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1989 bis 1990

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Eine Woche später holten wir uns dann in einer Bank in der Müllerstraße das allseits beliebte Begrüßungsgeld ab. Unser Sohn bekam ein Spielzeugauto, wir aber sparten das Westgeld für größere Anschaffungen.

Es kamen aufregende Zeiten auf alle Bewohner der DDR zu. Ein Schüler aus meiner Klasse, in der ich Klassenleiterin war, reiste noch Anfang Oktober mit seiner Familie nach Westfalen aus. Wir mochten ihn sehr, haben ihn traurig verabschiedet.

Im Februar 1990 erfuhren wir, dass man in Frankreich als DDR-Bürger nur einreisen darf, wenn man genügend – also einen bestimmten Tagessatz pro Person – Westgeld als Kaution vorweisen konnte. So wussten wir, wofür wir unser Begrüßungsgeld gespart hatten.

Mein Bruder erklärte uns, dass er als Offizier der Nationalen Volksarmee nicht von der Bundeswehr übernommen werden würde. Danach wurde der Kontakt zu ihm immer spärlicher. Er zog sich meiner Familie gegenüber schließlich total zurück.

Inzwischen hatten wir uns mit dem Cousin meines Mannes und dessen Frau mehrmals getroffen und sie auch in Berlin-Schöneberg besucht. Sie aber wollten nicht „so weit in den Osten“, also nach Berlin-Hohenschönhausen, fahren. Die meisten Westberliner Autofahrer hatten damals beim Autofahren Angst vor den Straßenbahnschienen im Ostteil der Stadt, gaben das aber nur selten zu.

Ich ging das in umgekehrter Richtung tapfer an. Probleme gab es in jener Zeit mit dem Linksabbiegen: In der DDR war etwa ein Jahr vorher die Bestimmung durchgesetzt worden, voreinander abzubiegen. Im Westen fuhr man noch umeinander herum. Da gab es häufig Irritationen, bis sich später das Ostprinzip auch im geeinten Deutschland durchgesetzt hatte. Davon spricht heute kein Mensch mehr.

Wichtig für uns war damals im Zeitalter vor Handys und Internet ein gültiger Stadtplan von ganz Berlin. Auf unseren Karten, die man in der DDR zu kaufen bekam, war Westberlin nur als rosa oder graue Fläche insgesamt eingezeichnet. Keine Straße war eingezeichnet, höchstens noch Parkflächen oder Wald als zartgrüner Druck.

Mit dem Cousin meines Mannes gründeten wir alsbald die „Deutsch-deutsche Vermittlungshilfe“. Wir wollten an unternehmungsfreudige Westdeutsche und Westberliner Ausflugs- und Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Territorium der DDR anbieten und hofften, dass die Westberliner und die Westdeutschen ein ebenso großes Interesse am anderen Teil Deutschlands hatten wie die DDR-Bürger am Westen. So schalteten wir Anzeigen in verschiedenen Zeitungen, um Vermieter aus der DDR und Reisewillige aus dem Westen zu vermitteln. Daraufhin bekamen wir viel Post. Sogar meine Tante aus Thüringen schrieb uns daraufhin an. Aber auch bei diesem Projekt schwammen wir gegen den Strom, wir waren mit unserer Idee zu zeitig. Kaum ein Bürger aus der BRD wollte damals im Osten Urlaub machen.

Im Mai erhielt ich plötzlich eine vorbeugende Kur im Spreewald. Ein Kollege war abgesprungen und konnte die geplante Reise nicht antreten. Es war eine seltsam ruhige Zeit. Vor Ort gab es im Hotel Vorstellungsabende von westdeutschen Gewerkschaftern, die im Osten agitierten, und auch von Vertretern der DAK, die um Mitglieder warben. Wir waren als Kurgäste erstaunt, dass es in der Stadt Burg im Spreewald in dieser Zeit kaum eine Möglichkeit zum Einkehren gab. An einem Kiosk zum 1. Mai 1990 gab es eine Kugel Eis – oder mehrere – aber nur für Deutsche Mark, also Westgeld. Toller Feiertag der Arbeiterklasse! Eigentlich war in der DDR zu dieser Zeit noch der Besitz von Devisen verboten.

Ich bereitete mich in dieser Zeit mental auf den Abschied aus der Volksbildung vor und hatte fristgerecht die Kündigung im April eingereicht. Die Mitarbeiterin im Rat des Stadtbezirks, Abteilung Volksbildung, bekam einen Wutanfall. Wie könnte ich es wagen, jetzt als Lehrerin aufzuhören?

Ich wollte in meinem Leben noch einmal etwas völlig Neues anfangen. Zugegeben, es war mutig von mir. Als Musik- und Deutschlehrerin sah ich mindestens zwei Gründe für diese Entscheidung: Die Unterrichtsschwerpunkte im Deutschunterricht waren im Westen andere, gerade was die Lektüreauswahl für die deutsche Literatur anging. Das sollte sich später auch bestätigen. Für den Musikunterricht sah ich ebenfalls enorme Unterschiede, insbesondere was englische Liedtexte anging. Ich hatte bisher keinen Englischunterricht gehabt. In der DDR gab es zu wenige Lehrer dafür. So suchte ich mir über den Sommer dann eine neue Perspektive, angetan von der allseits propagierten unbegrenzten Freiheit im Westen.

Die Fremdsprachenfächer in meiner Schulzeit waren Russisch, obligatorisch, und Französisch, fakultativ. Der alte Englischlehrer ging gerade in Rente. Dafür kam eine junge Hochschulabsolventin in unsere Kleinstadt und wir durften Französisch lernen – dazu später mehr.

Am 1. Juli 1990 konnten wir schließlich 2000 Mark der DDR 1:1 umtauschen, den Rest vom Konto 2:1, also zwei Ostmark in eine Westmark. Die Auszahlung dieses ersten Bargeldes wurde auch im Personalausweis vermerkt.

Anschließend sortierten wir unser Bargeld und ein paar Scheckformulare, die DDR-Schecks waren noch einige Monate gültig, in eine neue Geldbörse. Zur Vorbereitung auf unseren ersten richtigen „Westurlaub“ tauschten wir etwas Geld in Francs um und legten es in eine zweite Börse. Wir fuhren aber nicht wie alle anderen nach Mallorca oder Bayern, sondern nach Frankreich. Meine Freundin hatte uns eingeladen, sodass wir pünktlich den französischen Nationalfeiertag am 14. Juli 1990 mit ihr begehen konnten. Wie es dazu kam, berichte ich an anderer Stelle.

Eine außergewöhnliche Freundschaft

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