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14. Ein bedrohlicher Besuch

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Als Elisa am frühen Nachmittag des folgenden Tages zum Laboratorium hinüberging, wunderte sie sich, dass zwei große, schwarze Limousinen mit getönten Scheiben davor parkten. Und vor der Tür zum Laboratorium stand ein breitschultriger Mann in dunklem Anzug, der eine Sonnenbrille trug, obwohl der Himmel ziemlich wolkenverhangen war.

„Hallo“, grüßte Elisa höflich. Als sie an ihm vorbei wollte, verstellte er ihr den Weg. Fragend blickte sie zu ihm auf.

„Kein Zutritt!“, sagte er. Mit undurchdringlicher Miene sah er auf sie herab.

„Ja, aber ich…“, wollte Elisa erklären, doch der Mann bedeutete ihr mit einer knappen Kopfbewegung, sich zu entfernen. Elisa ahnte, dass es sinnlos wäre, sich ihm zu widersetzen. Dieser Kerl sah irgendwie unheimlich aus. Vorsichtshalber wich sie zurück.

,Hier stimmt was nicht‘, vermutete Elisa. Sie bog um die Hausecke und schlich zu dem vergitterten Fenster. Aus dem Laboratorium waren erregte Stimmen zu hören. Elisa wagte nicht, hineinzuschauen. Von drinnen hätte man sie dabei leicht entdecken können. Es schien ihr jedoch ratsam, das zu vermeiden. Auf Händen und Knien kroch sie durchs Dornengesträuch zu der kleinen Holzluke. Dort bemerkte sie, dass sich dieser merkwürdige Erdhaufen auffällig vergrößert hatte. Er verdeckte jetzt die halbe Luke. Wer mochte ihn wohl hier im dichtesten Gestrüpp aufgeschüttet haben? Und vor allem: wozu? Für ein normales Katzenklo war der Haufen unnötig groß. Außerdem roch er dafür viel zu frisch. Aber Elisa hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Sie musste zunächst einige Erde beiseite räumen, bevor sie die Luke öffnen konnte.

Als Erstes erkannte sie die Füße des Professors in seinen abgetragenen Schuhen, die unruhig auf der Stelle herumtraten. Ihnen gegenüber stand ein Paar blankpolierter, schwarzer Schuhe mit roten Streifen auf dem Spann. Obwohl diese Schuhe zu einer einzigen Person gehörten, waren sie doch verschieden. Der eine Schuh war viel plumper geformt und dicker besohlt als der andere. Dann entdeckte Elisa einen eleganten Frauenschuh mit einem bleistiftdünnen Absatz, in dem ein zarter Fuß in feinem Netzstrumpf steckte. Offenbar saß die Frau mit übergeschlagenem Bein auf einem Stuhl, weshalb sich ihr anderer Fuß oberhalb von Elisas Sichtfeld befand. Nahe der Tür waren zwischen den Tischbeinen hindurch noch zwei ungewöhnlich große Herrenschuhe zu sehen. Ihr Träger stand breitbeinig da, so als wollte er den Ausgang versperren. Neben ihm lag ein riesenhafter Hund flach auf dem Boden, eine pechschwarze Dogge. Hechelnd ließ sie ihre schlabbrige Zunge aus dem Maul hängen.

„Nun regen Sie sich doch nicht so auf, mein lieber, verehrter Professor“, sagte ein Mann mit einer hohen Fistelstimme: „Sie kennen meine Meinung. Ihre Erfindung ist wahrhaft großartig. Ganz unbestritten. Die Sache hat nur einen einzigen kleinen Mangel: Sie funktioniert nicht.“

„Aber sie wird bald funktionieren!“, erwiderte der verschnupfte Professor gereizt.

„Sicher, aber ganz sicher doch“, beschwichtigte der andere. „Davon bin ich genau so fest überzeugt wie Sie, mein lieber Heuretes. Weshalb sonst wäre ich all die Jahre so überaus geduldig mit Ihnen gewesen?“

Der Professor schnaubte heftig in sein Taschentuch und grollte: „Ich soll Ihnen wohl noch dankbar dafür sein? Sie haben mir das Geld doch nur geliehen, weil Sie genau wissen, dass Sie eines Tages die doppelte Summe zurückbekommen!“

„Ah, eines Tages!“, erwiderte der Mann mit den schwarz-roten Schuhen. „Dürfte ich Sie wohl bitten, diesen Termin zu präzisieren? Wann soll das sein, eines Tages?“

Auf einmal zuckte Elisa zusammen, weil es hinter dem Erdaufwurf kurz und heftig raschelte, so als wäre ein umgebogener Zweig zurückgeschnellt. Doch es war niemand zu sehen. Ob Aristoteles dort umherschlich? Gespannt lauschte sie wieder dem Gespräch im Laboratorium.

„Ich bin ein genialer Wissenschaftler“, erregte sich der Professor, „ein Erfinder ersten Ranges! Ich stehe kurz vor dem Abschluss meiner Arbeiten! Dann werden Sie Ihr verdammtes Geld kriegen! Meinetwegen sogar die dreifache Summe!“

„Hören Sie, Professor“, sagte der Mann mit der hohen Stimme nun in einem kühleren Tonfall, „ich bin kein Unmensch. Aber ich habe keine Lust, ewig und drei Tage zu warten. Meine Geduld ist groß, aber nicht unendlich.“

Elisa konnte sehen, wie sich die schwarzen Schuhe mit den roten Streifen umwandten und hinkend zu einem Schreibtischstuhl schritten, wobei der eine Schuh quietschte und der andere knarrte. Dort drehten sich ihre Spitzen wieder in die Richtung des Professors.

„Also?“, fragte der Professor. „Was wollen Sie von mir?“

Der andere räusperte sich. Die Stellung seiner Schuhe ließ vermuten, dass er sich gesetzt hatte. Der eine Schuh, der schlankere, verschwand nach oben. Nur der plumpe Schuh mit der dicken Sohle blieb am Boden.

„Ich mache Ihnen ein Angebot“, sagte die Fistelstimme, „ein Angebot, das ich ausschließlich solchen Wissenschaftlern unterbreite, von deren Fähigkeiten ich tatsächlich überzeugt bin. Also hören Sie gut zu, mein bester Heuretes. Ich biete Ihnen die Möglichkeit, in meinen supermodernen Laboratorien zu arbeiten. Dabei werden Sie von einem Team hochqualifizierter Mitarbeiter unterstützt. Alles was Sie an Geräten und Materialien benötigen, bekommen Sie zur Verfügung gestellt. Und ich zahle Ihnen das fünffache Gehalt, das Sie als Professor an der Universität bekommen würden. Na, was sagen Sie dazu?“

„Und wo ist der Haken an der Sache?“, fragte der Professor, der angesichts von so viel Großzügigkeit anscheinend misstrauisch geworden war.

„Aber ich bitte Sie!“, rief der andere aus. „Was denn für ein Haken?“

„Was geschieht mit meinem psychokinetischen Antrieb, wenn er dann funktioniert?“, wollte der Professor wissen.

„Nun, die Erfindung“, erklärte der andere betont harmlos, „die würde dann selbstverständlich mir gehören. Eine Verwendung dafür wird sich sicherlich finden lassen.“

„Sie wollen mich wohl für dumm verkaufen!“, brauste der Professor auf. „Ich werde mit meiner Erfindung viel mehr Geld verdienen, wenn ich sie selber vermarkte. Die gesamte Großindustrie wird sich darum reißen, sobald ich damit an die Öffentlichkeit gegangen bin. Sämtliche Energieerzeugungsunternehmen dieser Welt werden sie anwenden wollen.“

Die Stimme des Professors hatte einen spöttischen Klang, als er hinzufügte: „Die werden mir ein Mehrfaches von dem zahlen, was Sie überhaupt auf Ihrem Konto haben, verehrter Herr Konsul.“

„Wenn Sie sich da nur nicht irren, Professor“, erwiderte der Konsul. „Die Wahrheit ist, dass kein einziger Energiekonzern ein Interesse an Ihrem Psychokinetor haben kann.“

„Blödsinn!“, lachte der Professor.

„Denken Sie nur mal nach!“, fuhr der Konsul jetzt etwas energischer fort. „Womit wird auf dieser Welt das meiste Geld verdient? Mit Erdöl. Und warum? Weil man es so teuer verkaufen kann, wie man will. Und das ist deshalb so, weil die ganze Weltwirtschaft davon abhängt: die Autoindustrie, die Eisenbahn, die Schifffahrt, die Chemieindustrie, das Militär, einfach alles. Und wenn einmal ein arabisches Land nicht bereit ist, genügend Öl zu verkaufen, dann beschuldigt man es kurzerhand, irgendwelche verbotenen Massenvernichtungsmittel zu besitzen, und man hat endlich wieder einen Grund, Krieg zu führen. Denn durch Kriege lässt sich noch mehr Geld verdienen. Jeder abgestürzte Düsenjäger, jedes versenkte Kriegsschiff, jede explodierte Granate, jeder ausgebrannte Panzer, jede verschossene Gewehrpatrone muss schließlich ersetzt und neu gekauft werden. Das beschert der Waffenindustrie Milliardengewinne. All das verdankt man einzig und allein dem Erdöl.“

„Aber es geht doch dabei nicht einzig nur ums Geld“, wandte der Professor ein. „Schon allein die Umweltschäden, die durch das Öl…“

„Ach Professor, was sind Sie nur für ein naiver Träumer!“, rief der Konsul aus. „Die großen Ölmagnaten kümmern sich einen Dreck um die Umweltverschmutzung, solange nur ihr Profit gesichert ist. Und noch eins: Glauben Sie ja nicht, dass Sie der Einzige sind, der einen Ersatz für das Erdöl erfunden hat. Da gab es mal einen Kernphysiker, der hatte einen Reaktor entwickelt, der nur einmal mit Wasserstoff und Helium bestückt zu werden braucht, und der ähnlich wie die Sonne tausend Jahre und länger Energie hätte liefern können. Ein Biologe hatte eine Pflanze gezüchtet, die sogar in der Wüste wachsen und energiereiches Öl liefern kann. Ein Mechaniker konstruierte einen Generator, der ohne jeden Treibstoff Strom erzeugt, indem er die Schwankungen des Erd-Magnetfeldes nutzt. Der Beispiele gibt es genug.“

„Das sind doch bloß Phantasiegeschichten“, meinte der Professor abfällig.

„Mitnichten“, erwiderte der Konsul. „Ich weiß es aus glaubwürdiger Quelle. Natürlich wurde keine dieser Methoden jemals angewandt. Und warum nicht? Ich will es Ihnen sagen, Professor: Weil sich damit nicht annähernd so viel Geld verdienen lässt wie mit dem verfluchten Erdöl. Die breite Öffentlichkeit hat von keiner dieser Erfindungen jemals etwas erfahren, weil es ihren Schöpfern gar nicht erst gelang, sie bekannt zu machen. Der eine wurde zufällig von gleich zwei Lastwagen überfahren, als er seine Morgenzeitung holen wollte. Ein anderer ertrank unglücklicherweise beim Zähneputzen in einem Handwaschbecken, stellen Sie sich vor! Der Dritte allerdings zeigte sich einsichtig, denn er wusste von den anderen. Er ist zwar nicht reich geworden, aber er erfreut sich wenigstens bester Gesundheit, weil er eine Verpflichtung unterschrieb, zeitlebens über seine Erfindung zu schweigen, denn andernfalls…“

Der Konsul ließ eine kleine Gedankenpause verstreichen und sagte dann mit gedämpfter Stimme: „Denken Sie über mein Angebot nach, Heuretes.“

Dieser Satz klang wie eine furchtbare Drohung in Elisas Ohren.

„Ich muss es leider dankend ablehnen“, hörte sie daraufhin die entschlossene Antwort des Professors.

Urplötzlich sprang die Dogge bellend vorwärts. Elisa hätte vor Schreck beinahe die Luke zufallen lassen, weil sie im ersten Moment annahm, der Hund hätte sie entdeckt. Doch dann konnte sie sehen, wie seine Vorderpfoten wild an den Dielenbrettern kratzten.

„Satan!“, brüllte jemand. Der Mann mit den großen Schuhen, der am Eingang gestanden hatte, zerrte den Hund zurück.

„Ruhig, Satan!“, kommandierte er. Ein klatschender Schlag war zu hören. Das dröhnende Bellen endete in einem schmerzlichen Jaulen.

„Was ist denn mit dem Köter?“, erkundigte sich der Konsul unwillig.

„Verzeihung, Chef. Er muss irgendwas unter dem Fußboden gewittert haben“, antwortete der Mann mit den großen Schuhen. „Vielleicht eine Ratte?“

„Iiih! Ratten!“, kreischte eine Frauenstimme, die offenbar der Trägerin der eleganten Damenschuhe gehörte.

Nachdem sich die Situation wieder beruhigt hatte, sprach der Konsul erneut auf den Professor ein: „Überlegen Sie doch mal! Sie kommen endlich aus diesem elenden Stallgebäude heraus, wo es Ratten und Ungeziefer gibt, und in dem es ganz erbärmlich zieht. In meinen Laboratorien können Sie Ihre chronische Erkältung auskurieren. Sie brauchen sich dann auch nicht mehr von Tütensuppen zu ernähren. In unserer Kantine bereitet ein französischer Fünf-Sterne-Koch für Sie kostenlos die nahrhaftesten und leckersten Speisen. Und sonntags sind Sie mit Ihrer charmanten Frau Gemahlin bei uns zu Hause zum Essen eingeladen. Nicht war, mein Schatz?“

„Selbstverständlich“, ließ sich die Frauenstimme hören und bat: „Komm jetzt, Liebling, wir gehen, bevor uns hier noch die Ratten beißen.“

Die Frau erhob sich von ihrem Stuhl.

„Misch’ dich gefälligst nicht in meine geschäftlichen Angelegenheiten!“, wies der Konsul grob seine Frau zurecht. „Ob wir gehen oder ob wir nicht gehen, entscheide immer noch ich!“

Widerspruchslos setzte sich die Frau wieder. Sie hob diesmal aber ihre beiden Füße vom Boden ab. Der Konsul räusperte sich kurz und redete eindringlich weiter auf den Professor ein: „Mein lieber Heuretes, Sie werden in meinen Laboratorien konzentriert und zügig arbeiten können. Dort gibt es auch keine Kinder, die Sie mit überflüssigen Fragereien über Schafe oder Rosen von Ihrer eigentlichen Aufgabe ablenken.“

„Sagen Sie mal, woher wissen Sie das?“, horchte der Professor auf.

„Ich weiß viel mehr über Sie, als Sie ahnen“, gab der Konsul ungeniert zu. „Ich weiß genau, was Sie den Tag über machen, ich weiß, mit wem sich Ihre zauberhafte Frau Gemahlin trifft, wenn sie in die Stadt fährt, und ich kenne auch Ihre katastrophale finanzielle Situation. Sie sollten sich mein Angebot gründlich durch den Kopf gehen lassen.“

„Verlassen Sie auf der Stelle mein Laboratorium!“, brüllte der Professor unbeherrscht. „Verschwinden Sie, Sie elender Ganove!“

Die Dogge richtete sich knurrend auf. Der schlankere der schwarz-roten Schuhe stellte sich wieder neben den klobigeren. Knarrend und quietschend bewegten sie sich auf den Professor zu und blieben so dicht vor ihm stehen, dass sie fast dessen Schuhspitzen berührten.

„Ich gebe Ihnen genau sieben Tage Bedenkzeit“, sagte der Konsul leise. Seine hohe Stimme wurde dabei so scharf wie eine Rasierklinge. „Entweder Sie zahlen Ihre Schulden oder Sie nehmen mein Angebot an. – Komm Schatz, wir gehen. Guten Tag, Professor.“

Die schwarz-roten Schuhe quietschten und knarrten dem Ausgang zu. Die Damenschuhe stöckelten klackend hinterher. Die Tür öffnete sich. Dann tappten auch die Doggenpfoten und die großen schwarzen Schuhe hinaus. Elisa schloss die Luke. Sie hörte, wie an der Straße Autotüren schlugen. Als sie um die Hausecke blickte, preschten die Limousinen in einer wirbelnden Staubwolke davon.

Der Professor hockte zusammengesunken auf einem Schemel. Er bemerkte Elisa erst, als sie dicht vor ihm stand. Erschöpft hob er seinen Blick. Sie konnte an seinen Augen sehen, wie niedergeschlagen und traurig er war, und er tat ihr sehr leid. Wortlos wickelte sie den Schal aus dem Geschenkpapier und legte ihn dem Professor über die Schultern. Doch anstatt sich zu bedanken, sprang er plötzlich auf und rief laut in Richtung Tür: „Ich lasse mich nicht kleinkriegen! Elender Schurke!“

Wild entschlossen setzte er sich wieder an seinen Computer und vertiefte sich in die komplizierten Formeln auf dem Bildschirm.

„Ich werde es beweisen!“, sagte er laut vor sich hin, wobei er sich den Schal fest um den Hals zog.

Elisa verließ auf Zehenspitzen das Laboratorium. Sie durfte den Professor jetzt auf keinen Fall von der Forschungsarbeit ablenken. Angesichts seiner Probleme erschien ihr nun das Ärgernis mit den Milchräubern ziemlich klein und unwichtig.

Aristoteles bekam seine Milch seitdem immer in der Diele eingeschenkt.

Die Blume des kleinen Prinzen

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