Vaters zu übernehmen. Was sonst sollte man in Bremerhaven anfangen, wenn nicht etwas, das die Seefahrt beinhaltete?

„Ist der Platz noch frei?“ Er hasste seine Unsicherheit. Neue Gesichter, neue Räume, neue Schule, alle kannten sich, er war der Eindringling.

„Nein. Der Typ, der da sitzt, wurde Opfer der letzten Chemiestunde. Er trug seine Schutzbrille nicht, als wir das Unsichtbar-Serum testeten.“

Beinahe die gesamte Klasse lag am Boden vor Lachen. Nur sie nicht. Die Rothaarige schlug dem Fiesling vor ihr auf den Hinterkopf. „Musst du dich gleich bei dem Neuen unbeliebt machen, Frank?“

„Hast du etwa Angst, er ruft seinen Papi, Kriemhild?“

Sie ignorierte die Gelächter einbringenden Worte. Ihr Blick galt Justus, nur ihm. Dann das Lächeln; rein und fließend.

„Der Platz neben mir ist noch frei“, sagte sie mit engelsgleicher Stimme.

Frank holte zum nächsten theatralischen Schlag aus. „Kriemhild, die Edle, schwor einst ihrer Mutter ewige Keuschheit. Bis Sigfried in ihr Leben trat.“

Wieder grölte die Klasse.

„Frank, halt endlich die Klappe!“

Justus nahm Platz und schaute in ihre meergrünen Augen. „Danke.“

„Kein Thema. Frank tut alles, um seine Unterbelichtung im Kostüm des Klassenclowns zu verstecken. Du bist Justus?“

Das war der wahre Beginn seines Lebens. Der erste Lichtstrahl jener Sonne, um die sein Planet fortan kreisen würde. Es war nicht länger nur durchschnittlich. Sie machte sein Leben außergewöhnlich.

Kriemhild ahnte bis zur Mitte der zwölften Klasse nichts von ihrer Liebe zu ihm, das spürte er an ihrer abwehrenden Haltung. Doch Justus konnte warten. Seine Liebe wuchs mit jedem Tag. Die Art, wie Kriemhild sich bewegte, wie sie sprach, wie der Wind ihr Haar zerzauste, das alles trieb ihn fast in den Wahnsinn. Er hatte einen günstigen Moment abgepasst und ihr Parfum auf ein Stück Papier gesprüht. Sie bewahrte das Fläschchen immer in ihrem Rucksack auf. Zu Hause roch er daran. Es versetzte ihn jedes Mal in Trance.

Er wusste, dass sie keinen Freund hatte. Obwohl die Hälfte der männlichen Mitschüler alles darum gegeben hätte, sie rumzukriegen. Doch in Wahrheit liebte sie ihn, dessen war er sich einfach sicher. Justus spürte die einzigartige Verbindung; er wusste, dass ihr das irgendwann auch klarwerden würde. Und der Tag kam.

„Hey, Kriemhild.“ Sie saß in der Freistunde auf dem Schulhof in der Sonne. Wie gut es tat, in ihrer Nähe zu sein.

„Was gibt’s? Ich wollte mich eigentlich etwas entspannen, bevor wir Mathe haben.“

„Klar, schon kapiert. Hast du wen gefunden, mit dem du das Referat vorbereitest?“

Sie schaute ihn an. Ihre smaragdgleichen Augen reflektierten das Sonnenlicht.

„Deutsch? Nein, ich wollte Sara später fragen.“

Sie hatte noch niemanden. Das mit Sara hatte sie nur gesagt, um ihm zu signalisieren, dass das seine letzte Chance war, zu fragen. Eine andere Erklärung ihrer Worte gab es für Justus einfach nicht. Kriemhild verstand es, in einer verschlüsselten Sprache eine Botschaft zu übermitteln, die nur Justus zu deuten wusste. Er nahm all seinen Mut zusammen.

„Hättest du vielleicht Lust … es mit mir vorzubereiten?“

Sie zögerte und schaute unsicher. Das tat sie, um ihn zappeln zu lassen. Und er allein war privilegiert, ihre geheimen Gesten zu verstehen.

„Hm, keine Ahnung. Ich frage erst mal Sara, sonst hat sie nachher keinen Partner. Wir hatten fast schon abgesprochen, dass wir es machen.“

„Ich bin sicher, Sara findet jemanden. Ich hab da so ein paar Schwierigkeiten mit dem Roman. Wenn Frank und die Jungs dann in meine Gruppe kämen … das wär sicher nicht so gut.“

„Okay, dann komm halt zu uns. Wir machen es zu dritt, einverstanden?“

Die Worte okay und einverstanden ließen Justus zwei Zentimeter größer werden. Sie liebte ihn! Das war der erste, zaghafte Beweis. Er hatte ihre Worte richtig gedeutet.

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