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Post für Amadou und die WG

Ein paar Tage später holt Malik Brötchen vom Bäcker und kommt mit einer Tüte und der Post in der Hand zurück. Er schüttet eine ganze Ladung appetitlich duftender Brötchen auf einen Teller, lässt sich auf die Couch plumpsen und beginnt die Briefe zu sortieren. „Hier, Amadou“, ruft er in Richtung Küche, „ein Brief für dich, von deiner Liebsten; vielleicht heitert der dich ein wenig auf.“ Aus der Küche kommt nur ein undefinierbares Geräusch, ähnlich einem Seufzen, als Antwort.

Malik wendet sich wieder seiner Post zu und öffnet einen Brief. Ein Blick auf das Schreiben und seine Augen weiten sich entsetzt; er springt wie von der Tarantel gestochen auf, den Brief ungläubig von sich weg haltend. „Eey, das kann doch nicht wahr sein!“, schreit er.

Amadou stürzt in das Wohnzimmer und fragt besorgt: „Was ist passiert?“

„Hier, schau selbst; die Telefonrechnung“, ist die nun klägliche Antwort, so als hätte der bloße Anblick der Rechnung seinem Körper alle Energie entzogen. Amadou nimmt mit zitternder Hand das Blatt Papier entgegen. 1.200 Euro! Er muss sich setzen, weil ihm auch die Beine zittern.

„Ich, ich … es tut mir leid; ich dachte … ich habe einfach nicht gewusst, wie teuer es sein würde, nach Hause zu telefonieren.“

„Aber warum hast du uns nicht gefragt?“ Maliks Stimme klingt nun doch aufgebracht; „Toucou und ich hätten dir gerne erklärt, wie man mit einer Telefonkarte günstig telefoniert.“

Amadou senkt reuig den Kopf. „Ich habe mich so geschämt.“

„Weswegen denn?“

„Ich habe solche Sehnsucht nach Hause, und außerdem mache ich mir Sorgen um meine Mutter.“

„Ach Amadou…“, seufzt Malik, „wir alle haben Heimweh. Deswegen brauchst du dich nicht zu schämen; das verstehen wir.“ Er macht eine lange Pause, während der Amadou sich nicht traut, auch nur ein Wort zu sagen. „Aber wie soll ich diese 1.200 Euro bloß bezahlen? Soviel verdiene ich gerade in einem Monat. Und du weißt inzwischen, was ich alles davon bezahlen muss.“ Nachdenklich schneidet er ein Brötchen auf und belegt es mit Käse; plötzlich erhellt sich seine Miene. „Ich hab eine Idee, wie ich das regeln kann. Ich werde nach dem Frühstück bei der Telefongesellschaft anrufen und Ratenzahlung beantragen. Ja, das ist die Lösung; und jetzt lass uns frühstücken.“

Amadou schaut ihn mit leuchtenden Augen an und sagt eifrig: „Ich werde dir alles zurückzahlen, auch die Gespräche, die auf dieser Rechnung noch nicht drauf sind.“ Maliks Hand, welche das halbe Brötchen gerade zum Mund führt, verharrt sekundenlang auf halber Höhe, bevor er resigniert und ohne weiteren Kommentar seine Bewegung fortführt.

Amadou beschließt, heute Maliks Lieblingsgericht zu kochen und seine Wäsche besonders sorgfältig zu bügeln. Miriams Brief will er erst lesen, wenn er alle Arbeiten erledigt hat und alleine ist, sozusagen als Belohnung.

Als er den Brief endlich am Nachmittag öffnet, verschwimmen ihm die Buchstaben vor den Augen und er muss erst einmal energisch mit dem Handrücken für klare Sicht sorgen.

Lieber Amadou, schreibt Miriam in ihrer kindlichen, runden Schrift, wie geht es dir? „Schlecht“, murmelt Amadou und liest weiter. Und wie geht es Sekou und Ibrahim? Ich hoffe sehr, dass ihr alle gesund seid. Hier ist alles so weit in Ordnung. Uns geht es gut. Gestern habe ich deine Eltern besucht, um zu sehen, ob sie Hilfe benötigen; denn wenn du mit ihnen telefonierst, sagen sie dir vielleicht nicht die Wahrheit. Aber ich kann dich beruhigen, deiner Mutter geht es sogar etwas besser. Sie bekommt andere Medikamente und kann schon wieder aufstehen und leichte Arbeiten verrichten. Dein Vater ist überglücklich. Amadou seufzt vor Erleichterung. Miriam fährt fort: Sie sagen, dass das Geld noch eine Weile reicht. Hast du inzwischen auch eine Arbeit gefunden?

‚Nein, hab’ ich nicht.’ Das linierte Blatt Papier mit der akkuraten Schrift zittert unmerklich in Amadous Hand. Wut und Ohnmacht spiegeln sich in seinem Gesicht. ‚Mit welchem Recht fängt sie nun auch noch an, mich zu nerven?’ Schließlich hat er mit dem Kreditgeber vereinbart, dass er erst mit der Rückzahlung des Kredites beginnen muss, wenn er Arbeit hat und Geld verdient. Den Zusatz … aber spätestens nach drei Monaten, hat er total verdrängt. Jetzt flutet dieser Satz die Oberfläche seines Bewusstseins wie Wasser die ausgedörrten Wadi zur Regenzeit. Von einer Sekunde zur anderen ist die Zeit ein reißender Strom, unkontrollierbar. „Ach verdammt!“, schnauzt er und verscheucht die trüben Gedanken mit einer Handbewegung, bevor er weiter liest.

Hier hat sich sonst nichts verändert. Wir alle vermissen euch und hoffen, dass ihr schnell viel Geld verdient, damit ihr nicht so lange fortbleibt. Ach ja, bevor ich es vergesse Amadou, kannst du mir solch ein weißes Kleid, wie die Frauen es in Europa zur Hochzeit tragen, mitbringen? Ich wünsche es mir so sehr!

Bis bald, deine Miriam.

Natürlich ist Amadou froh, dass er sich im Moment nicht um seine Mutter zu sorgen braucht, aber so richtig freuen kann er sich auch nicht über diesen Brief. Er hat ihn schmerzhaft daran erinnert, dass er etwas tun muss, um Geld zu verdienen. ‚Na ja, morgen ist auch noch ein Tag’, denkt er und beschließt, am Wochenende alle Landsleute zu fragen, wie er Arbeit finden kann, und wenn er dazu in die Disco mitgehen muss, um sie zu treffen.

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