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8. Das geheimnisvolle Laboratorium

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Anderntags saß Elisa auf den Treppenstufen vor der Haustür und strickte an einem Schal aus gelber Wolle. Aristoteles, Professor Heuretes’ schwarzer Kater, schmiegte sich schnurrend an ihre Beine, nachdem er das Milchschälchen ausgeschleckt hatte, das sie ihm täglich vor die Tür stellte.

Aristoteles war ein sehr stattliches Tier. Er hatte einen weißen Kragen, der ihm eine geradezu vornehme Erscheinung verlieh, und bräunliche Augen, die außerordentlich klug blickten. Wenn Elisa mit ihm sprach oder ihm aus ihren Büchern vorlas, hatte sie den Eindruck, als würde er jedes Wort verstehen. Der Kater war aber gelegentlich ein wenig undankbar und frech. Weil Elisa nicht gleich auf ihn reagierte, schnappte er sich das Wollknäuel aus dem Strickkörbchen und lief davon.

„Aristoteles! Gib das her!“, rief Elisa und rannte ihm nach.

Der Kater huschte in das kratzige Gebüsch, das an der Ziegelwand von Professor Heuretes’ Laboratorium wucherte. Elisa bog die Zweige auseinander, doch der Kater war nicht mehr zu sehen. An der Mauer lag ein Haufen lehmiger Erde, der mit Pfotenabdrücken übersät war. Vermutlich benutzte Aristoteles ihn als Katzenklo. Da bemerkte Elisa eine kleine Holzluke, die sich dicht über dem Boden in der Mauer befand. Tief geduckt kroch sie in das Gestrüpp hinein, wobei sie aufpassen musste, sich keine Löcher in die Kleidung zu reißen. Vorsichtig öffnete sie die Luke und schaute hindurch. Sie konnte den Fußboden des Innenraumes sehen. Auf den welligen Dielenbrettern lag Staub. Drinnen war das Brummen, Tackern und Pfeifen von irgendwelchen elektronischen Geräten zu hören. Hinter einem Tischbein lag das Wollknäuel. Daneben erblickte Elisa ein Paar ausgetretener Halbschuhe aus brüchigem Leder. Die Schuhe tappten auf der Stelle hin und her, so als wäre ihr Träger oberhalb des Tisches emsig mit etwas beschäftigt. Leise schloss sie die Luke wieder.

Das verwahrloste Grundstück des Professors lag genau neben dem von Elisas Großmutter. Es wurde hinten durch die hohe Mauer der Tütensuppenfabrik und auf der anderen Seite durch das lang gestreckte Stallgebäude der Geflügelfarm begrenzt. Was diese Farm betraf, so munkelte man, dass darin Tausende von Hühnern ihr ganzes Leben in engen Käfigen verbringen mussten. Keiner der Anwohner hatte je einen Blick hineinwerfen dürfen. Die Anlage wurde von finster dreinblickenden Sicherheitsleuten bewacht. Es gab keine Fenster, sondern nur Lüftungsöffnungen. Gelegentlich sah man LKWs hinein- und hinausfahren. An ihren Aufschriften erkannte man, dass die einen Tierfutter und die anderen Eier transportierten. Manchmal kamen auch Lastwagen heraus, unter deren Planen das laute Spektakeln von Hühnern zu hören war. Die verschwanden dann direkt durch das Tor der Tütensuppenfabrik.

Schon vor etlichen Jahren hatte sich Professor Heuretes ein Forschungslaboratorium im Anbau seines alten Hauses eingerichtet, der in früheren Zeiten einmal als Pferdestall gedient hatte. An der Außenwand zum Hof hing noch immer ein von Schwalben bekleckertes Zaumzeug, und weiter hinten wurden die verrottenden Überreste eines Kutschwagens von Unkraut und Sträuchern überwuchert. Der Professor hatte die Fenster vergittern lassen und die Tür und das große Tor mit schweren Eisenbeschlägen und Schlössern versehen wie man es mit Gebäuden tut, in denen sich besonders wertvolle oder geheime Dinge befinden. Die Gitter und Beschläge waren inzwischen arg verrostet, das bemooste Dach war an mehreren Stellen undicht und von den rissigen Mauerwänden bröckelte der Putz.

„Was mag der Professor dort nur treiben?“, tuschelten die Leute in der Siedlung. „Ob er wohl mit gefährlichen Sachen experimentiert?“

Einige prophezeiten hinter vorgehaltener Hand: „Möglicherweise gibt es da irgendwann früher oder später bald ganz bestimmt vielleicht eine große Explosion!“

Zunächst zaghaft, dann mit einem kräftigen Ruck schob Elisa die klemmende Eingangstür, die nur angelehnt war, ein Stück weiter auf. Und obwohl die rostigen Scharniere laut quietschten, schien der Professor sie zu überhören. Hoch konzentriert drehte er an den Schaltknöpfen eines Gerätes, das ein auf- und abschwellendes Pfeifen ertönen ließ. Auf einem kreisrunden Bildschirm waren wabernde Wellenlinien zu sehen. Mehrere Bandspulen einer an die Wand montierten Apparatur drehten sich. Der Professor schob sich eine Schutzbrille mit dunklen Gläsern von der Stirn über die Augen und griff nach einem Mikrofon, in das er mit seiner verschnupften Stimme sagte: „Versuch sieben-neun-sechs. Stromstärke eintausendeinhundertfünfzig. Spannung dreihundertachtzig. Test läuft.“

Er drückte den roten Knopf eines Schaltpultes. Ein brummendes Geräusch wurde hörbar. Blitze zuckten um einige Drähte, die zwischen dicke Isolatoren gespannt waren. Aristoteles sprang unter einem der Labortische hervor und huschte zwischen Elisas Beinen hindurch ins Freie. Der Kater schien nichts Gutes zu ahnen. Elisa überlegte, ob sie ihm vielleicht besser folgen sollte, doch die Neugier hielt ihre Füße auf der Stelle fest. Das Brummen verstärkte sich immer mehr und wandelte sich zu einem ohrenbetäubenden Heulen. Ein brenzliger Geruch breitete sich aus. Der Professor drehte hektisch an den Schaltknöpfen. Funken sprühten. Plötzlich gab es einen Knall. Einige Teile der Versuchsanordnung flogen scheppernd durch den Raum. Elisa zog unwillkürlich den Kopf ein. Das Heulen verebbte. Staub rieselte aus dem Deckengebälk. Dunkler Qualm wogte durch das Laboratorium. Hustend krächzte der Professor ins Mikrofon: „Testverlauf sieben-neun-sechs: negativ.“

Sein Gesicht und sein vordem weißer Kittel waren rauchgeschwärzt. Missmutig ließ er sich auf den Drehstuhl vor dem Computerbildschirm sinken und hustete bekümmert in sich hinein. Auch Elisa musste husten. Da erst hob der Professor den Kopf und schob seine Schutzbrille wieder auf die Stirn hinauf.

„Mach die Tür weiter auf, damit der Rauch abziehen kann!“, wies er Elisa an. Sein Gesicht war dort, wo die Brille eben noch gesessen hatte, sauber geblieben. Nun hatte er um die Augen herum zwei kreisrunde, helle Flächen. Darum erinnerte sein Anblick stark an den einer Nachteule. Er zog ein Taschentuch hervor und putzte sich laut schnaubend die Nase, die danach einigermaßen gesäubert war, sodass sein Aussehen nun eher dem eines Habichts glich. Elisa trat zögernd ein paar Schritte weiter ins Laboratorium hinein.

„Hau ab“, knurrte der Professor. „Hier ist kein Kinderspielplatz.“

Missmutig wandte er sich wieder dem Computer zu.

„Verzeihung“, entschuldigte sich Elisa. „Ich wollte nicht stören. Aber Aristoteles hat meine Wolle…“

Schnell holte sie das Wollknäuel hinter dem Tischbein hervor.

„Was?“, fragte der Professor ohne hinzusehen.

„Ich hab’ sie schon“, sagte Elisa. „Ich stricke nämlich einen Schal. Meine Oma hat mir gezeigt, wie man das macht. Einen Schal zu stricken ist einfacher als zum Beispiel Socken oder Pullover. Und ich dachte mir, da fange ich doch lieber mit etwas Einfachem an.“

Elisa merkte, dass ihr der Professor gar nicht zuhörte. Er starrte mit gefalteter Stirn auf den Bildschirm, auf dem viele Zahlen in komplizierten Formeln standen. Dabei schniefte er hin und wieder die Nase.

„Sie scheinen ja einen gehörigen Schnupfen zu haben“, bemerkte Elisa. „Und ich überlege schon die ganze Zeit, wem ich den Schal schenke, wenn er fertig ist.“

Da drehte sich der Professor zu ihr um und sah sie mit seinen geröteten Augen an.

„Alle Berechnungen stimmen“, sagte er betrübt. „Aber mein psychokinetischer Antrieb will einfach nicht funktionieren.“

Elisa hatte diese Bezeichnung nur einmal an jenem bewussten Abend gehört. Weil sie keine Ahnung hatte, was das bedeutete, fragte sie: „Was für ein Trieb?“

„Mein psychokinetischer…“, setzte der Professor zu erklären an, doch er unterbrach sich und meinte herablassend: „Ach, das verstehst du sowieso nicht.“

Er sah zu der großen, silberglänzenden Kugel hinüber, die in einer hinteren Ecke des Raumes stand. Diese Kugel war etwa so hoch wie ein erwachsener Mensch. Sie stützte sich auf drei Teleskopbeine und bestand zu etwa einem Drittel aus einem gewölbten Schiebefenster aus sehr dickem Glas. Darüber war ein Scheinwerfer in die glatte Oberfläche eingelassen. Das Innere der Kugel sah so ähnlich aus wie eine Pilotenkanzel mit gepolsterten Wänden. Vor einem bequemen Schalensitz befand sich ein Schaltpult, aus dem etwas herausragte, das aussah wie das Steuerhorn eines Flugzeuges.

Mit schweren Schritten ging der Professor über den holprigen Dielenboden vor den Apparaturen hin und her und raufte sich seine spärlichen Haare. Dabei redete er erregt vor sich hin: „Wenn das so weitergeht, mache ich mich vor der gesamten Wissenschaft zum Gespött. Man wird über mich sagen, dass ich ein jämmerlicher Stümper bin.“

Der Professor sah sehr unglücklich aus.

„Sie sollten die Hoffnung nicht aufgeben“, versuchte Elisa ihn zu ermuntern. Aufhorchend blieb er stehen.

„Natürlich gebe ich die Hoffnung nicht auf!“, erwiderte er heftig. „Ich werde es allen beweisen! Wenn mein neuartiger Antrieb endlich funktioniert, werde ich weltberühmt. Dann wird mein Name in allen Zeitungen stehen. Das Fernsehen wird Sondersendungen über mich bringen. In den Radionachrichten wird es zu hören sein. Vor dem Haus werden sich zwanzig, dreißig – ach was! – mindestens hundert Reporter drängen. Und ich werde sagen: ,Aber meine Herren…‘“

In den Augen des Professors zeigte sich auf einmal ein lebhaftes Funkeln. Er zupfte seine schiefsitzende Kragenfliege zurecht und erklärte: „Man wird mir den Nobelpreis verleihen. Ich werde die Ehrendoktorwürde von drei, vier oder sogar fünf Universitäten erhalten. Die Industrie wird mir einen Haufen Geld für meine Erfindung zahlen. Und ich kann meiner Frau ein elegantes Auto, einen Nerzmantel und ganze Schränke voller Kleider kaufen.“

„Wozu braucht sie denn so viele Kleider?“, erkundigte sich Elisa. Der Professor stockte kurz in seinem Redefluss: „Das musst du sie schon selber fragen. – Jedenfalls müssen wir dann nicht mehr in dieser verfallenen Bruchbude wohnen. Wir werden in eine prächtige Villa ziehen, mit vierundzwanzig Zimmern, acht Bädern, sechs Autogaragen und einem gläsernen Swimmingpool. Mindestens einmal pro Monat werde ich ein großes Fest veranstalten mit illustren Gästen, einem reichhaltigen Buffet mit Spanferkel, Kaviar und Champagner und mit einem Feuerwerk. Und jedes Mal werde ich diesen klumpfüßigen Konsul Karnifeks einladen, nur damit ich sehen kann, wie sein Gesicht ganz lang und gelb wird vor Neid. Wenn mein Psychokinetor erst funktioniert…“

Der Professor unterbrach sich und hielt lauschend inne.

„Hör auf, mit den Füßen zu scharren!“, fuhr er Elisa an. „Das macht einen ja ganz nervös!“

„Aber ich scharre doch gar nicht“, beteuerte Elisa.

„Hm“, machte der Professor, während er sich vergewisserte, dass das Mädchen unbeweglich vor ihm stand. In diesem Moment steckte Frau Heuretes ihren Kopf zur Tür herein.

„Das Essen ist fertig“, sagte sie mürrisch.

„Was gibt’s denn heute?“, fragte der Professor interessiert.

„Hühnersuppe“, lautete die knappe Antwort.

„Etwa schon wieder die aus der Tüte?“, mäkelte der Professor.

„Komm jetzt, sonst wird sie kalt!“, befahl die Frau übellaunig. „Und wasch dir das Gesicht. Du siehst zum Fürchten aus. Und schick’ dieses Mädchen weg. Sie hält dich nur von der Arbeit ab.“

Der Professor zog seinen rauchgeschwärzten Arbeitskittel aus und warf ihn über die Stuhllehne.

„Hühnersuppe aus der Tüte!“, murrte er. „Immer nur Tütensuppe!“

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