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Der erste Schnee

Früh am Montagmorgen zieht Emily Amadou übermütig die Bettdecke weg und schreit begeistert: „Es schneit!“, und als er ein wenig orientierungslos und fröstelnd die Schultern hochzieht, schmeichelt sie: „Komm, steh auf und schau dir das an.“ Sanft zieht sie ihn am Arm hoch und legt ihm auch noch fürsorglich seinen Pullover um die Schultern. Widerstrebend folgt er ihr zum Fenster.

„Na?“, fragt sie Beifall heischend, „ist das nicht schön?“

„Wow“, entweicht es Amadou ehrfürchtig, „das sehr schön“, und mit einem Blick in den Himmel, von dem dicke flauschige Schneeflocken herabsegeln, sagt er verschmitzt: „das wie oben jemand viel weiße Huhn …“, und er stellt pantomimisch dar, wie man Hühner rupft.

Emily lacht und meint: „Ja, in Deutschland erzählen wir den Kindern etwas ganz Ähnliches; wir sagen ihnen, dass da oben Frau Holle die Federbetten ausschüttelt, und dabei fallen weiße Federn herunter.“ Sie holt ein buntes Buch aus dem Regal und blättert eifrig darin, bis sie gefunden hat, was sie sucht. „Hier, da ist es; das ist das Märchen von Frau Holle“, und hält es Amadou hin.

„Ah, verstehen, du das erzählen für Kinder.“

„Ja“, strahlt sie ihn an, „heute werden die Kinder viel Spaß haben. Wir werden einen Schneemann bauen.“ Amadou schaut sie fragend an. „Du kannst uns ja heute am Spielplatz treffen und mitmachen.“ Amadou versteht ‚heute’ und ‚Spielplatz’ und nickt eifrig.

„Jetzt muss ich aber schnell Frühstück machen, sonst komm‘ ich zu spät zur Arbeit“.

Amadou bleibt mit staunenden Augen am Fenster zurück. Er beobachtet, wie sich das Tageslicht langsam und zögernd aus der Umklammerung der Morgendämmerung löst und den Blick auf eine Szene freigibt, die so gut wie keine Schatten aufweist; die Helligkeit des Schnees scheint jeden Winkel der kleinen Straße gleichmäßig auszuleuchten.

‚Was für eine fantastische Welt’, denkt er, ‚alles, was vorher schmutziggrau, hart und triste aussah, ist auf einmal weich und zart, sauber und hell.’ Sämtliche Geräusche, die er von draußen wahrnimmt, klingen irgendwie gedämpft. Und er lächelt, als die Autos mit Tempo 30, teilweise noch mit einer lustigen Schneehaube bedeckt, fast lautlos über den Schnee schleichen. Auch die Menschen bewegen sich langsamer als sonst. Sie stapfen mit dicken Stiefeln, den unglaublichsten Mützen und dicken Handschuhen durch den Schnee. Amadou würde gerne den Gesichtsausdruck der Leute sehen, aber die halten den Kopf wegen des inzwischen einsetzenden Schneegestöbers gesenkt. Sein Blick kehrt zurück zu dem Baum vor Emilys Haus. ‚Er sieht aus wie mit Puderzucker bestäubt; komisch, dass die herabfallenden Schneeflocken alle kleben bleiben.’ Amadou öffnet vorsichtig das Fenster, um den Schnee auf der Fensterbank anzufassen. Verwundert stellt er zunächst fest, dass die Luft gar nicht so kalt ist, wie er vermutet hat. Er greift eine kleine Handvoll der weißen Pracht und leckt vorsichtig daran. ‚Das schmeckt ja wie Wasser.’ Gleichzeitig spürt er, wie die kleinen Kristalle prickelnd auf seiner Zunge schmelzen und ihm das Schmelzwasser aus der Hand kalt und ungemütlich den Arm herunter läuft.

„Frühstück ist fertig. Kommst du?“, ruft Emily aus der Küche. Amadou schließt eilig das Fenster, springt in seine Jeans, zieht das Bettlaken glatt und legt die Bettdecke ordentlich zusammen. ‚Das Beste am Schnee ist, dass die Menschen gezwungen sind, alles langsamer zu machen’, sinniert er zufrieden und freut sich auf etwas Heißes zu trinken und auf sein späteres Treffen mit Emily und den Kindern im Park.

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