Читать книгу ZUGVOGEL - K. Uiberall-James - Страница 28
ОглавлениеAustausch der ersten Eindrücke
Als Malik weg ist, zappen die drei Freunde durch alle Kanäle und finden nichts, was sie interessiert, bis sie auf ARTE eine Sendung über Pygmäen entdecken. Im stillen Einvernehmen bleiben sie auf dem Kanal und verfolgen interessiert die Sendung.
Die Pygmäen demonstrieren gerade, wie sie ihre Hütten bauen, als Ibrahim nachdenklich sagt: „Ich habe mir immer gewünscht, in einem wetterfesten Steinhaus zu leben, mit elektrischem Licht und Anschlüssen für Kühlschrank, Fernseher und so. Die Hütten machen so viel Arbeit; ständig muss an ihnen etwas ausgebessert oder erneuert werden, also, ein Haus mit richtigen Glasfenstern, wo ich selbst bei schlechtem Wetter noch nach draußen schauen kann. Aber dass es so sein würde …“. Resigniert winkt er ab.
„Ich weiß, was du sagen willst“, sagt Sekou sanft, „mein Onkel hat ja ein Steinhaus, aber ich habe mir das Leben in modernen Häusern auch anders vorgestellt. Ich dachte, dass hier alles einfacher wäre und man mehr Zeit haben würde für die schönen Dinge des Lebens. Schließlich gibt es für fast jede Arbeit eine Maschine. Dadurch gewinnen die Menschen doch eine Menge Zeit, und was machen sie damit?“
„Sie nutzen die Zeit, um noch mehr zu arbeiten oder um fernzusehen“, antwortet Ibrahim sarkastisch.
„Ja, das stimmt“, mischt sich nun auch Amadou ein, „alle reden immer nur von dem Stress, den sie haben. Dieses Wort kannte ich vorher gar nicht. Und es nervt, dass die Leute meistens nur am Wochenende Zeit füreinander haben. Das ist doch kein Leben. Man lebt doch nicht nur am Wochenende.“
Ibrahim und Sekou lachen. „Das ist uns auch schon aufgefallen; da sind wir ja mal einer Meinung.“
Amadou freut sich über die Zustimmung seiner Freunde und möchte sie noch einmal zum Lachen bringen. „Also, das wäre so, als würde man einen eingesperrten Löwen nur am Wochenende in die Savanne lassen … Ich als Löwe würde nicht wieder zurückgehen.“
Ibrahim und Sekou grinsen breit und klopfen ihrem Freund beruhigend auf die Schulter. „Wir wissen ja, dass unser Löwenbaby die Savanne vermisst.“ Dann wenden sie sich wieder der Dokumentation im Fernsehen zu.
Aber Amadou ist nicht mehr zu bremsen. „Die Stille macht mich ganz kirre“, murmelt er. Seine Freunde nicken, als wüssten sie, wovon er spricht, und so fährt er fort: „Ich kann nachts manchmal nicht einschlafen, weil mir das Zirpen der Grille, das Scharren der schlafenden Hühner, das Schnalzen der Geckos, ja sogar das Schnarchen meines Vaters, oder das Rascheln der Mäuse fehlen. Ohne dieses nächtliche Spektakel weiß ich nicht, wo ich bin, ich verliere die Orientierung.“
„Tja, zu Hause, da sind immer irgendwelche Geräusche und man ist nie allein“, seufzt Sekou nostalgisch.
„Ach hört doch auf zu jammern; natürlich ist es zu Hause anders, dort spielt sich ja auch fast das ganze Leben draußen ab“, antwortet Ibrahim resolut, denkt dabei aber sehnsüchtig an den Hof seiner Familie.
Sekou versucht, Verständnis zu zeigen. „Na ja, wenn es hier immer so kalt ist, wundert es mich nicht, dass die Menschen sich in ihren Wohnungen verkriechen und alles drinnen machen.“ Und nach einer kleinen Pause fügt er tröstend hinzu: „Wir werden uns schon daran gewöhnen.“ In Wahrheit glaubt er aber selber nicht daran.
In Afrika brauchte er nur einen Schritt vor die Tür zu machen, um jeden Morgen das Wunder des Sonnenaufgangs zu erleben, oder, wenn er nachts mal raus musste, das Gefühl zu haben, er könnte die Sterne pflücken, so nah erschienen sie ihm. Und hier? An vielen Tagen sieht man überhaupt keine Sonne.
Nach einer Weile betretenen Schweigens sagt Ibrahim, ohne seine Freunde dabei anzusehen, mit brüchiger Stimme: „Mir fehlt selbst die sirrende, flimmernde Hitze des Feldes und die rote Erde.“
Bevor sie alle in Selbstmitleid zu versinken drohen, taucht gerade noch rechtzeitig ein munterer Toucou auf, der die Stimmung sofort richtig interpretiert. „Hey, Leute, heute ist Sonntag; da wird nicht Trübsal geblasen.“
„Ja genau, weil Sonntag ist“, mäkelt Amadou spöttisch. Darauf antwortet Toucou nicht, er will sich seine gute Laune nicht verderben lassen; also muss er seine Mitbewohner wohl ein wenig aufmuntern.
„Seid ihr gar nicht neugierig, wo ich letzte Nacht war?“
„Und ob.“ „Erzähl schon.“ „Wie war’s?“
Bereitwillig gibt er über seine Bettgeschichte von vergangener Nacht Auskunft. Als die Neugierde der ‚Neuen‘ gestillt ist, verschwindet er mit den Worten „ich habe einen Mordshunger“ in der Küche. Sekou ruft ihm feixend hinterher: „Hat sie dir nichts zur Stärkung gegeben?“ Toucou schiebt eine Schulter durch die Tür und verzieht angeekelt das Gesicht; „ihr glaubt doch nicht, dass ich den deutschen Fraß esse!“
Alles in allem haben die Vier dann doch noch einen schönen Nachmittag und nach dem Essen erzählt Sekou sogar noch die Geschichte von der nervigen Carla.