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Kapitel 14

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Kriemhild

Das Haus, das sich vor ihr in den Dünen auftat, verschlug ihr fast die Sprache. Wenn Brooke es coole Villa genannt hatte, war das mehr als untertrieben gewesen. Die Sandberge, in denen es lag, machten es noch widersprüchlicher. Das Haus passte einfach nicht dorthin. Riesige weiße Balkone wechselten sich mit Glasfronten und grauen Holzbalken ab. Im rechten Obergeschoß prangte ein Türmchen, gedeckt mit roten Schieferpfannen. Eine Garage öffnete sich wie von Geisterhand, als der Jeep vorfuhr. Das Tor war mindestens halb so groß wie die Villa selbst.

Kriemhild kam aus dem Staunen nicht heraus, während Samuels Worte in ihr nachhallten.

Plötzlich hatte sie Mitleid mit ihm. Er hatte ihr gleich zwei Mal an einem einzigen Tag geholfen. Sie war es ihm schuldig, ihm in der Sache mit seinem Vater beizustehen.

Der Wagen stoppte und Sam zog den Schlüssel aus der Zündung.

„Danke.“ Wieder blieb sein Blick nach vorn gerichtet.

„Wofür?“

„Dafür, dass du hier bist. Jede andere hätte mich für verrückt erklärt.“

„Wer sagt dir, dass ich das nicht auch tue?“

Er stieg aus und sie folgte ihm. In den Dünen kreischten Möwen und die Brandung klang so nah, dass Kriemhild irritiert nach den Wellen suchte.

„Du kannst sie nicht sehen. Gleich hinter diesem Hügel ist eine Klippe. Dort nisten Lummen. Es geht ziemlich steil runter, sehr reizvoll zum Klippenspringen. Hast du das schon mal gemacht?“

Sie pfiff verächtlich durch die Lippen und schaute weg.

„Sorry, ich hab ganz vergessen, dass du Nichtschwimmerin bist. Das … meine ich nicht böse, versteh mich nicht falsch.“

„Vergiss es einfach.“

Jedes Mal, wenn er das aussprach, lief der grauenvolle Film vor ihren Augen ab. Als wollte das Meer sie daran erinnern, wieso sie es hasste.

Er steckte den Schlüssel in das Türschloss, als ihm von drinnen jemand zuvor kam.

Es war ein Mann mittleren Alters, der ebenfalls erstaunlich gut aussah, und fast so gut durchtrainiert war wie Sam. Der einzige Unterschied war die kühle Arroganz, die von ihm ausging, und etwas wie … Macht. Er begrüßte Kriemhild mit blitzenden Zähnen und sie konnte nicht sagen, worüber sie mehr staunte; über seine akzentfreie Anrede in Deutsch oder darüber, dass er ihren Nachnamen kannte.

„Herzlich willkommen, Frau Bergmann.“ Die blauen Augen durchdrangen sie, als schaute er auf den Grund eines Wasserglases.

„Guten Tag, Mister Dawson. Sie kennen meinen Namen?“

„Samuel erwähnte ihn mal, nehme ich an.“

„Samuel kennt meinen Nachnamen nicht.“

Er lachte und wechselte einen schnellen Blick mit seinem Sohn.

„Kommt doch herein, ihr beiden.“

Sie traten in eine Art Eingangshalle. Von der Mitte aus führte eine riesige Steintreppe in die erste Etage. Die Fensterfronten reichten beinahe bis hinauf zum Dach.

An den hellen Wänden, die zur Hälfte vertäfelt waren, hingen Unterwasseraufnahmen von Fischen, Korallen, Höhlen und Delfinen. Meeresbiologen, dachte Kriemhild.

Über der Tür, durch die Sams Vater sie ins Wohnzimmer führte, prangte ein riesiges, rundes Gebiss. Sie betrachtete im Vorbeigehen die messerscharfen Zahnreihen und ahnte, dass sie der Kreatur besser nicht lebendig begegnen wollte. Mister Dawson bemerkte Kriemhilds Gesichtsausdruck und verzog die schmalen Lippen zu einem kühlen Lächeln.

„Das ist von einem weißen Hai. Imposant, nicht wahr?“

„Ziemlich.“ Und gruselig, sich sowas im Haus aufzuhängen, wollte sie sagen.

Er bot ihnen einen Platz auf der weichen, weißen Couch an, die sich durch den halben Raum erstreckte.

„Darf ich Ihnen was zu Trinken anbieten? Samuel?“

„Nein, danke.“

„Für mich auch nichts, Dad.“

Sie hätte viel lieber erfahren, wieso sie dort war.

„Bestimmt fragen Sie sich, aus welchem Grund ich Sie eingeladen habe, Kriemhild? Ich darf Sie doch so nennen?“

„Sicher.“

Er nahm ihnen gegenüber Platz. Jede seiner Bewegungen war geschmeidig, lautlos.

„Nun ja. Die Ereignisse der letzten Tage haben mich … nennen wir es einmal neugierig gemacht. Mein Sohn lässt sich kaum zu Hause blicken, er prügelt sich wegen eines Mädchens … ein Police Officer schellt an der Tür. Sie verstehen, dass man sich da als Vater Gedanken macht. Vor allem, wenn es mit der Polizei zu tun hat.“ Er warf seinem Sohn einen intensiven Blick zu. „Das kann Samuel sich wirklich nicht erlauben. Ihr Vater würde mir da unter diesen Umständen sicher zustimmen.“ „Mein Vater ist tot.“ Samuel sah zu ihr herüber und sie bemerkte ehrliches Mitleid in seinem Blick.

„Oh, das wusste ich nicht.“

„Woher auch?“

„Es tut mir leid, Kriemhild.“ Sein Dad rieb sich verlegen die Hände.

„Mister Dawson, ich verstehe, dass sie sich Sorgen machen. Aber die Sache mit der Schlägerei und der Polizei hat sich bereits als Missverständnis herausgestellt.“

„Das freut mich zu hören. Was ist da noch gleich geschehen? Sie sind ins Wasser gefallen und mein Sohn hat sie herausgezogen?“

„So in etwa war es wohl. Samuel muss ein sehr guter Schwimmer sein, um bei dem Wellengang jemanden retten zu können.“

Für einige Sekunden herrschte berstende Stille im Raum. Die beiden wechselten einen seltsamen Blick, bis Sam schließlich den Kopf schüttelte und zu Boden sah.

„Ein guter Schwimmer“, flüsterte Mister Dawson. „Das ist er in der Tat. Hat er Ihnen erzählt, dass er mal bei den Rettungsschwimmern war?“ „Ja, hat er.“

Sein Dad erhob sich. Er ging an eine kleine Anrichte und nahm sich ein Glas Wasser.

„Kriemhild, ich will ganz offen zu Ihnen sprechen. Sie sind eine überdurchschnittlich hübsche, präsente und bemerkenswert kluge junge Frau. Was auch immer meinen Sohn und Sie verbindet, es wird nicht von Dauer sein. Samuel beginnt zum Herbstsemester an der Harvard University sein Studium. Und Sie werden zu diesem Zeitpunkt – Sie verzeihen – längst wieder in Deutschland sein. Dazwischen liegt ein tiefer Ozean. Sie verstehen, worauf ich hinaus will?“

Sie kam sich ziemlich dämlich vor. Was bildete der Typ sich ein? Kriemhild stand auf und war bereit heimzufahren, trotz des Gefühls einer seltsamen Form von … Gravitation. Alles in dem Raum hüllte sie in Wohlbehagen. Die perfekte Schönheit, die alle umgab.

„Nun, da kann ich Sie beruhigen, Mister Dawson. Ich hege weder die Absicht, Samuel von seinem Studium abzuhalten, noch verbindet Ihren Sohn und mich irgendetwas. Wenn Sie einverstanden sind, dann würde ich jetzt gern nach Hause fahren.“

„Dad, es reicht!“ Sam fand endlich auch mal ein Wort und wollte eben loslegen, als sein Vater ihn mit einer Geste zu schweigen bat.

Nein! Ich lasse nicht länger über mein Leben bestimmen! Was dieses Studium angeht, hat weder Kriemhild, noch du, oder sonst wer zu entscheiden! Und Amy, halt mal für ‘ne Sekunde deinen Mund! Ständig mischt du dich in Dinge ein, die dich nichts angehen!“

Plötzlich schwiegen alle und sein Dad warf Sam einen tödlichen Blick zu. Kriemhild begriff nicht. „Amy?“

Sam lachte leise und fuhr sich durch die Haare. Offenbar ein Anzeichen dafür, dass er nervös wurde.

„Amy … das ist … das ist meine neugierige Schwester. Sie steht dort hinter der Tür.“

„Hat sie denn was gesagt?“ Kriemhild versuchte sich zu erinnern.

„Frau Bergmann, ich denke, meine Frau wird Sie jetzt nach Hause fahren. Meine Familie und ich haben da einige Dinge zu klären.“

Der unterkühlt wirkende Hausherr kam auf sie zu und schob sie sanft aus dem Raum.

Mrs. Dawson lächelte sie mitleidig an. Sams Mutter war von außergewöhnlicher Schönheit. Allein die Tatsache, dass sie seine Mutter war, verwirrte Kriemhild. Denn ging man von ihrem Äußeren aus, hätte sie sie allerhöchstens auf Anfang dreißig geschätzt. Mrs. Dawson trug ihre langen, blonden Haare hochgesteckt und ihre zarte Haut glänzte alabasterfarben. Anmut lag in jeder Bewegung. Kriemhild konnte nicht anders, als sie anstarren. Mrs. Dawson musste es längst bemerkt haben. Allein der Höflichkeit halber wandte sie den Blick von dem schmalen Gesicht ab. Es war perfekt. Kriemhild fand nicht den geringsten Makel in den Zügen seiner Mom. Dazu die Stimme. Sie ähnelte einem säuselnden Gesang.

„Es tut mir leid, dass Sie die Familie unter diesen Umständen kennenlernen mussten. Tom – mein Mann – ist sonst nicht so. Er ist lediglich besorgt, Sie verstehen? Das Studium an der Harvard … wir alle haben sehr dafür gekämpft, dass Samuel den Platz bekommt.“

„Meinetwegen. Ich habe nichts gegen dieses Studium einzuwenden. Wieso auch? Warum denken alle, da wäre etwas zwischen ihm und mir?“

Mrs. Dawson lächelte und fuhr aus den Dünen auf die Straße. Für sie schien der Gedanke alles andere als abwegig.

„Nun ja, Samuel wird nachlässig. Zumindest, was sein Praktikum in Woods Hole anbelangt. Wir dachten, Sie seien vielleicht der Grund. Übrigens, Ihre Haare gefallen mir.“

„Danke. Ich bin nicht der Grund. Was genau macht er in Woods Hole?“

„Mein Mann und ich forschen dort unten am MBL. Samuel hat einen Kurs belegt. Sensorische Biologie und Verhaltensökologie.“

„Hört sich interessant an. Und was genau erforschen Sie, wenn ich fragen darf?“

In Mrs. Dawsons glasklarem Blick lag Verwunderung. Entweder kam es nicht oft vor, dass jemand sie danach fragte, oder aber, die ganze Welt – außer Kriemhild selbst – wusste längst darüber Bescheid.

„Ich hatte keine Ahnung, dass dieses Thema Sie interessiert. Nun, es geht hauptsächlich um Aquakultur. Die kontrollierte Aufzucht von aquatischen Organismen. Reproduktion, Genetik, Pathologie. Die Meere sind so überfischt, dass dies immer notwendiger wird.“

Sie schaute ziemlich besorgt. Kriemhild spürte, dass all ihr Herzblut in ihrer Arbeit steckte.

„Ja, es ist schlimm, wie die Meere ausgebeutet werden. Ich darf gar nicht drüber nachdenken. Wissen Sie, ich stamme von der Nordsee. Diese ganzen Ölkatastrophen, Bohrinseln, dieser ganze Dreck … Mein Leben lang bekomme ich das hautnah mit.“

Mrs. Dawsons Lächeln war darum bemüht, die Begeisterung über Kriemhilds Interesse in Grenzen zu halten. „Wenn Sie wollen, dann kommen Sie uns doch im MBL mal besuchen. Samuel würde Sie sicher gern herumführen.“

„Danke, ich denk drüber nach. Da vorn können Sie mich rauslassen.“

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