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Klub der internationalen Freundschaft

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In der DDR war es obligatorisch, dass man ab der 5. Klasse Russisch als erste Fremdsprache lernte. Schon wegen der kyrillischen Buchstaben und der Grammatik war dies für viele Schüler eine Herausforderung. Ich hatte die meisten Probleme beim Verständnis der unterschiedlichen Bedeutung von Verben. Warum war es nicht genauso wie im Deutschen? Aber diese Frage taucht wahrscheinlich bei allen Menschen in veränderter Weise auf, wenn sie eine andere Sprache lernen. Etwas mehr Freude nach all den ersten Mühen kam an meiner Grundschule auf, als der „Klub der internationalen Freundschaft“ gegründet wurde. Ich war damals gerade in der 6. Klasse.

Die leitende Russischlehrerin dieser Arbeitsgemeinschaft legte am ersten Nachmittag auf einem größeren Tisch eine Vielzahl an Briefen von Kindern aus der Sowjetunion aus. Jeder sollte sich einen – oder zwei – aussuchen, um mit demjenigen dann in Briefkontakt zu treten. Ich ging etwas zögerlich an die Auswahl, denn es war ja auch eine Entscheidung, deren Folgen in diesem Moment nicht absehbar waren. Ich entschied mich schließlich für Juri aus Moskau. Er hatte einen schön bedruckten Briefumschlag gewählt, der mir gefiel.

Die Lehrerin erklärte uns, wie man Briefe abfasst. Worauf musste man beim Beschriften und bei der Blattaufteilung des Umschlages achten? Aber das fiel mir schon deshalb leicht, weil ich zu Hause die alljährliche Aufgabe hatte, sämtliche Weihnachtsgrußpost nach kurzer Absprache mit meiner Mutter an sämtliche Verwandten und Bekannten zu schreiben. Briefe oder Grußkarten zu schreiben und vor allem, welche zu empfangen, das war im täglichen Einerlei doch eine großartige Abwechslung. Oftmals rief der Briefträger schon von Weitem die Straße entlang: „Hilde, du hast heute wieder Post!“ Hilde, das war meine Mutter. Der Postbote trug damals auch die von uns abonnierte Tageszeitung „Volkswacht“ aus.

Ich schrieb also einen Brief an Juri in Moskau, klebte eine Sonderbriefmarke auf den Umschlag und erhielt bald darauf eine Antwort. Es entstand eine richtige Brieffreundschaft für mindestens acht Jahre. Wir schickten uns gegenseitig Sonderbriefmarken, meist entwertete im Umschlag. Juri füllte die schön bedruckten Briefumschläge aber auch mit Abzeichen, Glückwunschkarten zum 1. Mai und zum 8. März, dem internationalen Frauentag. Erfreut war ich besonders über seine Fotos von den legendären Kosmonauten Gagarin, Bykowski, Leonow und Walentina Tereschkowa. So erfuhr ich durch diese vielen Briefe, was junge Menschen in Moskau gerade bewegt. Auch die Sonderbriefmarken waren sehr informativ: über Kosmonauten, sowjetische Pionierlager auf der Krim, über Früchte aus der Taiga und Tiere. Es gab sogar dreieckige Marken!

Das Besondere an diesen Briefen war, dass Juri fast jedes Mal in der letzten Zeile schrieb: „Viel Schreiben ist unnütz.“ Das war für mich beim ersten Mal etwas unverständlich, aber ich gewöhnte mich daran. Schwierig und lehrreich zugleich gestaltete sich für mich die Tatsache, dass er in der Schule gar keinen Deutschunterricht hatte. Seine erste Fremdsprache war dort Englisch. So ergab sich für mich die zusätzliche Erschwernis, dass ich seine russisch geschriebenen Briefe erst einmal mithilfe meines Wörterbuches übersetzte und ihm anschließend auch auf Russisch antwortete. Auch ich legte Fotos und gestempelte Briefmarken in die Post an Juri. Es war einfach eine sehr interessante Möglichkeit, den Alltag zu bereichern.

Zu den Treffen dieser Arbeitsgemeinschaft nahmen wir dann einige Briefe von unseren jeweiligen Brieffreunden mit. Die Lehrerin half bei der Übersetzung von Redewendungen. Aber die Texte selbst schrieben wir dann lieber selbstständig zu Hause, ohne „Kontrolle“. Bei den meisten hielt der Kontakt nicht so lange. Für mich war es wunderbar, häufig Briefe zu erhalten und natürlich darauf einzugehen. Das Schreiben war bis Ende der siebziger Jahre die wichtigste Form der Kommunikation. Erst danach konnte man in Großstädten auf einen Telefonanschluss hoffen.

An eine Besonderheit in dieser Arbeitsgemeinschaft erinnere ich mich noch: Wir unternahmen mit Unterstützung der Schule einen Tagesausflug nach Franzensbad in die CSSR. Dort empfing uns eine Schülergruppe an einem sonnigen Tag. Jeder wurde persönlich von einem tschechischen Pionier empfangen. Als Geschenk erhielt ich eine große Packung Oblaten. All das war für mich interessant. Es fand in der Kurstadt ein Rundgang durch die Wandelhallen statt. So sollten wir das Heilwasser trinken, aber es schmeckte uns nicht so richtig. Ich schrieb mich anschließend auch noch mit diesem fröhlichen Jungen, aber das hielt nicht lange an.

Eine außergewöhnliche Freundschaft

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