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Kapitel 3

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Margarethe

Kurz zuvor stand Margret auf der Veranda und genoss die Abendstimmung, während sie ihrer Nichte lächelnd nachblickte. Dabei zog sie den Strickschal enger um ihre zierlichen Schultern. Der Wind frischte auf, doch der Himmel erstrahlte in einem wunderschönen Goldorange. Nicht mehr lange und die Sonne würde untergehen.

Kriemhild stapfte barfuß durch die Wellen und erinnerte Margret an sich selbst – damals, vor fast fünfzig Jahren, als sie zum ersten Mal den malerischen Strand erkundet hatte. Die Landschaft hatte sich seitdem beinahe nicht verändert.

Dabei war alles anders gekommen, als sie es sich mit ihren süßen siebzehn Jahren erträumt hatte. Manchmal, wenn sie nachts lange wach lag und John tief und fest an ihrer Seite schnarchte, erinnerte sie sich daran, dass sie auch Deutsche war. Und dann kam es ihr vor wie ein dunkler Traum, ein Traum aus einer längst vergangenen Zeit – der Nachkriegszeit. Jahre, denen noch immer der Schrecken anhaftete, den die ganze Welt am liebsten vergessen und ungeschehen machen würde.

Ein leises Klacken auf den Holzbohlen der Veranda ließ Margret aufblicken. Jacob setzte sich direkt auf ihre Zehenspitzen – wie er es immer tat – und sah sie mit treuen Augen an. Ihre Hand glitt hinab und kraulte sein Ohr, als sie flüsterte: „Lauf, Jake. Lauf zu Kriemhild, sie sieht so einsam aus auf dem endlosen Strand.“

Sofort erhob sich der Hund, wedelte mit dem Schwanz und lief los, als hätte er verstanden, dass jemand gerade einen Freund brauchte.

Margrets Gedanken fielen in der Zeit zurück.

Es war ein paar Straßen weiter von dort, mehr zum Stadtzentrum hin. Ein Wagen fuhr vor, ein silberroter Lowrider, Cadillac. Wie John das Auto geliebt hatte! Bis zum bitteren Ende, als er es in Old George’s Liquerstore parkte, nachdem er mit seinen Kameraden zu tief ins Glas geschaut hatte.

„Siehst du? Habe ich dir zu viel versprochen, mein Herz?“, fragte John.

Margret schaute an der Fassade des weißen Holzhauses hoch. Es war der typische Kolonialstil, ein für die Gegend beinahe zu pompöses Haus mit Veranda, die sich hervorhob und den Balkon im ersten Stockwerk mit einbezog. Aber nach allem, was sie bisher von den Gilberts mitbekommen hatte, passte es wie die Faust aufs Auge. Sein Vater war ein sehr angesehener Arzt, der John im Vertrauen eine Alternative der anderen Art vorgeschlagen hatte, wie sie später herausfand. Eine Alternative, das naive, schrill lachende deutsche Mädchen mitsamt ihrem kleinen „Problem“ wieder loszuwerden.

Sie liebte John noch mehr, wenn sie daran dachte, wie er sie vor seinem Vater immer in Schutz genommen hatte.

„Es sieht sehr hübsch aus“, antwortete sie. „Können wir es uns von innen anschauen?“

„Natürlich! Wieso glaubst du sind wir sonst hier?“

Er stieg aus, ging um den Wagen und öffnete ihr – wie es sich gehörte – die Tür, um ihr mit starker Hand beim Aussteigen behilflich zu sein. Sie stöhnte kurz auf, bevor sie aufrecht auf dem Gehweg stand. Besorgt sah John sie an. „Ist alles in Ordnung?“

„Ja, alles bestens. Lass uns hineingehen.“

Das Sommerhaus der Gilberts entpuppte sich als das Romantischste, Verrückteste und Extravaganteste, was Margret in ihrem bisherigen Leben geboten bekommen hatte. Die Schwierigkeiten jener Zeit – vor allem die gesellschaftlichen – blendete sie grundsätzlich aus, wenn sie an ihr erstes gemeinsames Heim zurückdachte. In dem Haus hatte sie die schönsten und zugleich leidvollsten Stunden ihrer – wie Vater sagte verkorksten – Jugend verbracht.

Johns Arme umschlangen sie zärtlich, als er zu ihr auf die Veranda hinaustrat und ihre Schläfe küsste. „Ist das nicht ein wundervoller Abend?“

„Ja, das ist es.“ Margret nickte und fand zurück in die Gegenwart. „Einer von vielen, die wir beiden erleben durften. Womit haben wir das nur verdient?“

John lächelte. Sie konnte seine Mundwinkel an ihrer Wange spüren. „Woran hast du eben gedacht? Ich kenne diesen Ausdruck in deinen Augen. Hast du jemals bereut, hier zu sein?“

„Nein! Das weißt du doch. Auch jetzt nicht, wenn ich sie betrachte. Sie ist so groß geworden, und bildhübsch. Ganz anders als ihre Mutter. Was meinst du, John, werden die Jungs aufmerksam auf unsere Kriemhild?“

„Das will ich doch hoffen! Wir dürfen stolz darauf sein, eine so wunderbare Nichte zu haben, meinst du nicht?“

Margret nickte. Eine vernarbte Wunde in ihrem Herzen riss erneut auf und begann zu bluten. Sie spürte, dass John ihren Schmerz erahnte. Er drehte sie herum, strich eine graue Strähne aus ihrer Stirn und lächelte. „Komm, wir sollten unserem Gast ein unvergessliches Willkommensessen bereiten. Sie muss nach der langen Reise ausgehungert sein.“

Der Tisch war eingedeckt und die Dunkelheit würde sehr bald hereinbrechen. Margret entzündete die beiden schmalen Kerzen, die sie in die silbernen Halter gesteckt hatte. Sie rundeten die feine Tischdekoration ab. Schritte ertönten auf der Veranda, als Kriemhild erschien, die Haare vom Wind zerzaust, und die linke Hand am Halsband des Hundes. Sie strahlte über das ganze Gesicht. Ihre helle Haut glitzerte vom Salz und der Gischt, die in der Luft lagen. „Seht mal diesen Streuner hier. Er hat in den Dünen die Möwen gejagt.“

Jacob wedelte unschuldig mit dem Schwanz und ließ ein leises Jaulen hören. Margret lächelte und ging ihm entgegen. „So? Hast du das wirklich getan? Los, ab in deinen Korb!“

Sie legte die roten Haare hinter Kriemhilds Ohren. „Er wird beim Essen betteln. Lass dich nicht darauf ein, hörst du? Er hat bereits einen Napf leergefressen. Sein Blick wird versuchen, dich zu täuschen.“

Das junge Mädchen schaute zum Tisch hinüber. Margret entging die beschämte Röte auf ihren Wangen nicht.

„Du hättest mich rufen sollen, Tante. Ich hätte dir beim Decken geholfen.“

„Papperlapapp. Wozu habe ich meinen John? Er liest mir die Gedanken von den Augen ab und schon deckt sich der Tisch von selbst. Geh hoch auf dein Zimmer, zieh dich um und dann iss etwas mit uns. Du bist doch sicher sehr hungrig?“

„Ja, das bin ich tatsächlich. Ich beeile mich.“

Sie lief die knarrende Wendeltreppe hinauf. Margret stellte die weißen Porzellanschüsseln bereit. Die Pellkartoffeln dampften. Dazu hatte sie Matjesfilet in Sahnesauce mit Lauch, Nüssen und Rosinen vorbereitet. John schaute über ihre Schulter. „Hoffentlich mag sie Fisch.“

„Elisabeth sagt, es sei ihr Leibgericht.“

„Mein unverbesserliches Herz. Du tust alles, damit Kriemhild für immer bleibt, hab ich Recht?“

„Gönn mir diese kleine Illusion. Es ist doch nur einen Sommer lang.“

„Es schmeckt sehr gut! Danke, Tante Margret.“

„Das freut mich. Aber erzähl mal, wie hat dir unser Strand gefallen?“

Sie musterte das Mädchen und der Anblick ließ ihr Herz höher schlagen. Kriemhild war zwar blass, doch es war eine gesunde Blässe, vornehm, wie Mutter sagen würde. Ihre Wangen und die Nasenspitze waren mit kleinen Sommersprossen gesprenkelt. Ihre schlanke Figur hatte sie in ein enganliegendes Strickkleid gehüllt, das Haar von der Stirn und den Schläfen zurückgebunden. Im Kerzenschein schimmerte es mahagonifarben. Von Kriemhilds Kummer bemerkte man nicht den Hauch einer Spur.

„Der Strand ist Wahnsinn! Ganz anders als unsere Nordsee. Ich liebe das Meer.“ Sie stockte. „Aber meistens hasse ich es.“

Margret bemerkte, wie der Blick ihrer Nichte ins Leere fiel. Mit einem Räuspern hoffte sie, die Stimmung zu retten. „Was hast du denn für den Sommer geplant? Womit können wir dir eine Freude bereiten?“

„Oh, es reicht schon aus, dass ich einfach nur hier sein darf. Ich frage mich die ganze Zeit über, wieso ich erst neunzehn werden musste, um euch zu besuchen? Es ist so wunderschön hier, ich hätte jeden Sommer bei euch verbringen sollen!“

John ergriff die Hand seiner Frau und sie wünschte, er würde das leichte Beben nicht bemerken.

„Du wirst sicher schnell Freunde in deinem Alter finden. Wenn die Saison erst begonnen hat, wimmelt es hier nur so von hübschen Kerlen aus der Stadt. Dazu Strandpartys … Glaub mir, langeweilen wirst du dich jedenfalls nicht.“

Kriemhilds Handy piepte. Sie hatte es mit heruntergebracht und wenn sie zuvor noch gestrahlt hatte, erstarrte sie bei dem Geräusch zu einer leblosen Säule. Mit ein paar Klicks öffnete sie die Kurzmitteilung, überflog sie und legte das Telefon schweigend zurück auf den Tisch. Dann stocherte sie mit der Gabel unentschlossen in ihrem Essen.

„War er es wieder?“, fragte Margret

Kriemhild nickte. „Justus weiß nicht, dass ich hier bin. Er will unbedingt mit mir reden, sagt er.“

John hob eine Braue. „Vielleicht solltest du das Ding ausschalten. Du hast Urlaub und wirklich ein wenig Erholung verdient!“

„Vielleicht. Danke für das Essen. Ich bin ziemlich erschöpft. Gute Nacht.“

Sie erhob sich und ging die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Margret seufzte. John nahm ihre Hand und lächelte. „Weißt du, irgendwie verstehe ich diesen jungen Burschen. Ihr Anblick kann einem wirklich den Verstand rauben.“

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