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Meine Kindheit

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Ich wuchs in einer Kleinstadt im Osten Thüringens im Haus meiner Eltern auf. Meine Mutter hatte mich im Alter von 39 Jahren zur Welt gebracht. Es war eine wohlbehütete Kindheit. Ich war eine der wenigen Kinder, die nie im Kindergarten waren. Mein Vater arbeitete als Schlosser, später als Meister im gleichen Landmaschinenbetrieb. Oft tüftelte er sich technologische Finessen aus, um die Produktion zu verbessern. Auch fuhr er häufig mit dem Fahrrad übers Land, um Bauern ihre Landmaschinen zu reparieren.

Meine Mutter hielt das Geld zusammen, sie ging nicht in einen Betrieb. Sie wirtschaftete mit dem Ertrag aus unseren Gemüsegärten so, dass wir keine Not hatten. Unser Haus befand sich am Waldrand, wo ich mit den Kindern aus der Straße spielen konnte.

Einige Jahre übernahm meine Mutter für ein älteres Ehepaar in der Stadt die Hausarbeit – Fenster putzen, Fußboden wischen, Kohlen in den Keller tragen, und zwar für eine große Villa am Berghang. Während des Krieges und davor war der Hausherr Bürgermeister der Stadt. Er hatte eine sehr bestimmende Art, auch später noch. Meine Mutter war dort schon in jüngeren Jahren vor ihrer Heirat als Hausmädchen angestellt. Damals drangsalierte er Kriegsgefangene auf einem großen Platz, damit sie schneller arbeiten sollten. Es waren Russen und Franzosen.

Mein Bruder, der fast acht Jahre älter war, ging lieber mit seinen gleichaltrigen Freunden außer Haus. Als ich klein war, spielte er mir Musikstücke mit der Geige vor. Dann bemühte er sich, mir das Laufen beizubringen. Daran kann ich mich sogar heute noch erinnern. Er sollte immer auf mich aufpassen, drückte sich aber gern. Aber mit meinen Freunden ging ich gern Rodeln, fuhr Ski und bei entsprechender Kälte auch Schlittschuhe auf einem kleinen Waldsee.

Problematisch war das Schwimmen. In unserem Ort gab es kein Schwimmbad. Manchmal fuhren wir mit dem Bus in die Nachbarstadt, aber dort war es oft sehr voll, sodass ich als Kind wenig Zutrauen zu dieser Sportart fand. Hinzu kam, dass ich manchmal im Sommer mit dem Fahrrad in Begleitung mehrerer Kinder aus der Straße zu einem weiter entfernten Waldsee fuhr. Aber ich kam mit dem Atmen nicht so klar, deshalb hielt sich mein Mut im Wasser stark in Grenzen. Erst nach Jahren fuhr ich dann allein mit dem Fahrrad in die Kreisstadt, um das Schwimmen mit Anleitung zu erlernen. Unser Sportlehrer veranstaltete diese „Nachhilfe“ in den Sommerferien vor der elften Klasse, damit wir endlich eine Schwimmstufe erlangen konnten. Somit konnte ich dann meine Sportzensur beim Abitur wesentlich verbessern.

Wir hatten zu Hause Kaninchen und Hühner. Da gab es Eier und Fleischversorgung für die Familie. Gern streichelte ich auch meine Lieblingskaninchen beim Füttern. Dann erlebte ich auch immer das Schlachten der Hasen und musste meine Gefühle für die kuscheligen Tiere überwinden. Ich sollte aufpassen, wie das Innenleben von Tieren aussieht. Das abgezogene und getrocknete Fell brachte ich zum Händler am anderen Ende meiner Heimatstadt. Heute ist die Fellverarbeitung verpönt. Aber, was passiert derzeit eigentlich mit all den Tierfellen?

In meiner Kindheit schien alles friedlich. Es gab zwei Textstellen in unserer Nationalhymne, die mich emotional stets bewegten: „Deutschland, einig Vaterland“ und „Lasst das Licht des Friedens scheinen, dass nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint“. In der Nachbarschaft hatte ich noch einige Männer gesehen, die durch ihre Kriegsverletzungen mit Holzbein oder Glasauge durchs Leben gehen mussten. Von all meinen Cousins und Onkels sind mehrere im Krieg geblieben. Bei Familientreffen hörte ich das, als über die Vorfahren geredet wurde. Das hat mich zeitlebens geprägt.

Beispielsweise über meine Großeltern: Mütterlicherseits lernte ich meinen Opa noch kennen. Er wirkte auf mich recht gütig. Zu meiner Mutter war er früher recht streng. Sie war die Älteste und musste nach dem zeitigen Tod ihrer Mutter zahlreiche Hausarbeiten übernehmen. Opa Paul war Soldat im Ersten Weltkrieg. Seine Frau starb an der Spanischen Grippe 1918, nachdem sie sich durch den Broterwerb für die Familie überanstrengt hatte. Meine Mutter war da erst sechs Jahre alt. Das war für alle Beteiligten nur schwer zu verkraften.

Mein Opa väterlicherseits verlor im Ersten Weltkrieg den rechten Arm. Seine Frau hatte mehr als zehn Kinder geboren, von denen mehrere schon als kleine Kinder starben. Auf dem Bauernhof gab es damals kaum große Maschinen. Der älteste Sohn, mein Onkel Alfred, kam aus dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls nur mit einem Arm zurück. So konnte er nicht mehr als Schmied arbeiten. Für ihn war extra ein Gebäude als Schmiede gebaut worden.

Die verheerenden Kriegsauswirkungen waren also nach zehn oder zwanzig Jahren noch lange nicht behoben. Einige Nachbarn in meiner Heimatstadt besaßen weiterhin ihr Haus, in dem sie lebten. Meine Mutter sagte immer, dass wir eine arme Familie sind. Sie hatte trotz spärlichen Lohns in den dreißiger Jahren 6000 Reichsmark gespart. Durch den Krieg verlor dann das Geld so stark an Wert, dass sie Ende der vierziger Jahre nur noch zehn Prozent davon ausgezahlt bekam. Sie fühlte sich total betrogen und litt stark darunter. Ihre innere Haltung prägte mich damals grundlegend. Das sollte nie wieder passieren!

Eine außergewöhnliche Freundschaft

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